Die Bundesregierung ist in Umfragen abgestürzt. Das Oppositionslager aus SPD, Grünen und LINKE ist hingegen im Aufwind. Wie sehen die Perspektiven für einen gemeinsamen Widerstand gegen Schwarz-Gelb aus? Wie ist die Perspektive auf gemeinsame Regierungskoalitionen zu bewerten? Ein Thesenpapier des marx21-Netzwerks als Beitrag zur Debatte.
Zum Text: Im November findet in mehreren Städten die »marx is muss« Herbstkonferenz statt. Das Thesenpapier des marx21 Netzwerks ist ein Beitrag zur Podiumsveranstaltung »Krise von Schwarz-Gelb – Chancen für Rot-Rot-Grün«. Das Thesenpapier ist eine Vorabveröffentlichung der marx21 Winter Ausgabe. Das neue Heft ist ab 10. November 2010 erhältlich. Hier kostenfreies Probe Heft bestellen.
Einleitung
Seit Mitte Oktober 2010 kolportieren Medien wie Süddeutsche Zeitung und Spiegel ein internes Strategiepapier von Klaus Ernst, Gesine Lötzsch und Gregor Gysi, welches eine rot-rot-grüne Koalition nach der Bundestagswahl 2013 als »strategisches Ziel der LINKEN« ausgibt. In diesem Papier werden zwar Kernpositionen benannt, leider jedoch keine klaren Haltelinien ausgegeben – also Positionen, die mit der LINKEN keinesfalls zu machen sind. Es fällt damit hinter den aktuellen Programmentwurf zurück. Eine weitere Schwäche betrifft die vorwiegend parlamentarische Orientierung des Papiers. Potenzielle Schnittmengen mit SPD und Grünen werden nur ansatzweise als Aufgabe für die außerparlamentarische Mobilisierung gegen Schwarz-Gelb aufgegriffen.
Zwar wird die Schärfung des Profils der LINKEN als Aufgabe benannt, doch wie dies im Zusammenwirken mit SPD und Grünen im Bundestag umgesetzt werden soll, bleibt vage. So wird zum Beispiel nicht die Forderung nach Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan erhoben, sondern lediglich genannt, »Wege zur friedlichen Konfliktlösung in Afghanistan« zu suchen. Man kann dies als Hinweis lesen, dass Positionen der LINKEN bereits jetzt an die von SPD und Grünen angepasst werden sollen. Erfahrungen anderer linker Parteien in Europa wie unlängst der Sozialistischen Partei in den Niederlanden zeigen, dass derartige Anpassungen das Profil linker Politik abschleifen und die Zustimmung für diese Parteien in der Bevölkerung abnehmen lassen. Mit diesem Thesenpapier möchte das marx21-Netzwerk einen Beitrag zur Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen eines gemeinsamen Widerstands von SPD, Grünen und LINKEN gegen Schwarz-Gelb liefern.
1. Sarrazin-Debatte und die Revolte gegen Stuttgart 21: Das sind die Eckpunkte einer zunehmenden Polarisierung in Deutschland.
Die Krise ist bei den Menschen angekommen. Große Mehrheiten sind der Meinung, dass es nicht gerecht zugeht in Deutschland und in der Welt. Abstiegsängste greifen um sich. Hier setzen Politiker wie Thilo Sarrazin mit rassistischen und sozialdarwinistischen Thesen an. Konservative wie Horst Seehofer greifen diese Thesen auf und lenken die vorhandene Wut auf Sündenböcke um, insbesondere auf Muslime. Ergebnis ist ein rasanter Anstieg der Islamfeindlichkeit, die sich zur dominanten Form des Rassismus in Deutschland (und Westeuropa) im frühen 21. Jahrhundert entwickelt hat.
Das Kontrastprogramm dazu liefern Protestbewegungen wie gegen das Großprojekt Stuttgart 21 und die Atompolitik der Bundesregierung. Neu ist, dass diese Bewegungen ausgreifen. Das wiederum ist der zunehmenden Ablehnung des etablierten Politikbetriebs und dem weitverbreiteten Ungerechtigkeitsgefühl geschuldet. Von daher stellen diese Bewegungen keinen Bruch, sondern eine Fortsetzung von großen Mobilisierungen der jüngeren Vergangenheit, zum Beispiel gegen Hartz IV, dar.
2. Der erwartete schwarz-gelbe Frontalangriff auf den Sozialstaat läuft. Daraus resultiert die Pflicht aller linken Kräfte, Gegenwehr zu organisieren.
