Das »Modell Tunesien« macht Schule. Siân Ruddick über die neue Etappe im Aufstand gegen die Diktatoren Nordafrikas und des Nahen Ostens.
Am Dienstag kam es in Ägypten zu Massenprotesten. Menschen gingen in Alexandria, Suez, der Hauptstadt Kairo und anderen Gegenden des Landes auf die Straße.
Die Proteste wurden am Mittwoch fortgesetzt. Dies ist eine neue Etappe im Aufstand gegen die Diktatoren Nordafrikas und des Nahen Ostens, die durch die tunesische Revolution ausgelöst wurde.
Tausende riefen »Nieder mit Mubarak!«, gemeint ist der ägyptische Diktator, der das Land seit 1981 mit brutaler Unterdrückung regiert.
In vielen Medien heißt es, solche Proteste habe es in dem Land noch nie gegeben. Das ist aber falsch. Die Demonstrationen begannen am Dienstag wegen steigender Lebensmittelpreise, Korruption und Unterdrückung und sind eine Fortsetzung der Demokratie-, Antiimperialismus- und Streikbewegungen, die seit dem Jahr 2001 zu einem ständigen Merkmal der ägyptischen Gesellschaft geworden sind. Die Bewegung hat viele unterschiedliche Etappen erlebt.
Im Jahr 2004 protestierten Hunderttausende gegen die Besetzung des Iraks und Palästinas und forderten das Ende des Regimes von Mubarak. Die Muslimbruderschaft rief zu diesen Protesten auf. Sie ist die größte und wichtigste Oppositionsbewegung und ist in der Lage, die Menschen auf der Straße zu mobilisieren.
Neben der Muslimbruderschaft war die reiche Tradition der Linken und des arabischen Nationalismus wesentlich für die Entwicklung des Widerstands.
Vom Jahr 2006 bis 2008 traten die Textilarbeiterinnen und -arbeiter der Mahalla-Fabriken im Norden des Landes immer wieder in den Streik. Die Arbeiterinnen und Arbeiter hatten gegen den Konservativismus ihrer Gewerkschaftsführung und schwerer staatlicher Unterdrückung zu kämpfen. Sie besetzten ihre Fabriken und ließen sich nicht unterkriegen.
Auch wenn andere Betriebe im Land ihrem Beispiel nicht folgten, trug ihr Kampf dazu bei, neues Selbstbewusstsein zu entwickeln und die Tradition von Arbeiterradikalität wiederzubeleben. Eben diese Arbeiterinnen und Arbeiter haben an den neuen Protesten teilgenommen und weitere dorthin mobilisiert.
Die Rolle der Arbeiter in Ägypten wird für die anstehenden Auseinandersetzungen entscheidend sein.
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Am Dienstag weigerten sich Demonstranten auf dem Tahrirplatz in Kairo, die Kundgebung aufzulösen und besetzten stattdessen den Platz bis in die frühen Morgenstunden. Dann setzte die Polizei in den USA hergestelltes Tränengas ein und feuerte Gummigeschosse ab. Die Menge setzte sich zur Wehr, wurde aber schließlich zerstreut.
Laut Nachrichten wurden bei den Protesten mindestens vier Menschen getötet: drei Aktivisten und ein Polizist.
Der Freitag wird entscheidend werden. Dann wird sich zeigen, wie viele Menschen auf die Straßen gehen und zu den Moscheen. Es wird entscheidend sein, wozu die Imame ihre Gläubigen und die Muslimbruderschaft ihre Anhänger aufrufen werden.
Wir wissen nicht, wie diese neue Protestwelle enden wird – aber der Einfluss der Ereignisse in Tunesien auf die Region kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. In den nächsten Tagen wird Ägypten nicht nur in Bezug auf einen radikalen Wandel im Land selbst wichtig sein, sondern auch im Nahen Osten.
Zum Text:
Der Artikel ist zuerst erschinen in der britischen Zeitung »Socialist Worker«. Übersetzung: Rosemarie Nünning.
Mehr auf marx21.de:
- Sonderseite: Revolte in Nordafrika
Termine: Solidaritätsproteste
- Berlin: 28.01.2011 (Fr) um 15 UHR vor der ägyptischen Botschaft, Stauffenbergstr. 6-7, 10785 Berlin (Karte)
- Berlin: 29.01.2011 (Sa), 15 bis 17 Uhr, vor der Gedächtniskirche, Breitscheidplatz, 10789 Berlin (Karte)