Die deutsche Wirtschaft konnte die Krise aussetzen, weil plötzlich marktwirtschaftliche Grundsätze im Papierkorb landeten und der Staat den Banken mit Milliardenhilfen unter die Arme gegriffen hat. Trotzdem befinden sich die Regierenden in einer Sackgasse. Ein Kommentar von Thomas Walter
Zum Text:
Der Kommentar ist eine Vorabveröffentlichung der marx21 Winter Ausgabe. Das neue Heft ist ab 10. November 2010 erhältlich. Hier kostenfreies Probe Heft bestellen.
Die Bundesrepublik Deutschland erlebte im vergangenen Jahr mit einem Minus von fünf Prozent beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) ihren größten Wirtschaftseinbruch seit 1949. Inzwischen scheint das Schlimmste überwunden. Um 3,5 Prozent soll das BIP wieder wachsen. Auf dem Arbeitsmarkt blieb ein Einbruch aus. Übermütig fordern jetzt sogar FDP-Politiker höhere Löhne.
Doch verbessert hat sich die soziale Lage für die meisten Menschen bislang nicht. Zudem konnte die Wirtschaft nur gerettet werden, weil marktwirtschaftliche Grundsätze im Papierkorb landeten und der Staat den Banken mit Milliardenhilfen unter die Arme gegriffen hat. Auf diese Weise sollte das Exportmodell Deutschland am Leben erhalten werden. Die Exportindustrie hatte ihre Profite bei den Banken angelegt. Die Banken investierten die Profite in den USA. Die US-Industrie finanzierte mit diesen Krediten ihre Importe aus der BRD. Jetzt sind die Vereinigten Staaten pleite und damit könnte es eigentlich auch der deutschen Exportindustrie an den Kragen gehen. Da aber »der Staat«, also wir, diese Schulden übernommen hat, konnte die deutsche Wirtschaft die Krise aussitzen.
Diese Abhängigkeit vom Weltmarkt ist die Achillesferse der BRD-Wirtschaft, denn in der Welt sieht es düster aus. Die Profitraten sind so niedrig, dass wegen »Anlagenotstand« das Finanzkapital seine Kredite hoch verschuldeten Staaten wie den USA, Japan oder Deutschland wie sauer Bier anbietet. Die dafür verlangten Zinsen befinden sich im »Allzeittief«, melden Medien verwundert. Den »Marktradikalen«, wie IG-Metall-Chef Berthold Huber sie nennt, ist es ein Dorn im Auge, dass Staatshilfen so wohlfeil zu finanzieren sind. Die Menschen wundern sich hingegen, weshalb der Staat dem privaten Kapital hilft oder Arbeitsplätze in der Exportindustrie subventioniert – aber sonst nicht hilft, wenn Menschen in Not sind. Die Proteste gegen Stuttgart 21 signalisieren, dass viele nicht mehr bereit sind, jede Milliardensubvention – in diesem Fall an die chronisch darbende Bauwirtschaft – hinzunehmen, nur weil diese von »staatlichen Großaufträgen« abhängt.
Wegen des »Allzeittiefs« der Profitraten wird das Klima auf dem Weltmarkt rauer. So boomt zwar der Export nach China. Doch China nutzt die aus Deutschland importierten Maschinen, um selbst besser für den Export produzieren und gegen die BRD-Wirtschaft konkurrieren zu können. Protektionismus breitet sich aus. Die deutsche Industrie fordert die Bundesregierung auf, zu verhindern, dass China vor der deutschen Haustür in Polen Autobahnen baut und sich die Weltrohstoffe unter den Nagel reißt. Außer von »chinesischen Staatskonzernen« fühlt sich die deutsche Industrie auch von EU-Privatkonzernen bedroht. So soll die Regierung den spanischen Konzern ACS daran hindern, Hochtief aufzukaufen.
Zu allem Übel flutet auch noch die US-Zentralbank die Märkte mit selbstgedruckten Dollars. Das lässt den Dollarkurs sinken und macht so US-Waren gegenüber deutschen Exporten konkurrenzfähiger. Dabei ist diese »quantitative Lockerung« eine verzweifelte Maßnahme gegen die drohende Deflation (allgemein sinkende Preise), denn eine solche würde wohl endgültig in eine neue Weltwirtschaftskrise à la 1929 führen.
Die Herrschenden wollen raus aus der Sackgasse. Sie wollen die Staatsschulden wieder abbauen, indem sie im öffentlichen Dienst und bei den Sozialausgaben kürzen. Außerdem soll länger gearbeitet werden. Dabei wäre die angemessene Alternative, das Kapital zu besteuern – wenn es schon im Anlagenotstand nicht weiß, wohin mit den Profiten.
Zum Autor:
Thomas Walter ist Ökonom, Mitglied der LINKEN.