Am 1. September werden in Frankfurt/Main Gegner eines Kriegseinsatzes in Syrien auf die Straße gehen und ihre Solidarität mit dem Regime Assads zum Ausdruck bringen. Linke sollten die syrische Diktatur ebenso ablehnen wie westliche Interventionen, meint Christine Buchholz
Mitte August hat US-Außenminister Panetta gesagt, die USA werden mit allen Mitteln die Versuche des Iran unterbinden, in Syrien aktiv zu werden. Das war eine Drohung mit Krieg.
Außerdem sagte der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte General Dempsey, er habe in Ankara und Amman über Schutzzonen für Flüchtlinge diskutiert – auf syrischem Territorium. Die sind ohne Flugverbotszonen nicht zu haben. Und die können nur mit westlichen Truppen durchgesetzt werden.
Von den USA und den anderen imperialistischen Staaten hat die Revolution in Syrien nichts zu erwarten. Den USA geht es darum, die eskalierende Situation zum eigenen Vorteil zu nutzen und gegebenenfalls eine ihnen genehme Regierung zu installieren – die zugleich den revolutionären Prozess abwürgt.
Keine Intervention
In der Linken herrscht Einigkeit, dass wir jede Form der militärischen Intervention ablehnen. Ebenso wie Sanktionen, die die Bevölkerung treffen. Keine Einigkeit herrscht aber in unserem Verhältnis zur Demokratiebewegung.
Viele sind skeptisch und misstrauisch, manche lehnen die Bewegung ganz ab. Das hängt zum einen mit den geringen Verbindungen nach Syrien zusammen: es ist schwer zu überblicken, welche Kräfte eigentlich mit welchem Ziel kämpfen.
Ben Ali, Mubarak, Assad
Wichtiger noch aber scheint mir zu sein, dass es unterschiedliche Auffassungen gegenüber dem Gegner der Bewegung, dem Regime Assads, gibt. Nicht wenige scheinen die Auffassung zu teilen, das Regime Assads sei grundsätzlich anders zu beurteilen als die prowestlichen Diktatoren Ben Ali in Tunesien oder Mubarak in Ägypten, die von den Revolutionen im letzten Jahr gestürzt worden sind.
Symptomatisch der Aufruf eines »Frankfurter Solidaritätskomitee für Syrien« zu einer Demonstration am bevorstehenden 1. September. Darin wird gefordert: »Solidarität mit dem syrischen Volk und seiner Regierung«. Ich sage: nein, die Regierung Assad ist nicht die Regierung von und für das syrische Volk.
Das Regime Assad
Einige Fakten zur Regierung Assad:
Bashar al-Assad ist ein Diktator, der seine Position als Präsident von seinem Vater Hafez al-Assad geerbt hat. Hafez al-Assad hat sich selbst 1970 an die Spitze der Ba’ath-Partei und damit an die Macht geputscht.
In den 70er und 80er Jahren entstand eine durch und durch militarisierte Gesellschaft: Die reguläre Armee umfasste Ende der 80er Jahre 250.000 Wehrpflichtige und 250.000 Berufssoldaten – bei einer Gesamtbevölkerung von damals rund 12 Millionen. Hochgerechnet auf eine Bevölkerungszahl wie in Deutschland heute entsprach die Stärke der syrischen Armee Ende der 80er Jahre einer Streitmacht von fast 3,5 Millionen Soldaten. Die Bundeswehr verfügt demgegenüber über eine aktuelle Personalstärke von 200.000 Soldaten.
Geheimdienste und Liberalisierung
Sechs bis acht Geheimdienste haben die ganze Gesellschaft überwacht. Freie Meinungsäußerungen und andere elementare Menschenrechte waren und sind außer Kraft gesetzt. amnesty international hat regelmäßig über willkürliche Verhaftungen und Folter berichtet.
Seit den 80er Jahren wurden immer weitere Teile der vormals staatskapitalistischen Wirtschaft Syriens liberalisiert. Wie in anderen arabischen Ländern hat sich vor allem der Clan des Präsidenten und ihm nahestehende Kreise bereichert. Beispiel: Der Cousin Bashar al-Assads, Rami Makhlouf, ist heute Eigentümer von Syriatel, dem größten Telekommunikationsunternehmen des Landes. Makhlouf sitzt auch in allen anderen lukrativen Sektoren der Wirtschaft drin: Immobilien, Transport, Banken, Versicherungen, Bau und Tourismus. Er ist der Vize-Präsident und eigentlich mächtige Mann der Scham-Holding, die 2007 mit einem Kapital von 360 Millionen US-Dollar und 73 Investoren gegründet wurde.
