Der srilankische Staat führt Krieg gegen die tamilische Bevölkerung der Insel. Yuri Prasad untersucht die Hintergründe des Konfliktes.
Ein grausamer, einseitiger Krieg tobt auf der Insel Sri Lanka –
nicht mal 50 Kilometer von der Küste Südostindiens entfernt. Die Regierung Sri Lankas führt ihren "Krieg gegen den Terror". Sie ist fest entschlossen, die separatistische Gruppe Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE, auf Deutsch: Befreiungstiger von Tamil Eelam), bekannter als die Tamilentiger, zu vernichten. Zu Letzt hat das Militär alle tamilischen Zivilisten zu „Terroristen" abgestempelt und sie auf dem schmalen Küstenlandstrich der Halbinsel Jaffna zusammengepfercht. Schulen, Krankenhäuser und Schutzräume wurden von der Armee wiederholt bombardiert. Ein Bericht der UNO spricht von 190.000 Zivilisten, die in diesem winzigen Gebiet eingekesselt sind. Letzte Woche nahm die Armee ein provisorisches Krankenhaus im Dorf Putumattalan unter Beschuss: Dutzende von Kranken und Verletzten wurden getötet. Westliche Staaten, darunter der ehemalige Kolonialherr Großbritannien, haben die Waffen für diese Offensive geliefert.
Wenn die Medien über den Konflikt berichten, dann stellen sie ihn als unergründliche, weit zurück reichende religiös-ethnische Rivalität dar. Auf der einen Seite die buddhistische, singalesische Regierung und auf der anderen die hinduistischen Tamilen. Doch bei genauerem Hinsehen wird klar, dass es weniger ein uralter Konflikt zwischen klar definierten Gruppen ist. Der Bürgerkrieg ist vielmehr Ausdruck der Konkurrenz zwischen rivalisierenden Fraktionen der herrschenden Klasse und der unter ihnen befindlichen Mittelschichten. Sie haben den Nationalismus angefacht, um ihre eigene Stellung zu bessern. Knapp über 20 Millionen Menschen leben in Sri Lanka, einer Insel ein Viertel so groß wie Großbritannien. Die Mehrheit bezeichnet sich selbst als buddhistisch und spricht Singhalesisch. Es gibt aber bedeutende Minderheiten mit unterschiedlichen Religionen und Sprachen.
Verschifft
Die srilankesischen Tamilen bilden, trotz ihrer gemeinsamen Sprache, keine homogene ethnische oder religiöse Gruppe. Sie machen etwa vier Prozent der Gesamtbevölkerung aus, leben auf der Insel seit über 600 Jahren und gehörten zu verschiedenen Zeiten zu den Oberschichten. Die indischen Tamilen wurden Mitte des 19. Jahrhunderts in das von den Briten kontrollierte Ceylon – so der damalige Name der Insel – verschifft, um auf den Teeplantagen zu arbeiten. Sie sind bis heute arm geblieben. Die Mehrheit der Tamilen ist Hindu, es gibt aber bedeutende religiöse Minderheiten unter ihnen.
Wiederholte und gewaltsame Konflikte unter der singhalesischen Mehrheit beweisen, dass es auch hier falsch wäre, von einer homogenen Gruppe zu sprechen. Das britische Regime hat mit seiner Politik des Teilens und Herrschens, um die Bevölkerungsmehrheit noch besser ausbeuten zu können, wesentlich zu den heutigen Konflikten beigetragen. Es bevorzugte die tamilische Minderheit, um sich ihre Loyalität zu sichern. Sie wurde bei der Vergabe von gut bezahlten Behördenjobs bevorzugt und war an den Universitäten überrepräsentiert. Bis zur Unabhängigkeit vom britischen Reich im Jahr 1948 gab es dennoch nur wenige Zeichen der Feindseligkeit zwischen den tamilischen und singalesischen Muttersprachlern. Aber wie in so vielen anderen Ländern auch, war der Zusammenbruch der bestehenden Herrschaft Anlass für ein allgemeines Gerangel unter all jenen, die die neue Elite stellen wollten. Um Wahlen zu gewinnen und die Aufmerksamkeit von den akuten Klassenspaltungen auf der Insel abzulenken, versuchten Politiker jeglicher Herkunft ihre Anhängerschaft durch Appelle an ihre ethnische oder religiöse Zugehörigkeit an sich zu binden.