Schwarz-Gelb will die Krisenlasten auf lohnabhängig Beschäftigte, Rentner und Arbeitslose abwälzen – deshalb Kopfpauschale, Hartz-IV-Kürzungen und die absehbare Kürzungswelle durch die Schuldenbremse. Gleichzeitig erhalten Atom- und Pharmakonzerne Geschenke. Damit ist das von Merkel nach der Wahl 2009 angepeilte Projekt einer »bürgerlichen Regierung mit menschlichem Antlitz« Makulatur. Übrig bleibt in der sozialen Frage nackte Klassenpolitik. Hier sollte sich die Linke im weiteren Sinne einig im Widerstand sein, zumal etliche der Vorhaben Rahmenbedingungen für linke Politik in der Zukunft setzen. Besonders eine erfolgreiche Umsetzung anstehender Hartz-IV-Kürzungen würde das Kräfteverhältnis in den Betrieben weiter zuungunsten der Beschäftigten verschieben, weil Angst vor dem Absturz in die Armut nach einem Arbeitsplatzverlust Belegschaften erpressbarer macht. Und eine schwache Arbeiterbewegung ist nie eine gute Grundlage für einen wirklichen Politikwechsel.
3. Wesentliches Hindernis für die Abwehr schwarz-gelber Politik ist der von einigen gewerkschaftlichen Führungen gepflegte neue Krisenkorporatismus.
Der »heiße Herbst« wird im Vergleich zu europäischen Nachbarländern nicht so heiß werden. Das hängt mit den Eigenheiten der deutschen Situation im Rahmen der Weltkonjunktur zusammen: Wir haben auf der einen Seite die industriellen Kernbelegschaften in der Exportindustrie, die auch das Rückgrat der IG Metall stellen. Hier macht sich eine gewisse Entspannung breit. Deutschlands Exportindustrie ist durch die mit Lohnverzicht und Rationalisierung erkaufte Wettbewerbsfähigkeit Krisengewinner. Gut möglich, dass nach Auslaufen der Konjunkturprogramme die US-amerikanische und vielleicht auch die chinesische Wirtschaft in Schwierigkeiten gerät, was dann auch hier deutlich spürbar werden würde. Für den Moment sieht es aber so aus, als wäre für die Kernbelegschaften die Krise relativ glimpflich ausgegangen.
Ganz anders sieht dies natürlich bei den prekär Beschäftigten in Leiharbeit, Minijobs und ähnlichen Beschäftigungsverhältnissen sowie bei den Erwerbslosen aus. Deren Lebenssituation hat sich verschlechtert und wird sich durch das »Sparpaket« weiter verschlechtern. Sie sollen die Hauptlast der Kürzungen tragen. Ein zweiter großer Sektor der Angriffe ist der öffentliche Dienst. Auf ihn soll die Verschuldung der öffentlichen Haushalte abgewälzt werden. Die Bundesregierung weiß natürlich auch um die Spaltungen unter den Beschäftigten und Erwerbslosen und hat ihre politische Strategie darauf aufgebaut: Die industriellen Kernbelegschaften werden geschont und in ein »Bündnis für mehr Wettbewerbsfähigkeit« reingezogen, die anderen mit Hilfe einer »Salamitaktik« angegriffen.
Ein breiter Widerstand erfordert in einer solchen Situation ein hohes Maß an politischem Verständnis und Solidarität, so zum Beispiel die Einsicht eines Arbeiters bei Porsche in Stuttgart, dass ein Sinken der Hartz-IV-Bezüge auch für ihn schlecht ist, weil die Angst vor Entlassung und dadurch der Druck auf die Löhne steigt. Oder die Einsicht, dass der Preis für die Sicherung von Arbeitsplätzen hier die Arbeitslosigkeit in anderen Ländern ist, die ihre »Hausaufgaben«, sprich Agendapolitik und Lohnabbau, nicht gemacht haben. Diese Einsichten werden von maßgeblichen Kräften in der IG-Metall-Führung nicht vermittelt, im Gegenteil: Die Sozialpartnerschaft feiert bei ihnen wieder fröhliche Urständ. Führende IG-Metall-Funktionäre freuen sich ob ihres neugewonnenen »Einflusses« auf die Bundesregierung und haben an wirklicher Konfrontation kein Interesse. Ohne die Kernbelegschaften ist jedoch der Kampf gegen die Kürzungen schwer zu führen. Ver.di ist vielerorts zu schwach, um die notwendigen Auseinandersetzungen allein zu stemmen. Hier liegt ein wesentliches Aufgabenfeld für alle, die einen Politikwechsel anstreben.