Bevölkerung verarmt
Demgegenüber ist die Masse der Bevölkerung verarmt. 2005 lag der Anteil der Armen bei 30 Prozent, der »extrem Armen« bei 11 Prozent. 2007 wurde in den Zeitungen der Preis von Eiern diskutiert.
Heute ist der private Sektor größer als der staatliche Sektor. Das ist auch ein Grund, warum Syrien in den Jahren vor der Revolution vom Westen umgarnt wurde. US-Außenministerin Hillary Clinton nannte Bashar al-Assad noch im April 2011, einen Monat nach Ausbruch der Revolte, einen Reformer.
Kommunistische Kollaboration
Obgleich es zwischen der Linken und dem Regime Assads keinerlei Berührungspunkte geben kann, haben manche Linke immer noch Illusionen in das Regime. Dafür gibt es zwei wichtige Gründe: Erstens die Politik der Kommunistischen Partei Syriens und zweitens die Konfrontation Syriens mit Israel.
Zum ersten Punkt: die KP Syriens hat sich 1972 in ein System der Nationalen Front einbinden lassen und fiel damit als Oppositionskraft gegenüber der Ba’ath-Herrschaft aus. In der DDR erschienen Bücher, wonach die Ba’ath einer sozialistischen Entwicklung »objektiv« den Weg bereite.
Ich denke, dass sagt weniger über die Ba’ath aus, als über die erbärmliche Politik der Kommunistischen Partei Syriens, die sogar einige unbedeutende Ministerposten für ihre Kollaboration bekam. Tatsache ist, dass das Regime sich deshalb nicht abhalten ließ, Kommunisten zu verfolgen, die nicht willfährig genug waren. Diese Kollaboration hat dazu geführt, dass die wichtigste Oppositionspartei islamisch ausgerichtet ist.
Nur scheinbar radikal
Ein zweiter wichtiger Punkt, der zu Illusionen geführt hat, ist die Außenpolitik des Regime Assads, die von manchen als »antiimperialistisch« verstanden wird. Das ist falsch. Hintergrund für die scheinbare Radikalität der syrischen Politik ist die Tatsache, dass mit Israel keine Verhandlungslösung zur Rückgabe der besetzten Golan-Höhen möglich war. Das führte dazu, dass das syrische Regime die Guerillabewegungen unterstützt hat, die im Clinch mit Israel lagen – wie jene unter dem Dach der PLO, die Hamas und heute noch die Hisbollah, wie auch die kurdische PKK.
Sobald die Konstellationen sich änderten, ließ das Regime Assads diese Kräfte auch wieder fallen. 1976 marschierten syrische Truppen nach Libanon ein, im Einverständnis mit den USA, um den Sieg der Linken und Palästinenser im libanesischen Bürgerkrieg zu verhindern. 1991 war Syrien sogar Teil der US-amerikanischen Kriegskoalition gegen Irak, die für den Tod Hunderttausender Iraker verantwortlich war. 1998 hat Syrien die PKK fallen lassen und damit den Weg zur Verschleppung und Inhaftierung Öcalans frei gemacht.
Revolution von unten
Es sind die Diktatur und das Elend, wogegen sich im März 2011 die Bevölkerung in einigen Städten Syriens erhob. Es handelte sich um eine zivile Bewegung, die am Anfang noch nicht einmal den Sturz der Regimes forderte, sondern lediglich Reformen. Der Auslöser war der Protest von Angehörigen gegen die Inhaftierung und Misshandlung ihrer Kinder durch die Unterdrückungsorgane in der Stadt Dera’a, im Süden Syriens.
Das Regime antwortete aber mit blanker Repression. Erst daraufhin radikalisierte sich die Bewegung und breitete sich über das ganze Land aus. Sie war ganz klar ein Teil des arabischen Frühlings, der in Tunis und Kairo begann.
Ba’ath-Partei zerfällt
Überall richtete sich die Bewegung gegen die herrschende Staatspartei, die vielerorts zerfiel. Im April trat fast die gesamte Mitgliedschaft der Ba’ath-Partei in Dera’a aus. Im Juni erreichte die Bewegung Hama und Homs. Allein in Hama mit seinen 500.000 Einwohnern gingen einige Hunderttausend auf die Straße, in immer neuen Protestzügen, trotz Beschuss durch Heckenschützen. Die Bewegung setzte ausschließlich auf gewaltfreie Methoden des zivilen Widerstands.