Das Hauptmittel der Spaltung in Sri Lanka war die Sprache. Zur Zeit der Unabhängigkeit war Englisch noch die offizielle Landessprache. Die Wahl einer neuen Regierung mit dem ausgesprochenen Parteiprogramm, Englisch durch Singalesisch zu ersetzen, war nichts anderes als ein verdeckter Angriff auf die tamilische Mittelschicht, die im allgemeinen Englisch und Tamilisch sprach. Die neue Regierung schlug auch vor, hunderttausende indische Tamilen zurück nach Indien zu deportieren und denen, die zurückblieben, das Wahlrecht zu entziehen. Das war ein direkter Angriff auf die Linke und die Gewerkschaften, die unter den indischen tamilischen Plantagearbeitern sehr erfolgreich aufgebaut hatten. Diese Handlungen markieren die Schaffung einer neuen und separaten singalesischen Identität. Um eine gemeinsame Antwort auf die staatliche Diskriminierung zu entwickeln, unternahmen die tamilischen Mittelschichten den Versuch, eine allumfassende tamilische Identität zu schaffen. Beide Seiten setzten religiöse Symbole und Legenden ein und verwandelten sie, um ihrem jeweiligen Projekt Glaubwürdigkeit zu verleihen. Anfänglich gab es allerdings wenig Hinweise auf einen Massenanhang für diese neu konstruierten ethnischen Identitäten. Der wachsende Konflikt blieb zunächst ein Streit innerhalb des Establishments, der die Mehrheit der Menschen nicht tangierte. Der Kampf, der um die Sprache begonnen hatte, war aber schon nach wenigen Jahren Anlass für einen Bürgerkrieg. Nach ihrem erdrutschartigen Wahlsieg im Jahr 1956 setzte die Srilankische Freiheitspartei ihr Wahlversprechen um, Singalesisch zur einzigen Amtssprache zu erheben. Ein bescheidener Änderungsantrag, „einen vernünftigen Gebrauch des Tamilischen" zuzulassen, führte zu einer gewalttätigen Demonstration buddhistischer Mönche.
Das neue Gesetz führte zu einem Rückgang tamilischer Muttersprachler im Öffentlichen Dienst. Ihr Anteil sank von etwa 30 Prozent aller Beschäftigten im Jahr 1948 auf lediglich 6 Prozent im Jahr 1970. Viele srilankische Tamilen der oberen und Mittelschichten hatten keinen Zugang mehr zu vernünftigen Jobs und ihre Kinder hatten nur geringe Chancen auf eine Hochschulbildung. Es kam zu weit verbreiteten anti-tamilischen Straßenunruhen im Jahr 1958. Drei Jahre später nahm die Regierung einen Generalstreik der Tamilen gegen die Diskriminierung zum Anlass, den Notstand auszurufen und Truppen ins tamilische Kernland in den zentralen Hochebenen und im Norden der Insel zu schicken. Die Tamilen wurden zu einer legitimen Zielscheibe für Pogrome und staatliche Unterdrückung. Die srilankische Linke hätte dieser Welle der von der Regierung angefachten ethnischen Spannungen wirksam entgegentreten können und müssen. Den einfachen Arbeitern und Bauern singalesischer Muttersprache hatte der Chauvinismus der herrschenden Klasse nichts anzubieten. Die stärkste sozialistische Partei auf der Insel, die Lanka Sama Samaja Partei (LSSP), war eine trotzkistische Partei mit Massenanhängerschaft unter allen linguistischen Gruppen. Zeitweilig war sie die bedeutendste Oppositionspartei im Land.
