Zwei Wochen nach dem Sturz Mubaraks liegt in Kairo immer noch Spannung in der Luft. Philip Bethge berichtet von nervösen Soldaten am Fernsehsender und Missverständnissen über Angela Merkel
Do, 24.02.11: Omnia muss nach Oberägypten. Angeblich gibt es dort einen Toten, und die Radiosendung, für die sie manchmal arbeitet, braucht einen Bericht. Ich kehre deswegen früher als geplant nach Kairo zurück und nutze die Zeit, um weiter zu fotografieren (Fotos kommen demnächst auf www.marx21.de).
Aber zuerst muss ich eine Unterkunft finden. Das Hotel, das ich am Tahrir-Platz gesehen hatte, hat geschlossen und ich finde keine Alternativen in der Nähe. Schade, es wäre sicher eine tolle Erfahrung gewesen, die Freitagsdemo von einem Balkon über dem Platz aus zu erleben.
Tahrir-Platz 1
Aber dann habe ich Glück. Einer der wenigen Touristen, die im Moment in Ägypten sind, kommt und fragt mich, ob ich ein Hotel suche. Sein Hotel hat die Adresse Tahrir-Platz 1 und befindet sich – ohne jedes Hinweisschild – 50 Meter von unserem Standort, im achten Stock. Vielleicht wird es doch noch spannend. Der andere Tourist wird diese Erfahrung verpassen. Er hat Angst wegen der unzutreffenden Berichte über Gefahren für Ausländer hier.
Ich gehe mit der Kamera los. Mein erster Halt ist Mubaraks alte Parteizentrale zwischen dem Ägyptischen Museum und dem Nil. Das Gebäude ist vollkommen ausgebrannt. Im Vorhof stehen von Demonstranten angezündete Autos. Die Gitter sind versperrt, aber eine ägyptische Familie steht davor und schaut durch, als ob sie sicher sein will, dass Mubarak tatsächlich weg ist.
Nervöse Soldaten
Von Mubaraks Gebäude gehe ich wieder zum Fernsehsender, um zu sehen, ob der Militärschutz tagsüber derselbe ist wie neulich spät abends. Die Panzer sind immer noch dort. Die Soldaten sind immer noch in einer merkwürdigen Pattsituation mit Hunderten von Zuschauern. Kinder mit Nationalflaggen steigen auf Panzer und werden von Soldaten umarmt, aber sobald ich anfange, zu fotografieren, werde ich deutlich von einem Soldaten verwarnt.
Einige angebliche Fernsehjournalisten dürfen durch den Stacheldraht ins Büro passieren, aber der Zutritt wird strikt kontrolliert, und das Publikum muss draußen bleiben. An Orten wie diesem wird die angebliche Neutralität der Armee am deutlichsten geprüft. Wenn das Regime zurückschlägt, wird es eventuell hier anfangen.
Teure Flaggen
Von Fernsehzentrum ist es nur ein kurzer Fußmarsch ins Arbeiterviertel – wenn das der richtige Begriff ist in einer Stadt mit so hoher Arbeitslosigkeit, besonders unter Jugendlichen. Hier hängen weniger Fahnen und ich frage mich erst, ob die Unterstützung für die Revolution unter Arbeitern so stark wie sonst. Ein paar Gespräche befreien mich von den Zweifeln. Alle sind froh und begeistert, auch darüber, dass sich Europäer mit ihnen solidarisieren. Der Grund für die Abwesenheit von Fahnen ist wahrscheinlich eher pragmatisch – in so einer Gegend ist eine Flagge ein Luxus, den man sich tatsächlich nicht leisten kann.
In den wenigen Gesprächen, die mir aufgrund fehlender Sprachkenntnisse möglich sind spüre ich wieder die Dankbarkeit der Ägypter für Merkels Unterstützung. Es ist mir unklar, ob das an falscher Berichterstattung liegt, oder an der Tatsache, dass viele Ägypter jeden europäischen Regierungschef dem Diktatur Mubarak vorziehen. Alle sind völlig überrascht, wenn ich erzähle, dass Merkel Mubarak bis zum bitteren Ende unterstützt und ihm Asyl angeboten hat.
Dank für Solidarität
Einer sagt mir, dass ich Merkel für ihre Unterstützung danken soll. Als ich erzähle, dass die Unterstützung nicht von Merkel kam, sondern von der deutschen Bevölkerung, trägt er mir auf, der deutschen Bevölkerung zu danken.
Mein heutiger Bericht bleibt kurz, weil viel von morgen abhängt. Wird die Revolution weiter gehen oder werden die Demonstrationen immer kleiner werden, bis die Regierung – egal welcher Farbe – die Initiative wieder ergreift? Die Demo letzten Freitag war riesig – Nivin hat uns erzählt, dass vier Millionen gefeiert haben – aber politisch relativ ratlos. Morgen kann ein Wendepunkt in der Revolution sein. Nur in welche Richtung? Ich warte gespannt.
Zur Person:
Philip Bethge wird ab dem 27. Februar wieder in Deutschland sein und steht für Berichte und Veranstaltungen zur Verfügung. Wer ihn auch einladen möchte, kann per E-Mail an redaktion@marx21.de mit ihm in Kontakt treten
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