4. Wesentliches Hindernis für die Abwehr schwarz-gelber Politik ist der von einigen gewerkschaftlichen Führungen gepflegte neue Krisenkorporatismus.
Der »Heiße Herbst« wird im Vergleich zu europäischen Nachbarländern nicht so heiß werden. Das hängt mit den Eigenheiten der deutschen Situation im Rahmen der Weltkonjunktur zusammen: Wir haben auf der einen Seite die industriellen Kernbelegschaften in der Exportindustrie, die auch das Rückgrat der IG Metall stellen. Hier macht sich eine gewisse Entspannung breit. Deutschlands Exportindustrie ist durch die mit Lohnverzicht und Rationalisierung erkaufte Wettbewerbsfähigkeit Krisengewinnler. Gut möglich, dass nach Auslaufen der Konjunkturprogramme die amerikanische und vielleicht auch die chinesische Wirtschaft in Schwierigkeiten gerät, was auch deutlich hier spürbar würde. Für den Moment aber sieht es so aus, als wäre für die Kernbelegschaften die Krise relativ glimpflich ausgegangen. Ganz anders sieht dies natürlich bei den großen Bereichen der prekär Beschäftigen in Leiharbeit, Minijobs und ähnlichen Beschäftigungsverhältnissen sowie den Erwerbslosen aus. Deren Lebenssituation hat sich verschlechtert und wird sich über das »Sparpaket« weiter verschlechtern – sie sollen die Hauptlast der Kürzungen tragen. Ein zweiter großer Sektor der Angriffe ist der Öffentliche Dienst – auf ihn soll die Verschuldung der Öffentlichen Haushalte abgewälzt werden. Die Bundesregierung weiß natürlich auch um die Spaltungen unter den Beschäftigten und Erwerbslosen und hat ihre politische Strategie darauf aufgebaut: Die industriellen Kernbelegschaften werden geschont und in ein »Bündnis für mehr Wettbewerbsfähigkeit« reingezogen, die anderen Sektoren in Salamitaktik angegriffen.
Ein breiter Widerstand erfordert in so einer Situation ein hohes Maß an politischen Verständnis und Solidarität, so zum Beispiel die Einsicht eines Arbeiters bei Porsche Stuttgart, dass ein Sinken von Hartz IV auch für ihn schlecht ist, weil die Angst vor Entlassung und so der Druck auf den Lohn steigt. Oder die Einsicht, dass der Preis der Sicherung von Arbeitsplätzen hier, die Arbeitslosigkeit in anderen Ländern ist, die ihre »Hausaufgaben«, sprich Agendapolitik und Lohnabbau nicht gemacht haben. Diese Einsichten werden von maßgeblichen Kräften in der IG Metall-Führung nicht vermittelt, im Gegenteil: Die Sozialpartnerschaft feiert bei ihnen wieder fröhliche Urständ. Führende IG-Metall-Funktionäre freuen sich ob ihres neugewonnenen »Einflusses« auf die Bundesregierung und haben an wirklicher Konfrontation kein Interesse. Ohne die Kernbelegschaften ist jedoch der Kampf gegen die Kürzungen schwer zu führen. Ver.di ist vielerorts zu schwach, um die notwendigen Auseinandersetzungen allein zu stemmen. Hier liegt ein wesentliches Aufgabenfeld für jeden, der einen Politikwechsel anstrebt.
5. Der Aufstieg der Grünen eröffnet neue rot-grüne Optionen in Bund und Ländern. Doch ohne Aufarbeitung der rot-grünen Regierungszeit (1998–2005) und grundlegende Schlussfolgerungen wird sich kein Politikwechsel einstellen.
Die rot-grüne Regierungszeit der Jahre 1998 bis 2005 brachte den größten Sozialabbau seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und weltweite Kriegseinsätze der Bundeswehr. Eine Aufarbeitung, weshalb ein vermeintliches Reformprojekt so verkommen konnte, steht vonseiten der damals Beteiligten noch aus. Mal werden die »Machopolitiker« Gerhard Schröder und Joschka Fischer verantwortlich gemacht. Linkere Kräfte bei SPD und Grünen beklagen, die Regierung habe sich plötzlich vom »neoliberalen Virus« infizieren lassen. All diesen Erklärungen ist die Hoffnung gemein, mit anderem Personal und erhöhter Widerstandskraft gegen neoliberale Viren könne der nächste rot-grüne Versuch besser werden.