Doch im Juli kam auch in Hama der Ansturm der Armee. Mit Artillerie und Panzern, später auch aus der Luft wurde die Stadt bombardiert. Überall dasselbe Bild: das Regime kommt von außen an die Städte heran in Form der Armee, kreist die Städte ein, riegelt sie ab, schneidet die Versorgung ab, bombardiert und marschiert dann ein.
Gewalt des Regimes
Lange Zeit blieben Damaskus und Aleppo ruhig, zumindest in den Stadtzentren – erzwungenermaßen. Militärische Posten riegelten den Zugang in Damaskus zwischen den Stadteilen ab, die Geheimpolizei stand freitags am Ausgang der Moscheen.
Natürlich hat auch das Regime noch Anhänger. Es gab auch Demonstrationen für Assad in Damaskus. Nicht eine dieser Demonstrationen wurde im Jahr 2011 beschossen. Es war das Regime, von dem die Gewalt ausging, und die eine Spirale der Gewalt auslöste. Die Taktik war so einfach wie bestialisch: die Revolution in Blut ertränken.
Fahnenflucht en masse
Ergebnis war, dass immer mehr Soldaten sich weigerten, gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen. Sie setzten sich ab, flüchteten oder richteten die Waffe gegen die Offiziere. Syrien erlebt seit 2011 eine der größten Fahnenfluchtbewegungen des modernen Kapitalismus. Wenn es nicht so gewesen wäre, dann hätte das Regime die Revolution längst niedergeschlagen. Doch so kam es, dass nur ein kleiner Teil der bewaffneten Kräften überhaupt als sichere Einheiten zur Verfügung standen.
Die Schlacht aktuell um Aleppo verdeutlicht dies. Um 20.000 Mann zusammenzuziehen, die den Aufstand in der größten Stadt des Landes niederschlagen sollen, musste das Regime lange umkämpfte Städte wie Azaz aufgeben. Dort herrscht seit Ende Juli ein Organ, das sich selbst Soldatenrat nennt, an dessen Spitze ein Lehrer steht, über das Nachkriegselend. Was den Zorn des Regimes hervorruft: Vorgestern gab es die Nachricht, das die Zentrale der Selbstverwaltung dort aus der Luft bombardiert wurde. Zahlreiche zivile Opfer waren die Folge. Das ist eine kollektive Bestrafung einer Bevölkerung, die den Fehler macht, nicht Assad gehorchen zu wollen.
Vielfältige Opposition
Diese Bewegung ist keine Ansammlung von außen gesteuerter Marionetten. Das heißt nicht, dass wir den Widerstand kritiklos betrachten. Deswegen ist es wichtig, wie überall, einen Blick auf die wirkenden Kräfte werfen:
In den ausländischen Medien wird der Syrische Nationalrat abgefeiert, der sich im türkischen Exil gegründet hat. Tatsache ist, dass er die bewaffnete Intervention fordert und ansonsten wenig Verankerung vor Ort hat. Er wird von den Muslimbrüdern dominiert und ist von reichlich inneren Kämpfe um die künftige Rolle im befreiten Syrien gekennzeichnet. Mittlerweile gibt es aus seinen Reihen bereits zwei selbst ernannte provisorische Regierungen. Der SNC ist kein Bündnispartner für die Linke.
Herz der Revolution
Daneben besteht das Koordinierungskomitee für die demokratischen Wandel in Syrien. Ein Bündnis aus linken und kurdischen Organisationen, dass die ethnische Einheit des Landes will, gegen Gewalt und gegen westliche Intervention steht. Das Problem ist, dass dieses Bündnis, dass der LINKEN deutlich näher steht, selbst nicht durch eine klare Linie in Erscheinung tritt, eher durch einzelne Stellungnahmen und die Reisediplomatie seiner prominenten Vertreter.
Vor Ort wird der Widerstand in den Lokalen Koordinierungskomitees organisiert. Sie haben die Autorität und sind das Herz der Revolution. Wie der Name sagt, koordinieren sie und setzen deshalb keine politische Richtung fest. Innerhalb der LKK können politischen Strömungen nebeneinander agieren.
Militärische Ebene
Die freie syrische Armee FSA ist nur teilweise eine zentral agierende Truppe; eine unübersehbare Zahl von Milizen aus Deserteuren oder bewaffneten Ortsbewohnern geben sich selbst diesen Namen und agieren örtlich begrenzt. Das Mischmasch entspricht der Verwurzlung des bewaffneten Widerstands im revolutionären Prozess. Es ist aber klar, dass, je länger sich der Kampf weg von der zivilen hin zur militärischen Ebene verlagert, immer mehr Erscheinungen wie in normalen Guerillaarmeen bemerkbar machen müssen. Insbesondere kann die Abhängigkeit von Geld und Waffen aus dem Ausland rasch zu einer Abhängigkeit gegenüber äußeren Mächten und ihren politischen Bedingungen, als auch zu einer potenziellen Korrumpierbarkeit ihrer Kommandeure führen.
