Das beschlossene Programm ist eine gute Grundlage, neue Mitglieder für DIE LINKE zu gewinnen. Aber dafür muss die Partei sich nach außen wenden. Von Nils Böhlke
Mit einer überragenden Mehrheit von 96,9 Prozent haben die Delegierten des Bundesparteitags am 23. Oktober in Erfurt ein Grundsatzprogramm beschlossen, das einen klar antikapitalistischen Kurs vorgibt. Im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Mitgliederentscheid wird jedes Mitglied der Partei DIE LINKE ein gedrucktes Exemplar des Parteiprogramms per Post erhalten. Der Entscheid wird vom 17. November bis zum 15. Dezember laufen, am 18. Dezember wird dann öffentlich im Karl-Liebknecht-Haus ausgezählt. Das gibt die Möglichkeit, die Beschlüsse des Erfurter Parteitages breit in der Mitgliedschaft und über die Partei hinaus bekannt zu machen, für die Zustimmung zum Programm zu werben und neue Mitglieder für DIE LINKE zu gewinnen.
Vorangegangen war eine monatelange intensive Debatte in den Kreis- und Landesverbänden. Insgesamt etwa 1400 Änderungsanträge wurden dem Parteitag vorgelegt und abgearbeitet. Wesentliche Konfliktpunkte wurden allerdings zwischen den verschiedenen Strömungen bereits im Vorwege durch Kompromisse aus dem Weg geräumt. Dies betrifft die Haltung zu öffentlichen Beschäftigungssektoren, Auslandseinsätzen der Bundeswehr, zum Nahostkonflikt, den so genannten Haltelinien bei Regierungsbeteiligungen, dem bedingungslosen Grundeinkommen, und dem Arbeitsbegriff. Bei all diesen Bereichen gab es eine Vielzahl Änderungsanträge, von denen jeweils einige eine Aufweichung und andere eine Klarstellung linkerer Positionen vorsahen.
Bei jedem dieser Bereiche gab es allerdings massiven Druck, zugunsten eines einheitlichen Erscheinungsbildes auf eine Diskussion auf dem Parteitag zu verzichten und stattdessen die Kompromissformulierung zu übernehmen. Diesem Druck folgten die Delegierten, obwohl sich viele eine inhaltliche Debatte zu wichtigen Fragen gewünscht hätten. Letztlich überwog aber das Gefühl, dass nur ein gemeinsames Vorgehen das eigene gesellschaftliche Gewicht erhöhen kann. Allerdings zeigt die bereits am Tag nach dem Parteitag fortgesetzte Personaldiskussion, wie fragil diese Einheit ist und dass nur ein Ruf nach Einheit keine ausreichende Antwort auf die problematische Situation der Partei ist. Schließlich ist Einheit keinesfalls ein Wert für sich, sondern nur dann, wenn sie zum gemeinsamen Handeln führt.
Problematische Einfallstore
Der Wunsch nach Einheit hat dazu geführt, dass Passagen im Programm übernommen worden sind, die zwar die Programmatik nach links verschoben haben, aber dennoch nach wie vor problematische Einfallstore öffnen können. Beispielsweise in der Friedensfrage sind zwar die von einigen vorgesehenen Einzelfallprüfungen bei jedem einzelnen möglichen Einsatz zugunsten einer generellen Absage an Kampfeinsätze der Bundeswehr abgelehnt worden. Allerdings ist die vom linken Flügel der Partei gewünschte Ablehnung aller Auslandseinsätze ebenfalls nicht in das Programm gekommen. Das ist insbesondere deshalb kritisch, weil heute viele Einsätze eben nicht mehr als Kampfeinsätze bezeichnet werden. Stattdessen werden sie als humanitäre Maßnahmen verkauft, die aufgrund der medialen Propagandaschlacht vor solchen Einsätzen nur schwer als wirkliche Kampfeinsätze enttarnt werden können.
Auch bezogen auf die Bedingungen für einen Eintritt in eine Koalition gab es eine Kompromissformulierung, die die Hürden erhöht und eine Politik, wie sie vor allem in Berlin vom dortigen Landesverband in der Koalition mit der SPD gemacht wurde, quasi unmöglich macht. So sind Privatisierungen und Sozialabbau zukünftig ein politisches »No-Go« für DIE LINKE. Allerdings ist es angesichts der absehbaren Kürzungsorgien aufgrund der Schuldenbremse und den Milliarden für die Bankenrettungspakete eine Schwäche, dass nicht – wie ursprünglich vorgesehen -, Personalabbau im öffentlichen Dienst unter Mitwirkung der LINKEN generell untersagt ist, sondern nur dann, wenn sich dadurch »die Leistungsfähigkeit des Öffentlichen Dienstes« verschlechtert. Diese Formulierung ist so offen gehalten, dass sie nur schwer nachzuprüfen ist und nach wie vor Personalabbau ermöglicht.