Diese Hoffnung ist trügerisch, denn die rot-grüne Performance war kein Betriebsunfall. Die Politik der Agenda 2010 war eine Antwort der deutschen Herrschenden und Regierenden auf den verschärften globalen Wettbewerb. Im Wesentlichen war es ein Versuch, durch eine Veränderung der Kräfteverhältnisse zugunsten des Kapitals die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen, insbesondere im Exportsektor. Dass dadurch ein fataler globaler Wettlauf nach unten angeheizt wird, juckt die deutschen Konzernchefs nicht, solange ihre Profite steigen. Ihre Politik für den »Standort Deutschland« hat auf der einen Seite Profite gesteigert, auf der anderen Seite Löhne und Gehälter nach unten gedrückt. Sie hat Tarif- und Sozialstandards ausgehöhlt, prekäre Beschäftigung zur Massenerscheinung gemacht und hat mit den Hartz-Gesetzen Millionen Menschen in Armut per Gesetz gestürzt. Mit Lohndumping wurde der Export deutscher Waren angetrieben und damit zugleich Arbeitslosigkeit und Krisen in andere Länder exportiert. Maßgebliche Kräfte des SPD-Spitzenpersonals sehen in der Politik der Agenda 2010 noch immer ein erfolgreiches Konzept, notwendig für den »Standort Deutschland«, und propagieren die Illusion, dass sprudelnde Profite Quelle für soziale Politik sein könnten. Ebenso sind die Militäreinsätze der Bundeswehr im Rahmen der NATO oder der EU Teil dieser Politik: Es geht darum, ökonomische Machtausübung international militärisch zu untersetzen – ein Umstand, auf den der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler zum Unmut der politischen Klasse vor einigen Monaten hinwies.
Es ist unerheblich, ob Rot-Grün von vornherein eine derartig weitgehende Politik zugunsten des Kapitals geplant hat. Die Wirtschaft hat durch ihre ökonomische Macht diese Politik durchgesetzt. Das Herausdrängen von Oskar Lafontaine aus dem rot-grünen Projekt gleich zu Beginn durch eine Kampagne der Konzerne war dafür ein Menetekel. Die Macht der Konzerne ist ungebrochen, auch künftige Regierungskoalitionen, egal welcher Couleur, werden diesem Druck ausgesetzt sein. Unter den gegebenen kapitalistischen Rahmenbedingungen geht eher ein Kamel durch das Nadelöhr, als dass sich die SPD nachhaltig nach links wendet. In den Debatten über Rot-Rot-Grün 2013 und bei Verhandlungen auf Länderebene sollte dieser wesentliche Punkt eine große Rolle spielen.
6. Kern eines grünen Reformprojekts ist der »Green New Deal«, ein ökologischer Umbau der Marktwirtschaft, der Profitinteressen und Umwelt harmonisieren soll. Dieses Projekt ist ein Luftschloss.
Ein grüner Kapitalismus soll nach Vorstellungen von Bündnis 90/Die Grünen der Kern eines neuen Reformprojekts sein. Die Grünen preisen den »Green New Deal« als Antwort auf die Krisen des Kapitalismus, als Ausweg an. Im Kern sollen »grüne« Energieunternehmen den Konzernen für fossilie und atomare Energie Stück für Stück Marktanteile abjagen. Doch diese Theorie hat einen Haken: Sie funktioniert in der Praxis nicht. Sie setzt auf den Markt. Das ist eine Illusion. In der Realität sind global 13 Billionen US-Dollar an Investitionen direkt an die ölfördernde Industrie gebunden. Auch die Auto-, Lkw- und Flugzeughersteller samt Zulieferer, der Straßenbau, Transportfirmen, Zulieferer für Öl-, Kohle- und Gasunternehmen, die Petrochemie, Kunstdünger- und Stahlproduzenten und andere sind an das herrschende Wirtschaften mit fossilen Energien gebunden. Mehr noch: Neun der zehn größten Konzerne der Welt, mit einem Umsatz von hunderten Milliarden US-Dollar, machen ihren Profit im fossilen Sektor. Durch die Adern des Kapitalismus fließt schwarzes Blut: Öl.
Und auch die Atomindustrie wird staatlicherseits in unterschiedlicher Form massiv unterstützt, nicht nur in Deutschland. Oft machen Energiekonzerne sowohl mit Atom als auch mit Kohle ihre Profite. Das gilt für alle vier großen Energiekonzerne in Deutschland. Diesem »schwarzen Block« der Konzerne gegenüber sind erneuerbare Energien trotz gestiegener Umsätze im Nachteil. Denn über die globalen Märkte fließt massiv Kapital zu den Konzernen, die mit Öl, Kohle und Gas sowie in der Atomindustrie Geschäfte machen. Mit fossilen Energien und mit Atomenergie lassen sich höhere Gewinne erzielen. Wegen der weltweit steigenden Nachfrage nach Energie wachsen die Profite dieser Konzerne und damit wächst ihre Macht.