Im Schatten dieser Entwicklung entstanden seit Anfang 2012 dschihadistische Gruppen wie die Nusra-Front, die einen Krieg gegen andere Konfessionen wie Schiiten und Alawiten führen. Sie haben nichts mit der Revolution zu tun. Aber sie können auf den Ängsten aufbauen, die regimetreuen Milizen erzeugen: die so genannten Shabiha-Milizen des Regimes – Todesschwadrone, die ihrerseits den Konflikt in einen Glaubenskrieg kanalisieren wollen, um die Revolution in Blut zu ertränken. Seit Jahresanfang hat es rund 80 dschihadistische Anschläge gegeben. Shabiha und Nusra schaukeln sich gegenseitig auf und führen einen Krieg mit bestialischen Methoden.
Formen des Bürgerkriegs
Es ist klar, dass die Revolution nicht siegen kann, wenn der Konflikt mehr und mehr Formen des Bürgerkriegs annimmt. Immer mehr Syrer flüchten – die zivilen Massendemonstrationen haben einem Bürgerkrieg Platz gemacht. Es ist eine Pattsituation entstanden, wo weder das Regime, noch der bewaffnete Widerstand den entscheidenden Durchbruch erzielen kann. Die Zeit spielt aber gegen Assad, da er immer weniger Perspektive zu bieten vermag. Das Überlaufen des Premierministers Hidschab zur Opposition war ein Anzeichen dafür, dass seine Machtbasis im eigenen Lager schwächer wird.
Die aktuelle Entwicklung erzeugt eine geopolitische Kettenreaktion, von der wir nicht wissen, wohin sie führt. Russland will seinen Einfluss nicht verlieren, Iran und Hisbollah nicht ihren Bündnispartner. Die USA als stärkste Macht sind natürlich nicht inaktiv und wollen die instabile Situation zum eigenen Vorteil wenden – derzeit noch über indirekte, verdeckte Methoden.
Regime ohne Assad
Ihr Ziel ist es nicht, die Ba’ath-Herrschaft zu stürzen. Erst diese Woche rief US-Verteidigungsminister Panetta die FSA dazu auf, »so viel Militär und Polizei wie möglich intakt zu lassen«, nachdem Assad die Macht verlassen habe.
Ihnen geht es um eine »jemenitische Lösung«. Das heißt: der Präsident geht ins Exil, so wie der jemenitische Präsident Saleh, und der Rest bleibt bestehen. In der Zwischenzeit ist nur noch die Frage, inwieweit die USA und der Westen selbst an Einfluss auf die neuen Herren gewinnen.
Truppeneinsatz rechtfertigen
Um diese Linie durchzusetzen, bedarf es am Ende bewaffneter Kräfte: entweder syrische Bündnispartner – oder doch gleich eigene Soldaten. Es sind die Niederlage im Irak und das Feststecken in Afghanistan, die die Stationierung westlicher Truppen bislang hinaus gezögert haben. Doch die Kriegsdrohungen aus Washington gegen Assad nehmen zu.
Um den Einsatz von Truppen zu rechtfertigen, werden sie humanitäre Gründe anführen. Lassen wir uns nicht täuschen: eine US-Intervention wurde noch nie aus humanitären Erwägungen geführt. Genauso wenig geht es Saudi-Arabien und Katar um Demokratie, wenn sie Waffen nach Syrien schicken. Ihnen geht es vor allem um die Schwächung des Iran.
Solidarität mit der Bewegung
Die deutsche Politik ist heuchlerisch. Die beschlossenen Sanktionen treffen vor allem die Bevölkerung. Westerwelle geißelt den Einsatz syrischer Panzer gegen die syrische Bevölkerung als Verbrechen. Doch gleichzeitig sollen hunderte Panzer nach Saudi-Arabien geliefert werden – Panzer, die insbesondere zur Aufstandsbekämpfung geeignet sind, wie in Bahrain. Und nun droht der nächst Panzer-Deal: auch Katar ist interessiert. Katar und Saudi-Arabien: genau jene Mächte beziehen deutsche Waffen, die in Syrien indirekt Konfliktparteien sind.
Unsere Solidarität gebührt den Menschen in Syrien. Das heißt: Solidarität mit der Revolution, mit der Demokratiebewegung, Nein zu jedweder Form militärischer Intervention von außen.
(Niederschrift eines Beitrags auf der Sommerakademie der Sozialistischen Linken)
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