Es geht um Milliarden-Profite: Energiekonzerne benutzen die Klimaschutzdebatte, um den Ausstieg aus der Kernkraft zu verhindern. Doch mit den jüngsten Protesten gegen die Castor-Transporte hat auch der Widerstand der Anti-Atom-Bewegung zugenommen. Wolfgang Ehmke, Mit-Organisator der Proteste im Wendland, im Gespräch mit marx21
marx21: Mit insgesamt rund 16.000 Teilnehmenden waren die Anti-Atom-Proteste Anfang November im niedersächsischen Wendland so groß wie schon lange nicht mehr. Woran lag das?
Wolfgang Ehmke: Es kommen verschiedene Faktoren zusammen. Zum einen trommelt die Atomwirtschaft schon seit Monaten unter wechselnden Überschriften für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Roboterhaft wiederholt – nicht nur – Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU), Atomstrom sei ein Beitrag zum Klimaschutz. Die Versuche, eine Renaissance der Atomkraft herbei zu schreiben, werden permanent fortgesetzt, gerade muss ein Ex-Greenpeace-Mann als »Zeuge« für diese kruden Versuche herhalten. Ich spreche von Patrick Moore. Man kann das medial sogar verorten: »Focus«, »Zeit« und »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, aber auch der »Spiegel« warten im Permanenz mit diesen Thesen auf.
Dann aber wurde regierungsoffiziell eingestanden, was wir schon lange wissen: Die beiden Atommülldeponien Asse II und Morsleben sind havariert. In der Asse strömen seit 1988 täglich 12 Kubikmeter Wasser aus dem Deckgebirge ein, die Lauge hatte eine Einlagerungskammer erreicht und die kontaminierten Wässer wurden illegal verpresst. Rund 126.000 Fässer mit Atommüll liegen dort drin. Morsleben droht einzustürzen und wird gerade stabilisiert, dort lagern ca. 37.000 Kubikmeter Atommüll, das meiste nicht aus der Zeit, als die Grube für den Kraftwerkkomplex Bruno Leuschner genutzt wurde, sondern aus den 90er Jahren.
Da geht doch manch einem ein Licht an: Wie kann man Atomkraftwerke betreiben, wenn die Atommülldesaster so offensichtlich sind. Jeder Betreiber einer Pommesbude muss nachweisen, wo er seine Abfälle entsorgt, aber die Betreiber von Atomkraftwerken lassen Fässer stapeln, verstürzen oder stark strahlende Castorbehälter in luftigen Hallen aufstellen. Folge der ganzen Sache ist, dass der Parteienstreit um die Atomkraft und Gorleben voll entbrannt ist.
War die Größe des Protestes eine »Eintagsfliege« oder kann man von einer Renaissance der Anti-Atom-Bewegung sprechen?
Ich bin vorsichtig. Es war in der Phase der Mobilisierung zu spüren, dass deutlich mehr Menschen sich auf den Weg ins Wendland machen würden, von der Teilnehmerzahl waren wir selbst positiv überrascht.
Wir werden im Wahljahr 2009 unter Beweis stellen, dass es keine Eintagsfliege war. wird an den AKW-Standorten wie Biblis, Neckarwestheim und Brunsbüttel beziehungsweise Krümmel im Wahljahr Proteste geben. Denn die Dauerreparaturen an den genannten AKWs, die laut Atomkonsens noch in dieser Legislaturperiode vom Netz gehen sollten, sind ein durchsichtiges Manöver der Energiewirtschaft, diese Meiler über die Zeit zu retten, in der Hoffnung, ab dem Herbst 2009 könne eine neue Regierung die per Atomgesetz regulierten Laufzeiten annullieren. Jedes Jahr Weiterbetrieb der genannten Reaktoren spült den Energiekonzernen rund 250 Millionen Euro zusätzlich die Kasse.
Wie breit war der Protest? Welche Leute haben teilgenommen?
Die Menschen in der Region sind hoch politisiert und bilden bei jedem Castortransport mit rund 5.000 bis 6.000 Menschen den harten Kern. In diesem Jahr gab es eine breite Unterstützung: Hauptredner war Hartmut Meine, Bezirksleiter Niedersachsens und Sachsen-Anhalts der IG Metall. Das Thema Atomkraft rief die Grünen und die LINKE auf den Plan. Die Bauern fuhren mit 350 Traktoren zur Demo vor und blockierten den Castortransport sowohl mit Traktoren als auch mit der bekannt gewordenen Betonpyramide, an die sie sich angekettet hatten, über Stunden. Auffällig sind die vielen jungen Leute, die sich engagieren. Die Schülerinnen und Schüler im Wendland demonstrieren übrigens nicht nur, wenn der Castor rollt, sondern in jedem Jahr.
