Die Sondierung in Hessen ist vorbei, Schwarz-Grün kommt wohl. Der Druck auf DIE LINKE, in die Regierung zu gehen, war immens – doch die Partei blieb bei ihren Grundsätzen. Von Volkhard Mosler
Bei der hessischen Landtagswahl im September verloren CDU und FDP ihre Mehrheit. Die bisherige Opposition aus SPD, Grünen und LINKE hat in der kommenden Wahlperiode eine Mehrheit von zwei Stimmen im Parlament. Im Unterschied zur Bundestagswahl signalisierte das Ergebnis eine gewisse Wechselstimmung im Land.
Die LINKE hat es mit 5,2 Prozent wieder in den Landtag geschafft, die hessische SPD hat unter Schäfer-Gümbel wesentlich besser abgeschnitten als die Bundes-SPD mit Kanzlerkandidat Steinbrück. Aber eine Koalition aus SPD und Grünen hätte allein keine Mehrheit.
Massive Kürzungen der Ausgaben
SPD und Grüne sind auch dieses Mal mit linken Programmen und Versprechungen in den Wahlkampf gezogen. Nun geben sie sich wie so oft nach Wahlsiegen erstaunt, dass diese sich nicht finanzieren lassen. Das jährliche Defizit des hessischen Landeshaushalts beträgt rund 1,5 Milliarden Euro. Nach den Vorgaben der »Schuldenbremse« müsste dies bis 2020 auf Null reduziert werden. SPD und Grüne bestehen darauf, diese massive Ausgabenkürzung durchzusetzen, unter anderem durch Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst (beispielsweise Lehrerstellen).
Das größte Kürzungsprogramm in der bisherigen Geschichte des Landes Hessen war vor zehn Jahren die »Operation Sichere Zukunft« des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch. Dagegen gab es damals massiven Protest. Die Operation Düstere Zukunft, wie sie von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen umgetauft wurde, hatte einen Umfang von einer Milliarde Euro.
Drastischer Sozialabbau steht an
Ohne Mehreinnahmen durch eine andere Steuerpolitik auf Bundesebene bedeutet das Beharren aller anderen Parteien auf der Haushaltskonsolidierung nicht nur, dass von den Forderungen der sozialen Bewegungen und der LINKEN in den kommenden fünf Jahren nichts umgesetzt werden könnte. Auch von den Wahlversprechen von SPD und Grünen würde nichts übrig bleiben, im Gegenteil: Statt eines Mehrs an sozialer Infrastruktur (Bildung, Betreuung, Wohnungsbau, ÖPNV) steht das drastischste Kürzungsprogramm in der Geschichte des Landes an.
Dabei ist vollkommen offensichtlich, dass sich durch eine Kürzung der Ausgaben das strukturelle Haushaltsdefizit nicht ausgleichen lässt. Keine Partei, einschließlich CDU und FDP, kann sagen, wie ein ausgeglichener Haushalt erreicht werden soll, ohne die Funktionsweise der gesamten öffentlichen Infrastruktur in Frage zu stellen. SPD und Grüne aber fordern von der LINKEN eine Antwort auf die Haushaltssituation, die sich nur verbessern ließe durch deutliche höhere Mittelzuweisungen vom Bund. Und dort hat die SPD in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU alle Forderungen nach Steuererhöhungen bei den Reichen und Vermögenden aufgegeben.
Angriffe auf die Wähler
Die neue Landesregierung wird also, egal wer sie stellt, frontale Angriffe auf die Wählerschaft von LINKEN, SPD und Grünen fahren müssen: Es stehen deutliche Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst an, Mittelkürzungen für Kitas, Schulen und Hochschulen sowie für den ÖPNV und den sozialen Wohnungsbau und außerdem Privatisierungen. Die Beteiligung an einer solchen Regierung würde nicht nur für SPD oder Grüne, die beide mit der CDU über Koalitionen verhandelten, sondern erst recht für DIE LINKE bedeuten, massiv an Glaubwürdigkeit zu verlieren und die eigene Identität als Bündnispartner im Sinne von Sprachrohr und Motor von sozialen Bewegungen in Frage stellen oder gar zerstören.