Anstatt an die Arbeitereinheit zu appellieren, schloss sich die LSSP, zusammen mit der Kommunistischen Partei, der Regierung an und erklärte sich zur authentischen Stimme des Nationalismus. Im Jahr 1970 übernahm ein neues Bündnis bestehend aus der UNP-Oppositionspartei und einer Reihe linker und tamilischer Parteien die Regierungsmacht mit dem Versprechen, dem Konflikt ein Ende zu bereiten. Das Parteienbündnis sah ein gewisses Ausmaß an regionaler Autonomie und Selbstbestimmung für die Tamilen vor. Kurz nach ihrem Machtantritt sah sich die neue Regierung mit einer Rebellion der gebildeten singhalesischen Jugend konfrontiert, die ein Ende der buddhistischen Kastendiskriminierung und den damit verbundenen Jobsperren forderte. Etwa 10.000 Menschen fanden in den Kämpfen und dem sich anschließenden Notstand den Tod. Die Zerbrechlichkeit der herrschenden Klasse wurde bloßgestellt. Die Antwort der Regierung bestand darin, die Schmähung der Tamilen noch zu verschärfen, um von ihrer eigenen Bilanz abzulenken. Etwa zur gleichen Zeit begannen junge Tamilen aus Wut vor dem Stillstand und den von ihren etablierten Parteien eingegangenen Kompromissen zu den Waffen zu greifen. Sie bildeten eine ganze Reihe von Gruppierungen, von denen die Tamil Tigers die wichtigste ist, mit der Forderung nach einem eigenen Staat im Norden der Insel. Innerhalb nur weniger Jahre erlangten sie die Kontrolle über einen Großteil dieses Gebiets. Der srilankische Staat ging mit aller Härte vor und verhaftete und folterte tausende Tamilen. Die Tiger antworteten mit Entführungen und Bombenanschlägen. So wurde eine Gewaltspirale in Gang gesetzt, die ein Großteil des Landes in ihren Sog zog.
Rebellion
Anstatt die Chance zu erblicken, dass sich die Rebellion auf den Süden des Landes ausweiten könnte, charakterisierten die Tiger alle singalesischen Muttersprachler als Komplizen ihrer Unterdrückung. Da sie weder einen Massenanhang im ganzen Land noch genügend Feuerkraft besaßen, um den Staat zu schlagen, wandten sich die Tiger hilfesuchend an Indien. Der Indische Staat betrieb aber sein eigenes Doppelspiel. Nachdem sie zunächst von ihren Militärbasen in der indischen Stadt Madras aus den Tigern zu Waffen verholfen hatte, beteiligte sich die indische Regierung an der Vermittlung eines Friedensabkommens, in dessen Rahmen sie dann 75.000 „friedenserhaltende" Truppen auf die Insel schickte.
Indien befürchtete, dass der Zusammenbruch der Staatsmacht in Sri Lanka die Instabilität auf die gesamte Region ausbreiten könnte, und befahl ihren Truppen, die Tiger zu entwaffnen. Das Ergebnis waren erbitterte Kämpfe und die Vertreibung von tamilischen Flüchtlingen in alle Welt. Seit den 1980er Jahren haben die sich ablösenden Regierungen einen Mix aus Diplomatie und militärischen Offensiven eingesetzt, um das Rückgrat der Tiger zu brechen. Währenddessen haben die neoliberale Politik und das Tsunami von 2004 das Leben von Millionen Armen, unabhängig von ihrer Religion oder ihrer Sprache, verwüstet. Die Regierung sah sich vor kurzem genötigt, den Weltwährungsfonds um einen Kredit von 1,4 Mrd. Euro anzugehen; der fordert als Gegenleistung weitere Kürzungen und Privatisierungen.
Die militärische Niederlage der Tigers wird keine neue Ära des Friedens und des Wohlstands herbeiläuten, sie ist vielmehr das Präambel für eine erneute Welle von Angriffen auf die Arbeiterklasse. Anstatt der massiven Militärausgaben, braucht das Land dringend mehr Personal im Gesundheitswesen, mehr Ingenieure und Lehrer. Ein weitgreifendes Programm öffentlicher Ausgaben, um alle durch den Konflikt und den Umweltchaos Vertriebenen zu ernähren, zu versorgen und zu behausen, ist vonnöten. Das ist ein Teil des Forderungspakets der Linken in Sri Lanka. Wir sollten von unseren Regierungen fordern, dass sie die Militäraktion verurteilen und alle Waffenlieferungen an Sri Lanka stoppen. Das Aufhalten des srilankischen Angriffs und die Durchsetzung realer Verbesserungen für die Armen erfordern Einheit im Kampf. Nur eine Bewegung, die bereit ist, die staatliche Diskriminierung und die daraus resultierende Kultur des Chauvinismus zu konfrontieren, kann diese Auseinandersetzung gewinnen.
(Aus dem Englischen von David Paenson)