Schritt nach links
Prinzipiell ist dieses Programm ein wichtiger Schritt nach links für DIE LINKE. Verglichen mit den Programmen der PDS und auch den gemeinsamen Eckpunkten der beiden Quellparteien WASG und PDS bei der Gründung der gemeinsamen Partei hat dieses – trotz einiger Brüche – einen klareren antikapitalistischen Charakter. So gibt das Programm trotz des an allen Ecken und Enden zu erkennenden Kompromisscharakters eine klare Klassenorientierung vor, hat den Antikriegskurs der Partei unterstrichen und klarer herausgearbeitet, wer das Eigentum in dieser Gesellschaft erarbeitet und wer es besitzt. Dies ist auch dadurch untermauert, dass dem Programm das Gedicht »Fragen eines lesenden Arbeiters« von Bertolt Brecht vorangestellt wurde.
In Resolutionen orientierte der Parteitag auf die aktive Mitwirkung der Partei, z.B. bei den Aktionen gegen den Krieg in Afghanistan Anfang Dezember in Bonn. Die Bewegung »Occupy – Profiteure der Krise zur Kasse« wird unterstützt, wie auch der Widerstand gegen »Stuttgart 21«.
Reformer gespalten
Von den Medien sind diese zentralen Punkte gut aufgegriffen worden und wurden eindeutig Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht zugeordnet, die gestärkt aus diesem Parteitag herausgegangen sind. So wurde Sahra in der ARD-Nachberichterstattung mit einem eigenen Beitrag als kommende Frau der Partei gewürdigt. Der Reformerflügel dagegen ist schwach und gespalten wahrgenommen worden. Die Enthaltung der stellvertretenden Parteivorsitzenden, Halina Wawzyniak, bei insgesamt gerade einmal zwölf Enthaltungen und vier Nein-Stimmen ist ebenso ein Ausdruck dafür, wie die geringe Zustimmung zu Programmänderungsanträgen des fds.
Der Beschluss über das Parteiprogramm war noch keinen Tag alt, als aus den Reihen des fds erneut die „Personaldebatte« mit dem Vorschlag angeheizt wurde, den Termin des nächsten Parteitages vorzuziehen, um vorfristig einen neuen Vorstand zu wählen. Ins Gespräch gebracht wurde eine Doppelspitze Sahra Wagenknecht – Dietmar Bartsch als Parteichefs und der sachsen-anhaltinische Landesvorsitzende Matthias Höhn als Geschäftsführer sowie die Bestätigung Gysis als alleiniger Fraktionschef. Das sind Versuche, den direkten Zugriff auf das nach wie vor größte Machtzentrum der Reformer, das Karl-Liebknecht-Haus, zu erhöhen und gleichzeitig eine Wahl Sahra Wagenknechts in die Fraktionsspitze noch in diesem Jahr zu verhindern. Angesichts der eigenen Schwäche werden sie sich vermutlich nicht durchsetzen. Inzwischen hat Gesine Lötzsch ihre erneute Kandidatur als Parteivorsitzende angekündigt.
Die Geschichte linker Parteien zeigt allerdings, dass ein besonders linkes Programm keinesfalls sicherstellen muss, dass keine rechte Politik gemacht wird. Als die SPD 1914 den Kriegskrediten zustimmte, widersprach das dem eigenen Programm. Gegen eine solche Entwicklung hilft nur der berühmte Schritt wirklicher Bewegung, der jetzt vor Ort unterstützt werden muss.
Mehr auf marx21.de:
- »Eigentumsfrage ist der archimedische Punkt«: Am Wochenende hat DIE LINKE auf ihrem Parteitag in Erfurt ihr erstes Programm beschlossen. marx21.de dokumentiert die Rede von Oskar Lafontaine
- Eine neue Bewegung – eine neue Chance: Hunderttausende stehen weltweit gegen die Macht der Banken auf. Auch hierzulande wächst der Protest. Die LINKE kann eine wichtige Stütze dieser Bewegung werden – und sich so aus der Dauerkrise befreien