Vor 100 Jahren gewann der Norweger Amundsen den Wettlauf zum Südpol vor seinem britischen Konkurrenten Scott. Um die Ressourcen an den Polen streiten Nationalstaaten noch heute. Von Jan Maas
Als die Männer sich endlich ihrem Ziel nähern, bricht für sie eine Welt zusammen. Auf dem Plateau in der Mitte der antarktischen Schneewüste knattert bereits eine Flagge im Wind: die norwegische. Roald Amundsen und seine Begleiter sind den fünf Briten zuvorgekommen. Sie haben am 14. Dezember 1911 als erste den geografischen Südpol erreicht. Resigniert notiert Expeditionsleiter Robert Scott am 18. Januar 1912 in sein Tagebuch: »Das Furchtbare ist eingetreten (…) Traum meiner Tage – leb wohl!« Auf dem Rückweg gerät die Gruppe immer wieder in Orkane. Alle fünf Männer sterben.
Knapp 100 Jahre später begeben sich die Besatzungen zweier Tauchboote des Forschungsschiffes »Akademik Fjodorow« in Lebensgefahr. Ihre Mission: Am Nordpol in 4261 Metern Tiefe eine russische Flagge aus Titan in den Meeresboden zu senken. Die U-Boot-Mannschaften müssen das Loch im anderthalb Meter dicken Eis wiederfinden, bevor sie den Sauerstoff verbrauchen. »Es ist wie das Hissen der Flagge auf dem Mond«, sagt der Sprecher des zuständigen Instituts für Arktis- und Antarktisforschung, Sergej Baljasnikow, im russischen Fernsehen.
Landnahme am Meeresgrund
Im Gegensatz zu den fünf Briten kehrten die Tauchboote heil zurück. Mit der Expedition »Arktika 2007« versuchte die russische Regierung, ihre Ansprüche in der Arktis zu untermauern. Die UN-Seerechtskonvention (SRÜ) gewährt jedem am Meer gelegenen Land eine 12-Meilen-Zone für seine Hoheitsgewässer. Am Nordmeer liegen neben Russland: Norwegen, Dänemark, die USA und Kanada. Außerdem gewährt die SRÜ den Staaten eine Wirtschaftszone, die bis 200 Meilen vor die Küste reicht und erweitert werden kann, wenn sich der Festlandsockel am Meeresboden über diese Entfernung hinaus erstreckt.
Dass dies für Russland zutrifft, sollte die Expedition beweisen. Noch vor Ort erklärte eine Gruppe von 50 Wissenschaftlern, dass der Lomonossow-Rücken den russischen Festlandsockel fortsetzt. Dieser unterseeische Gebirgszug zieht sich von Sibirien bis Grönland quer über den Nordpol. Sowohl die kanadische als auch die dänische Regierung vertreten jedoch die Ansicht, dass der Rücken näher an Inseln liege, die zu ihrem jeweiligen Staatsgebiet gehören, und stellen die russische Landnahme am Meeresgrund sogleich in Frage.
Unentdeckte Ressourcen vermutet
Während die Anrainer der Arktis sich weiter um die Rechtmäßigkeit ihrer Ansprüche streiten, hat die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen schon begonnen. Im Sommer 2011 haben der US-Konzern ExxonMobile und die staatliche russische Rosneft ein strategisches Abkommen geschlossen. In der Vereinbarung, die ein Volumen in Höhe von 3,2 Milliarden US-Dollar umfasst, haben die beiden Konzerne im Beisein des russischen Regierungschefs Wladimir Putin beschlossen, neben Ölvorkommen im Schwarzen Meer auch Felder innerhalb der russischen Wirtschaftszone im Nordmeer auszubeuten.
DAS NEUE HEFT: AB 2. DEZEMBER
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Diese Vorkommen in der westsibirischen Karasee gehören nach Angaben von ExxonMobile zu den vielversprechendsten weltweit. Generell vermuten Experten unter dem auftauenden arktischen Eis riesige Öl- und Gasressourcen, um deren Erschließung die fünf Anrainerstaaten konkurrieren. Dem Circum-Arctic Ressource Appraisal des Geologischen Dienstes der USA zufolge liegen rund 13 Prozent der noch nicht von Geologen aufgespürten Ölvorräte der Welt in der Arktis. Außerdem schlummern der Studie zufolge dort etwa 30 Prozent der unentdeckten Gasreserven.