Haben die globalisierungskritischen Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 einen Einfluss gehabt?
Bestimmt, auch wenn es mühselig ist, die unterschiedlichen Protestszenen zu vernetzen. Das Engagement gegen den G8-Gipfel war in unserer Initiative umstritten. Einigen fehlte die Ausrichtung auf die Verteilungskämpfe in der Welt um Öl und Gas und die Rolle der Atomkraft als zivil-militärische Option. Um es ehrlich zu sagen, das zentrale Thema, das über Krieg und Frieden entscheidet, spielte eine untergeordnete, aber unterschwellige Rolle. Wie überhaupt das Thema Atomkraft latent Menschen beschäftigt, beunruhigt und immer wieder auf die Straße treibt. Auch die Aktionsformen in Heiligendamm waren schon im Wendland erprobt, sogar die Auseinandersetzung um das Demonstrationsrecht. Schließlich erleben wir die gleiche Polizei in gleicher Personenstärke – rund 16.000 Polizistinnen und Polizisten.
Die Atomindustrie sagt, dass Atomstrom billig sei. Stimmt das?
Atomkraft ist nur deshalb kostengünstig, weil die versteckten und offenen Investitionen, die in diese Form der Energiegewinnung geflossen ist, sich nicht auf den Gestehungspreis für eine Kilowattstunde auswirken. Das »Deutsche Institut für Wirtschafsforschung« errechnete Begünstigungen in Höhe von 50 Milliarden Euro in der Zeit von 1956 bis 2006. Würde man das umrechnen auf die Kilowattstunde Atomstrom, so läge der Preis nicht bei 3,5 Eurocent, sondern bei 4,7 Eurocent. Gestehungskosten für Strom aus Windkraft liegen derzeit nur noch bei 6 bis 10 Eurocent pro Kilowattstunde, ein wirklicher Kostenvorteil ist dahin geschmolzen.
Entscheidend ist, dass der Preis an der Leipziger Energiebörse ausgehandelt wird. Dort beträgt der Spotpreis für die Grundlast 5,64 Eurocent, die Differenz streichen die Konzerne ein, deshalb kämpfen sie so zäh um die Laufzeitverlängerung. Ein Neubau ohne staatliche Zuschüsse treibt den Gestehungspreis auf über 10 Eurocent.
Nehmen wir Olkiluoto in Finnland. Der Reaktor der »neuen Linie« sollte 3,2 Milliarden Euro kosten, jetzt schon ist klar, dass er mindestens 1,5 Milliarden teurer wird. Er wird nicht 2009, sondern frühestens 2012 ans Netz gehen. Frankreichs EDF (Electricité de France) ist weit davon entfernt, »liberalisiert« zu sein, es ist ein Staatskonzern, der sich mit Hilfe von Sarkozy als fliegendem Teppichhändler und »Staatsknete« anschickt, in der Welt Atomkraftwerke anzubieten. Abu Dhabi, Ägypten, Marokko… stehen auf der Kundenliste. Die Gefahr der Proliferation? Ausgeblendet.
Droht eine »Versorgungslücke«, wenn Atomkraftwerke abgeschaltet werden? Müssen nicht mehr Kohlekraftwerke gebaut werden, wenn auf Atomkraft verzichtet wird?
Sie spielen auf die Position der »Deutschen Energie-Agentur« (dena) an?
Ja. Die dena wird in der Presse oft als neutrale Institution präsentiert und ihr im März vorgelegter Bericht hat Atomkraftbefürworter bestärkt…
Die Agentur hatte mit dieser Veröffentlichung für Aufmerksamkeit gesorgt, in der sie einer angeblich drohenden Stromknappheit in Deutschland das Wort redete. Zwar nicht heute, aber immerhin im Jahre 2020 würden im Land insgesamt gut 11.000 Megawatt fehlen. Wie die dena zu ihren Erkenntnissen gelangt ist, daraus machte sie kein Hehl: Gespräche mit großen Energiekonzernen. Die nötigen Kontakte dürfte die Agentur nicht erst aufbauen müssen, immerhin werden ihre laufenden Kosten laut dem Online-Lexikon Wikipedia zu 50 Prozent von den vier Stromriesen EON, Vattenfall, RWE und EnBW übernommen.
Ich halte mich zunächst an aktuelle Daten. Im Jahr 2008 wird sich der Strom, der ins Ausland verkauft wird, auf voraussichtlich 25 Milliarden Kilowattstunden summieren, das ist Rekord. Obwohl die Reaktoren in Brunsbüttel, Biblis und Krümmel dauerrepariert werden, also eigentlich belegen, dass Atomkraft kein verlässlicher Stromlieferant ist. Umgerechnet auf die Kraftwerksleistung arbeiten drei Atomkraftwerke nur für den Export. Die Überschüsse gehen auf das Wachstum der regenerativen Energien zurück.