Für DIE LINKE, die sich in Hessen erst in den letzten Jahren ein gewisses Standing aufgebaut hat, käme die Rolle als Juniorpartner in einer Regierung, die spart, »bis es quietscht«, einem politischen Selbstmord gleich. Die einzige Alternative, die eine rot-grün-rote Landesregierung zum Verrat der Wahlprogramme aller drei Parteien hätte, wäre ein offensiver Kampf gegen die Steuerpolitik der Bundesregierung verbunden mit der Mobilisierung der Bevölkerung und der Verabschiedung von Landeshaushalten, die keinerlei Kürzungen, sondern Mittelaufstockungen enthalten. All dies haben SPD und Grüne kategorisch ausgeschlossen.
Erwartungsdruck auf DIE LINKE
Trotz der desolaten Lage des Landeshaushalts haben viele Menschen ihre Hoffnungen in eine Zusammenarbeit der »linken« Parteien gesetzt. Das Umfrageinstitut Infratest-Dimap ermittelte Mitte Oktober, dass 42 Prozent der SPD-Wähler, 48 Prozent der Grünen-Wähler und 84 Prozent der LINKEN-Wähler für ein rot-grün-rotes Regierungsbündnis in Hessen sind.
In den Tagen und Wochen nach der Wahl wurde DIE LINKE geradezu bombardiert mit E-Mails, sie solle kompromissbereit sein und so eine Ablösung des Ministerpräsidenten Bouffier (CDU) durch ein linkes Regierungsbündnis ermöglichen. Diese Forderung wurde nicht zuletzt von all den Menschen und Organisationen erhoben, an deren Seite DIE LINKE in den vergangenen Jahren gekämpft hat: Gewerkschaften, Initiativen gegen den Lärm am Frankfurter Flughafen, Mieterinitiativen, Flüchtlingsnetzwerke. Wie geht DIE LINKE mit solchen Erwartungen ihrer Wähler und Mitglieder um?
Diktat der Schuldenbremse
Die hessische LINKE befand sich 2008 schon einmal in dieser Situation. Wir sprachen damals von einem »Drahtseilakt«, den die Partei zu meistern habe und bei dem man sehr leicht nach zwei Seiten abstürzen könne. Und wir fügen heute hinzu: die Absturzgefahr in Richtung einer bedingungslosen Unterwerfung unter das Diktat der Schuldenbremse ist wesentlich größer, weil der Druck von sozialen Bewegungen und Gewerkschaften auf DIE LINKE groß ist, sich bedingungslos in ein »linkes« Regierungsbündnis zu begeben. Unter den Bedingungen desolater Staatsfinanzen sowie einer grundgesetzlich festgeschriebenen Schuldenbremse würde dies in Hessen bedeuten, dass DIE LINKE früher oder später nicht für Reformen und Verbesserungen, sondern für Sozialabbau und Massenentlassungen im öffentlichen Dienst verantwortlich würde.
Die hessische LINKE hat in den Sondierungsgesprächen immer wieder betont, dass sie für eine Ablösung von Bouffier und für ein rot-grün-rotes Bündnis bereit sei. Janine Wissler und der hessischen Landesvorsitzende Ulrich Wilken haben aber von Beginn an keinen Zweifel daran gelassen, dass sie nicht bereits seien, unter dem Druck der Schuldenkrise Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst oder anderen Formen des Sozialabbaus zuzustimmen. Wissler sprach von einer »roten Linie«, die DIE LINKE nicht überschreiten werde.
Hoffnungen der Wähler
Auch einen Absturz in die gegenteilige Richtung einer sektiererischen Isolation hätte die hessische LINKE sehr leicht haben können, wenn sie mit Verweis auf negative Erfahrungen in anderen Bundesländern erklärt hätte, dass sie gegen jedes Regierungsbündnis mit Rot-Grün sei.
Der politische Preis einer solchen abstrakten Weigerung wäre hoch gewesen, DIE LINKE hätte die Mehrheit ihrer Wähler und Mitglieder vor den Kopf gestoßen, die Hoffnungen in ein Bündnis der »linken« Parteien setzen und nicht sehen, wie begrenzt die Handlungsmöglichkeiten gerade einer solchen Regierung wären. In Wahlkämpfen werden zumindest von den »linken« Parteien immer wieder Hoffnungen auf Reformen geweckt.
