Perry Anderson kritisiert den EU-Hausphilosophen Jürgen Habermas, Sarah Nagel untersucht Staat und Kapital in China und die Zeit entdeckt eine nahezu christliche Nächstenliebe im Berliner Stadtteil Neukölln. Die marx21-Redaktion gibt wieder Hinweise auf lesenswerte Artikel aus anderen Zeitschriften
Der englische Historiker Perry Anderson kommentiert in der Le Monde diplomatique (Nr. 9982, 14.12.2012) die Vergabe des Friedensnobelpreises an die Europäische Union. Dabei kritisiert er jene Stimmen, die in der EU ein Vorbild für die zukünftige Weltgesellschaft sehen – allen voran Jürgen Habermas, der im Jahr 2008 noch vor einem Demokratiedefizit gewarnt hatte. In seinem neuen Buch feiere er den »Lissabon-Vertrag« nun als ein einmaliges Freiheitsprojekt. Für Anderson hat bei solcher Euphorie »der europäische Narzissmus der letzten zwanzig Jahre einen neuen Gipfel erreicht«. Er kontrastiert dies mit der Tendenz, dass sich Deutschland zu einer »regionalen Großmacht« in Europa entwickele, während die Situation in vielen anderen EU-Staaten sehr fragil sei.
Die Krisenjahre haben einen Trend deutlich gemacht: Der chinesische Wirtschaft ist in eine neue Phase getreten. Das Land ist nicht mehr nur ein Exporteur mit einem wachsenden Binnenmarkt. Seine Unternehmen treten nun selbst als Investoren im Ausland auf. Unter dem Titel »Staatskapitalismus goes global« beschreibt Sarah Nagel in der Zeitschrift Prokla (Nr. 169, Dezember 2012) diese Entwicklung. Sie zeigt, wie der Staat seit zwanzig Jahren seine eigenen Unternehmen immer stärker fusionieren lässt, damit sie auf dem Weltmarkt bestehen können. Zugleich fördere er aber die Konkurrenz untereinander und die Entstehung eines privatwirtschaftlichen Sektors.
Als Obdachlose zogen zwei Reporter vor einem Jahr durch Kronberg im Taunus, eine der reichsten Gemeinden Deutschlands. Auf ihrer Suche nach Essen und Unterkunft erhielten sie wenig Hilfe. Nun haben sie sich ein neues Ziel gesucht und sich in einen der ärmsten Bezirke des Landes begeben. Eine Woche lang waren sie in Berlin-Neukölln in zerschlissener Kleidung und zertretenen Schuhen unterwegs – und haben Unerwartetes erlebt: Entgegen der Voraussagen von Soziologen schlug ihnen große Hilfsbereitschaft entgegen. Die beeindruckende Sozialreportage hat Die Zeit (Nr. 52/2012) unter dem Titel »Maria und Josef in Neukölln« veröffentlicht.
Einst schrieb Karl Marx, die Presse sei erst frei, wenn sie kein Gewerbe mehr sei. Angesichts der Insolvenz der Frankfurter Rundschau und der Einstellung der Financial Times Deutschland erhält dieser Satz eine ganz neue Aktualität. In den Blättern für deutsche und internationale Politik (Nr. 1/2013) analysiert Reinhard Blomert die Auswirkungen des Zeitungssterbens auf die Meinungsvielfalt eines Landes. Zugleich zeigt er Alternativen zum Marktwahnsinn der Medienlandschaft auf. In Italien und Frankreich beispielsweise würden Tageszeitungen staatlich subventioniert – um die Demokratie zu stützen.
Er baute im Auftrag der Kommunistischen Internationale das zweitgrößte Medienunternehmen der Weimarer Republik auf, zu dem Filmproduktionsgesellschaften und auflagenstarke Zeitungen wie die Welt am Abend und die Arbeiter Illustrierte Zeitung gehörten. Später brach Willi Münzenberg mit Stalin und kam 1940 unter ungeklärten Umständen ums Leben. Heute ist er nahezu in Vergessenheit geraten. Im Oktober lud die Rosa Luxemburg Stiftung (RLS) zu einer europäischen Willi-Münzenberg-Tagung. Es war die erste wissenschaftliche Tagung zum Leben und Werk des Kommunisten seit 1992. Lesenswerte Berichte darüber haben Ralf Hoffrogge (auf der Homepage der RLS), Mario Keßler (Neues Deutschland, 15.10.2012) und Raimund Waligora (SoZ, Januar 2013) verfasst.
In Frankreich steckt die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) in einer tiefen Krise. Viele Mitglieder sind ausgetreten. Denis Godard ist zwar noch dabei, doch er verlangt einen Neuanfang und fordert, die eigenen Fehler ehrlich zu analysieren. In International Socialism (Nr. 137, Winter 2013) schreibt er, schuld an der Krise sei nicht die Konkurrenz durch die Linkspartei Front de Gauche, sondern das eigene Versäumnis, sich in die zahlreichen neuen Bewegungen stärker einzubringen. Man dürfe nicht mit einem fertigen revolutionären Programm am Rand stehen. Vielmehr müsse man sich dem Rhythmus einer Bewegung anpassen. Ein spannender Text über das Wechselverhältnis von Bewegung und Organisation (nur auf Englisch).
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