Mehrere Fragen sind mit der Debatte um die Äußerungen der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Christel Wegner verbunden: Welchen Charakter hatte die DDR? Wie positioniert sich DIE LINKE zu Verstaatlichung? Wer darf auf LINKE-Wahllisten kandidieren? Ein Positionspapier des marx21-Netzwerkes
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Die nach der Landtagswahl-Niederlage von Roland Koch in Hessen angeschlagenen Konservativen haben ein Kampagnenthema gegen die LINKE gefunden. Christel Wegner, ehemaliges Fraktionsmitglied der LINKEN im niedersächsischen Landtag und DKP-Mitglied, plädierte laut Darstellung des Fernsehmagazins Panorama für die Einführung einer neuen Stasi nach einer revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft, weil „man sich auch davor schützen muss, dass andere Kräfte, reaktionäre Kräfte die Gelegenheit nutzen und so einen Staat von innen aufweichen". Christel Wegner sagt, sie hätte diese Aussage nicht im Zusammenhang mit der Stasi gemacht. Da Panorama sich weigert, das komplette Interview freizugeben, ist nicht nachzuvollziehen, was stimmt und was nicht.
Stasi gegen Arbeiter
Sollte die Darstellung von Panorama zutreffen, dann ist Wegners Beschreibung der Funktion der Stasi falsch. Die Stasi war nicht dafür da, die Arbeiterklasse vor reaktionären Kräften zu schützen, sondern Widerstand aus der Arbeiterklasse gegen die SED-Bürokratie im Keim zu ersticken.
In der DDR gab es viele Menschen, die aufrichtig eine bessere Gesellschaft aufbauen wollten – namhafte Intellektuelle und Künstler sind extra deswegen übergesiedelt. Doch diese Hoffnungen wurden mit der Niederschlagung des Arbeiteraufstand 1953 enttäuscht , wo offensichtlich wurde, dass die Arbeiter in der DDR nicht herrschen, sondern beherrscht werden.
Die Reaktion darauf war eine "Abstimmung mit den Füßen" durch die ostdeutsche Arbeiterklasse. Obwohl die SED-Bürokratie, geschockt durch den Aufstand 1953, versuchte, die Konsumgüterversorgung sicherzustellen, siedelten insbesondere junge, gut ausgebildete Facharbeiter in den Westen über. Der Mauerbau und die Einschränkung der Reisefreiheit war die Reaktion der DDR-Staatsspitze auf diese Abwanderung, die sich im wesentlichen aus Enttäuschung über die politische und ökonomische Realität in der DDR speiste. Christel Wegners Auffassung, dass die Mauer gebaut wurde, damit westdeutsche Arbeiter nicht mehr in der DDR einkaufen, ist falsch.
Für eine sozialistische Partei ist es eine entscheidende Frage, was man sich unter Sozialismus vorstellt. Grundkonsens in der LINKEN sollte sein, dass ein Sozialismus im 21. Jahrhundert keine Wiederauflage der DDR samt Stasi sein kann. Dieses Signal ist von der LINKEN auch gekommen.
Verstaatlichung
In der Diskussion sollte jedoch das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden. Gregor Gysi beließ es nicht bei einer Verurteilung der Stasi-Äußerungen als er sagte: "Es gibt für uns keinen Weg zurück zur DDR. Es gibt für uns keinen Weg zur Verstaatlichung der Produktionsmittel". Mit dem letzten Satz verwarf er auch die antikapitalistische Positionierung Wegners, die meint: "Die Macht des Kapitals kann nur dadurch überwunden werden, dass wir eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel bekommen, der Finanzinstitute und der Naturressourcen". Mit dieser Feststellung hat Wegner Recht.
Sie ist auch eine legitime Position in der LINKEN. Tatsächlich ist die Frage der Verstaatlichung und Vergesellschaftlichung beim bisherigen programmatischen Stand der LINKEN eine noch zu klärende, offene Frage.
Gregor Gysi versucht, das Ergebnis einer Debatte vorwegzunehmen, die gerade erst begonnen hat – und das mit schlechten Argumenten. Die Frage der Vergesellschaftung, das heißt der Kontrolle der Produktionsmittel durch die gesellschaftliche Mehrheit, ist nicht mit dem Hinweis auf deren vermeintliches Scheitern in der DDR erschlagen. Denn in der DDR gab es eben nur eine Verstaatlichung, keine Vergesellschaftung. Der Staat stand nicht unter gesellschaftlicher Kontrolle, sondern versuchte, die Gesellschaft mittels Parteidiktat und Stasi zu kontrollieren.
Offene Listen
Die Debatte um Christel Wegner hat die Frage der Kandidaturen von Nicht-Mitgliedern der LINKEN auf Listen der Partei aufgeworfen. Bundestags-Fraktionsvize Bodo Ramelow hat angekündigt, dass es "in Zukunft in Deutschland auf unseren Listen keine Fremdkandidaturen anderer Parteien mehr geben" wird. Er bezieht sich dabei auch auf das geänderte Bundeswahlrecht, das Fremdkandidaturen bei Bundestagslisten nicht mehr möglich macht. Auf Landes- und kommunaler Ebene sind Fremdkandidaturen aber sehr wohl noch möglich.
Bei der Listenaufstellung sollte die Politik entscheiden und nicht formale Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Kandidaten repräsentieren die LINKE und ihre Positionen nach außen und sollen das mit Glaubwürdigkeit tun – die man sich im jahrelangen politischen Kampf eben auch außerhalb des Parlaments erwirbt. Wenn ein Genosse der DKP diese Anforderungen erfüllt, zum Beispiel eine angesehene Vertrauensfrau oder ein Friedensaktivist, und sich einverstanden erklärt, nicht irgendwelche, sondern die Positionen der LINKEN zu vertreten, dann ist das unproblematisch. Solche Dinge müssen in einer für die Mitglieder der LINKEN transparenten Diskussion geklärt werden.