Sondierungsgespräche als Lehrstück
Sowohl der Absturz in Richtung einer unkritischen, bedingungslosen Regierungsbeteiligung wie auch in Richtung einer abstrakten Ablehnung jeder Regierungszusammenarbeit mit Rot-Grün führen in die Niederlage. Die einzige Möglichkeit, den Drahtseilakt der Bündnisverhandlungen zu meistern, besteht darin, den Wählerinnen und Wählern deutlich und nachvollziehbar zu machen, dass DIE LINKE einen Politikwechsel will, Regieren aber kein Selbstzweck ist. Die ausführlichen, über vier Wochen dauernden Sondierungsgespräche zwischen Rot-Grün-Rot sind ein Lehrstück.
In den ersten beiden Verhandlungsrunden wurden viele Gemeinsamkeiten in der Bildungspolitik, der Energiepolitik, der Sozial- und Arbeitsmarktspolitik festgestellt. In der Innenpolitik war DIE LINKE »kompromissbereit«: Sie machte die Abschaffung des Landesamtes für Verfassungsschutz ebenso wenig zur Vorbedingung eines Regierungsbündnisses wie die Schließung der neuen Landebahn des Frankfurter Flughafens oder die Schaffung von tausenden Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst. Aber sie rückte nie von ihren Grundbedingungen ab: kein Stellenabbau, kein Sozialabbau und keine Privatisierungen.
SPD und Grüne wollen keinen Politikwechsel
Nach der vierten Runde zitierte die Frankfurter Neue Presse (FNP) Thorsten Schäfer-Gümbel, der weiterhin eine »positive Grundstimmung« für einen Politikwechsel ausmachte. Aber, fragte die Zeitung, was heiße schon »positive Grundstimmung«, wenn es »mit den Programmen nicht klappt? […] Da sind den Verhandlungspartnern viel zu viele der häufig beschworenen roten Linien im Weg«, über die »niemand gehen« wolle. So verweigere die Linkspartei »standhaft Kompromisse bei den Personalkosten, während sich SPD und Grüne einig sind, dass es ohne Einschnitte in den Bestand der Landesbediensteten keine Konsolidierung geben kann.«
SPD und Grüne, die jeweils gemeinsam zu den Verhandlungen mit der LINKEN anrückten, ließen öffentlich keine Gelegenheit aus, die Unnachgiebigkeit der LINKEN für das mögliche Scheitern der Sondierungsgespräche verantwortlich zu machen – und verschwiegen, dass nicht nur die Maximalforderungen der LINKEN, sondern auch ihre eigenen Minimalziele mit der Schuldenbremse nicht umzusetzen sind. Den Vorsitzenden der LINKEN Landtagsfraktion Willi van Ooyen zitierte die FNP mit den Worten: »Wir sind die einzigen, die dieses Bündnis [Rot-Grün-Rot] wirklich wollen.« Die FNP stimmte zu: »Damit hat von Ooyen wohl Recht.«
Rote Haltelinien helfen der LINKEN
Falls die Verhandlungen über Rot-Grün-Rot in Hessen tatsächlich endgültig gescheitert sind, dann wissen die Wähler der LINKEN, der Grünen und der SPD, dass DIE LINKE bereit war zu Verbesserungen in Bildung und Sozialpolitik, sich aber geweigert hat, den Haushalt zu Lasten der Beschäftigen des öffentlichen Dienstes – und das heißt auch: zu Lasten der Schüler, Eltern, Studierenden und vieler anderer – zu sanieren.
Zwei wichtige Lehren ergeben sich aus den hessischen Sondierungsgesprächen für DIE LINKE bundesweit. Erstens: Das Bestehen und der öffentliche Verweis auf die »roten Haltelinien« bieten eine Möglichkeit, den Weg in die politische Isolation zu vermeiden, ohne die Identität der Partei zur verraten. Zweitens: Die Politik der Haushaltskonsolidierung ohne eine andere Steuerpolitik, die zu Mehreinnahmen der öffentlichen Hand führt, geht verschärft zu Lasten des öffentlichen Dienstes. Die Angriffe richten sich auf die öffentlich Beschäftigten ebenso wie auf die Menschen, die auf öffentliche Dienstleistungen und Unterstützung angewiesen sind. Die LINKE darf sich dabei nicht zur Komplizin machen.
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