Das »Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie« ergänzt, die prognostizierte »Stromlücke« sei eine Legende. Es gibt immer noch riesige Energiesparpotentiale. Binnen 10 Jahren könnten 100 bis 120 Terrawattstunden Strom eingespart werden – durch die Erhöhung der Energieeffizienz, Gebäudeisolierung etc.
Was ist die Alternative zu Atom und Kohle?
Ich zitiere weiter das Wuppertal-Institut: Es gibt umweltfreundlichen und kostengünstigen Ersatz für die alten Kraftwerke: im Grundlastbereich Biomasse, Windkraft aus Anlagen im Meer, Geothermie sowie Solarstrom-Import aus der Mittelmeer-Region. Dann Strom aus dezentralen Anlagen in Kraft-Wärme-Koppelung. Und erst am Schluss stelle sich die Gretchenfrage, ob hocheffiziente, mit Klimaschutzzielen kompatible Kohlekraftwerke, wenn möglich eben auch in Verbindung mit der Kraft-Wärme-Koppelung, benötigt werden.
Was soll mit dem bereits entstandenen Atommüll geschehen, wohin damit?
Interessant, dass wir diese Frage immer wieder gestellt bekommen, wo doch seit 40 Jahren Forschungsinstitute und Behörden vergeblich an der Lösung arbeiten. Unsere gesellschaftliche Rolle ist nicht die einer Forschungseinrichtung, wir übernehmen eine Wächterfunktion.
Nur so viel kann ich sagen: Gorleben ist für die Lagerung hochradioaktiver Abfälle politisch und geologisch verbrannt. Das weiß man seit Mitte der 80er Jahre, als die Ergebnisse der Tiefbohrung ausgewertet wurden. Die Parallelen zwischen der Asse II und Gorleben drängen sich förmlich auf, auch in Gorleben hat der Salzstock Wasserkontakt. Ob Salz überhaupt als Lagergestein geeignet ist? Nicht untersucht sind bisher die Auswirkungen von Strahlung und Hitze auf das Salzgestein.
Es muss in jedem Fall ein vergleichendes Suchverfahren ohne Gorleben im Pool geben, Ton und kristalline Gesteine müssen einbezogen werden, aber das Geld dafür wollen die Verursacher nicht herausrücken, obwohl sie fast 30 Milliarden Euro an Rückstellungen – übrigens steuerfrei – gebildet haben.
Eine wichtige Überlegung ist, ob es nicht eine Zwischenlösung geben sollte, nämlich eine rückholbare Lagerung. Wir sind allerdings strikt gegen den Atommüllexport, das Verschieben des Mülls und des Problems in Länder, die für die Lagerung kassieren würden, wo aber Umweltstandards keine Rolle spielen.
Nächstes Jahr sind Bundestagswahlen. Dann wird Atomenergie auch Wahlkampfthema. Wird sich die Anti-Atom-Bewegung einmischen?
Wir arbeiten parteienunabhängig, also wird es keinerlei Wahlempfehlungen geben. Über die Parteienkonkurrenz in Sachen Atomausstieg freuen wir uns. Wir messen im Übrigen die Parteien an ihren Taten, nicht an Worten.
Welche nächsten Schritte plant die Anti-Atom-Bewegung und was kann man tun, um diese zu unterstützen?
Anfang Februar trifft sich die Atomlobby, das »Deutsche Atomforum«, zu ihrer Wintertagung in Berlin. Dort wollen wir die Herrschaften argumentativ und demonstrativ im Tagungslokal umzingeln. Am 26. Februar ist eine Lichterkette von Braunschweig zum Atommüll-Lager Asse II geplant und von dort zum geplanten Endlager für schwachaktiven Müll Schacht Konrad, das als Grab für die schwach- und mittelaktiven Abfälle vorgesehen ist – immerhin eine Strecke von rund 40 km. Übrigens: Jeder kann sofort etwas tun, nämlich zu einem Öko-Strom-Anbieter wechseln.
(Die Fragen stellte Frank Eßers)
Zur Person:
Wolfgang Ehmke ist Vorstandsmitglied der seit 1977 existierenden »Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg«. Er ist seit langer Zeit in der Anti-Atom-Bewegung aktiv und publiziert zum Thema.
Mehr auf marx21.de:
Mehr im Internet:
- Fotos von den diesjährigen Anti-Castor-Protesten zum Beispiel bei Umbruch-Bildarchiv, Indymedia und X-tausenmal quer.