Kolonisierung der Pole
Um mehr von diesem Reichtum in Anspruch nehmen zu können, fordern kanadische und russische Politiker einen noch größeren Gebietsanteil als bisher. Sie vertreten die Position, die Arktis nicht nach dem SRÜ zu behandeln, sondern sie vollständig in nationale Sektoren aufzuteilen, so wie es zu Anfang des 20. Jahrhunderts schon einmal vorgeschlagen wurde. Mit dieser »Sektorenlösung« würde die Arktis in Abschnitte aufgeteilt, die vom Nordpol entlang der Längengrade bis zu den westlichsten und östlichsten Punkten der Nordküsten der Anrainerstaaten verlaufen würden.
Auf der anderen Seite des Globus, am Südpol, ist die »Sektorenlösung« längst umstrittene Realität. Im Jahr 1908 erklärt Großbritannien als erster Staat einen Teil der Antarktis zu seinem Gebiet. Nachdem der Rest der Welt kolonisiert ist, sehen die imperialistischen Mächte die Eiswüste als letzten Flecken an, den es zu erobern gelte. Beim Abschiedsessen für Scott sagt Leonard Darwin, Präsident der Royal Geographical Society: »Scott wird erneut beweisen, dass die Männlichkeit unserer Nation nicht tot ist und dass die Eigenschaften unserer Vorfahren, die das Empire errungen, noch unter uns gedeihen.«
Kampf um Rohstoffe
Während Scott und Amundsen im Juni 1911 in der Antarktis auf den Südfrühling und günstiges Wetter warten, spitzt sich der imperialistische Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte an anderer Stelle zu. Französische Truppen besetzen die marokkanischen Städte Fes und Rabat, der deutsche Kaiser Wilhelm II. schickt als Reaktion darauf das Kanonenboot »Panther« nach Agadir. Vor dem Hintergrund des deutsch-britischen Flottenrüstens wächst die Kriegsgefahr. Die Krise wird zwar beigelegt, weil Deutschland auf Ansprüche in Marokko verzichtet, doch drei Jahre später münden die konkurrierenden Weltmachtansprüche in Europa in den ersten Weltkrieg.
Am Südpol erheben bis 1946 sieben Staaten Anspruch auf Sektoren. Nach Großbritannien und Norwegen kommen Neuseeland, Australien, Frankreich, Chile und Argentinien. Die USA und Russland behalten sich bis heute eigene Ansprüche vor, obwohl der Status der Antarktis seit 1961 im Antarktisvertrag festgeschrieben ist. Demnach wird der Kontinent internationaler friedlicher Nutzung vorbehalten, besonders der wissenschaftlichen Forschung. Das Madrider Protokoll von 1991 schränkt auch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen ein.
Ansprüche auf die Antarktis
Doch Forscher vermuten ähnlich große Rohstofflager wie in der Arktis: 6,3 Milliarden Tonnen Erdöl und 115 Billionen Kubikmeter Erdgas, das entspricht 7 bzw. 48 Prozent der unerschlossenen Ressourcen weltweit. Dazu kommen Titan, Chrom, Eisen, Kupfer, Kohle und Uran sowie Platin und Gold. Entsprechend rangeln die Rivalen trotz aller Abkommen weiter. Chile und Argentinien standen 1978 wegen des Grenzverlaufs in Patagonien am Rande eines Krieges, weil nach der »Sektorenlösung« die Grenzlinie die Größe der antarktischen Tortenstücke bestimmt.
Und kurz nachdem die russische Expedition 2007 ihre Fahne am Nordpol versenkt hatte, meldete am anderen Ende der Erde die britische Regierung Ansprüche auf ein Seegebiet von einer Million Quadratkilometer an. Darauf reagierte die chilenische Regierung umgehend und kündigte an, eine verlassene Antarktisstation wieder eröffnen zu wollen, um eigene Gebietsforderungen zu unterstreichen. Inzwischen ist im November 2011 auch das russische Forschungsschiff »Akademik Fjodorow« wieder in See gestochen. Ziel diesmal: die Antarktis. Auch deutsche Forscher reisen mit. Diesmal vermessen sie nur Gletscher und unterirdische Seen.
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