Hinzu kommt die über die letzten 100 Jahre gewachsene enge Vernetzung zwischen Politik und traditioneller Wirtschaft. Letztere hat in diesem Zeitraum eine Machtposition gewonnen, die sich nicht so leicht mit den Mitteln der Konkurrenz auf den Märkten aushebeln lässt. Denn die Märkte sind das Spielfeld der »Global Player« im Bereich fossiler und atomarer Energie.
Kapitalismus bedeutet Wirtschaftswachstum um jeden Preis. Soziale Standards, Arbeitsschutz, Löhne und eben die Umwelt haben in diesem Gesellschaftssystem nicht die höchste Priorität.
7. Ein (rot-)rot-grüner Aufbruch ist unter gegenwärtigen Bedingungen von der Regierungsbank aus nicht machbar. Es gilt, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu verändern.
Ohne fundamental geänderte Rahmenbedingungen, im Wesentlichen durch eine starke gesellschaftliche Bewegung, die eine reale Gegenmacht gegen die Macht des Kapitals repräsentiert, werden künftige rot-grüne Regierungen ähnliche Wege gehen wie die Regierung Schröder. Daran würde auch eine Beteiligung der LINKEN nichts ändern. Erfahrungen auf Landesebene, so in Berlin und Brandenburg, zeigen, dass DIE LINKE ihre selbst gewählte Rolle als »Garant für einen echten Politikwechsel« nicht wahrnehmen kann. Wenn SPD und Grüne beschließen, nach linkem Blinken in der Regierung rechts abzubiegen (und die Erfahrungen aus der Zeit von 1998 bis 2005 legen das sehr nahe), gibt es nichts, was DIE LINKE als Juniorpartner dagegen machen könnte. Hier werden falsche Erwartungen geweckt, die in Frustration enden müssen.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Reformpolitik weniger von der Farbe der Regierung als von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängt. Das Fundament der deutschen Sozialgesetzgebung wurde unter Bismarck gelegt – offenkundig nicht als mildtätige Gabe, sondern abgetrotzt durch eine kämpferische Sozialdemokratie. Ihr wollte der Konservative Bismarck durch die Verbindung von Sozialpolitik und Repression (Sozialistengesetze) das Wasser abgraben.
Das gilt in ähnlicher Weise für die 1950er Jahre, als eine starke Gewerkschaftsbewegung der konservativen Regierung Adenauer in Boomzeiten soziale Rechte abtrotzte. Auch hier war die SPD in der Opposition und stand an der Seite der Gewerkschaften.
Der Spielraum von Regierungen wird festgelegt durch wirtschaftliche Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Kräfteverhältnisse. Diese erheblich nach links zu verschieben, ist Grundvoraussetzung für jedwede Frage nach den Reformchancen einer linken Regierung. Andernfalls droht die sattsam bekannte Mangelverwaltung.
8. Für eine Widerstandsagenda gegen Schwarz-Gelb.
Es wird die gesellschaftliche Linke nicht stärken, so zu tun, als gebe es weder die aktuelle rhetorische Linkswende der SPD noch den Aufstieg der Grünen. Zu behaupten, diese beiden seien Teil des »neoliberalen Einheitsbreis« und DIE LINKE die einzige Alternative, geht an der Wahrnehmung großer Teile der Bevölkerung vorbei.
Geboten ist daher eine gesellschaftliche Bündnispolitik mit Gewerkschaften, Bürgerbewegungen, der Antiatombewegung, der Friedensbewegung, der antifaschistischen, antirassistischen Bewegung und kritischen Initiativen wie beispielsweise den Anti-Stuttgart-21-Kräften. In diesen Zusammenhängen ist ein Zusammenwirken mit SPD und Grünen gegen Schwarz-Gelb möglich. Daraus kann ein gesellschaftliches Widerstandsprojekt entstehen, das Kräfte um folgende zentrale Forderungen bündelt:
a) Stopp dem schwarz-gelben Kürzungspaket
b) Gegen den schwarz-gelben Atomkompromiss
c) Die Krisenverursacher sollen zahlen: höhere Steuern für Reiche und Konzerne
d) Her mit dem Mindestlohn
All diese Punkte werden von den Führungen von LINKEN, SPD und Grünen gefordert und mehrheitlich von deren Basis unterstützt. Auf dieser Basis lässt sich eine Einheit in der Aktion herstellen.