>> marx21-Fotos vom Conti-Protest in Hannover
Brennende Reifen, eingeschlagenen Scheiben und ein verwüstetes Büro. Weil die Bosse von Continental tausende Beschäftigte entlassen wollen, eskalieren in Frankreich die Proteste. Von Yaak Pabst
Die Proteste von Beschäftigten des Reifenherstellers Continental gegen die von der Unternehmesführung geplanten Werksschließungen spitzen sich zu. Nachdem ein Gericht am vergangenen Dienstag die Klage von Gewerkschaften gegen die Standortschließung in Clairoix abgewiesen hatte, stürmten wütende Arbeiter ein Verwaltungsgebäude. Hunderte Angestellte drangen in die Präfektur von Compiégne ein und verwüsteten Büros. Am Standort selbst wurden Scheiben eingeworfen. Am Mittwoch blieb die Conti-Fabrik in Clairoix nördlich von Paris geschlossen, weil die Unternehmensführung weitere Ausschreitungen fürchtete (siehe Video).
Die Conti-Bosse wollen sich durchsetzen. Konzernchef Karl-Thomas Neumann erklärte vor der Aktionärsversammlung: "Arbeit für alle bei Continental läßt sich nicht herbeidemonstrieren. Bis sich die Autoindustrie von der tiefen Absatzkrise erholt, dauert es Jahre. Deshalb haben wir keine Wahl: Wir müssen das Haus Continental kleiner machen, auch über Restrukturierungen." Konkret geplant ist bereits die Schließung der Lkw-Reifenproduktion in Hannover-Stöcken und Clairoix mit 1900 Stellen. Zwischen Anfang 2008 und März 2009 hat der Konzern nach eigenen Angaben bereits 14.000 Beschäftigte, darunter 5000 Leiharbeiter, auf die Straße gesetzt. Neumann kündigte zudem eine Ausweitung der Kurzarbeit an. Im April werde sich die Zahl der Betroffenen hierzulande von 20.000 auf 25.000 steigern, womit mehr als die Hälfte aller Conti-Beschäftigten in Deutschland in Kurzarbeit wären.
Gemeinsame Demonstration – gemeinsamer Protest?
Vor der Aktionärsversammlung am letzten Donnerstag demonstrierten 3000 Arbeiter aus Frankreich und Deutschland gemeinsam für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Unter der Parole "Solidarität – Solidarité" zogen sie vom Hauptbahnhof zum "Hannover Congress Centrum", um ihrer Wut über die Vernichtung von tausenden Arbeitsplätzen Ausdruck zu verleihen. Sie stellten damit auch klar, dass sich die Belegschaften in den beiden Ländern nicht gegeneinander ausspielen lassen. Werner Bischoff vom Hauptvorstand der IG BCE warf der Unternehmensleitung "sozialpolitischen Kahlschlag" vor (Siehe Video).
Doch die Strategie der deutschen Gewerkschaftsführung hinkt den Ereignissen hinterher. Statt weitere Kampfmaßnahmen einzuleiten, hofft Werner Bischoff auf die Einsicht der Unternehmesführung. "Dem Vorstand rufen wir zu: Handelt verantwortlich und sozial", so Bischoff auf der Kundgebung.
Die Arbeiter in Frankreich haben klarere Vorstellungen. Auf der Demonstration unterstrichen sie ihre Forderung, dass es keine einzige Entlassung geben darf. Sie wollen eine Garantie aller Arbeitsplätze bis 2012, notfalls auch durch eine Beteiligung des Staates. In der Conti-Fabrik bei Clairoix versammeln sich die Arbeiter regelmäßig, um ihr weiteres Vorgehen zu beraten. 400 bis 700 Arbeiter aus allen Abteilungen nehmen an den täglichen Vollversammlungen teil. Ihre Forderungen, allesamt auf Vollversammlungen verabschiedet, wollen die Arbeiter von Clairoix unbedingt durchsetzen. Sie hoffen, dass sie in zukünftigen Verhandlungen und unter Beteiligung einer gewählten Arbeiterdelegation, des Staates und von Continental in ihrem Sinne aufgenommen werden – und dass dabei alles unter ihrer eigenen Regie bleibt. Ein auf der Versammlung gewähltes Streikkomitee von 60 Arbeitern sorgt für die Umsetzung der kollektiv gefällten Entscheidungen. Eine solche Strategie fehlt der Gewerkschaft in Deutschland völlig. "Unter den Kolleginnen und Kollegen herrschen Resignation sowie Misstrauen gegenüber der IG BCE. Bei den letzten Betriebsrats-Wahlen lag die Beteiligung nur etwa bei 50 Prozent", berichtet ein Teilnehmer der Demonstration.
Es geht auch anders
Dass es möglich ist, die Continental-Bosse in die Knie zu zwingen, zeigt die Erfahrung der Arbeiter in Mexiko. Auch dort sollte das Conti-Reifenwerk 2002 geschlossen werden. In einem harten dreijährigen Kampf verhinderten die Kolleginnen und Kollegen die Schließung. Sie erreichten die Übergabe der Fabrik aufgrund ausstehender Lohnzahlungen an eine Mitarbeiter-Kooperative, die das Werk nun weiter betreibt. Ein Arbeiter aus Mexiko berichtete davon auf der Demonstration: "Dieser Streik war eine unvergessliche Erfahrung – wie haben den Riesen besiegt, wir, die kleinen Leute."
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