Über das Erbe von 1968 wird breit diskutiert. Die Historische Kommission der LINKEN betont vor allem die globale Dimension des gesellschaftlichen Aufbruchs. Von Jan Maas, Online-Redakteur marx21.de
Die Historische Kommission der LINKEN hat sich in die Debatte über 1968 eingeschaltet. In einer Erklärung von Mitte April heißt es, Aufgabe heutiger Linker sei es, sich kritisch mit der 68er-Bewegung auseinanderzusetzen, um das Erbe nutzbar zu machen.
"Auch wenn die Welt sich seitdem dramatisch gewandelt hat – viele der Fragen und Probleme, die 1968 die Menschen auf die Straße trieben, sind immer noch aktuell: Imperialistische Kriege – heute in Afghanistan und Irak -, mangelnde Demokratie in den Betrieben, Studienbedingungen und -gebühren, Nazis in Parlamenten, staatliche Überwachung und so weiter," erläutert Autor Florian Wilde gegenüber marx21.de.
Die Historische Kommission betont, dass 1968 mehr war als die Studentenrevolte, die vor allem in Deutschland mit diesem Datum verbunden wird. Ihre Erklärung erinnert beispielsweise an den Generalstreik in Frankreich, die Fabrikbesetzungen in Italien und den Widerstand gegen den Krieg der USA in Vietnam.
Ebenfalls 1968 fand der Versuch statt, in der Tschechoslowakei einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" zu verwirklichen. Truppen des Warschauer Pakts beendeten das Experiment. Linke in Ost und West verbinden entsprechend verschiedene Erinnerungen mit 1968, doch das Ziel einer freien, demokratischen und sozialistischen Gesellschaft wurde rund um den Erdball formuliert.
Da dieses Emanzipationsversprechen bis heute nicht eingelöst ist, meint Florian Wilde: "Wer unter heutigen Bedingungen eine sozialistische Perspektive entwickeln will, kommt um eine Auseinandersetzung mit dieser Bewegung, mit ihren Erfolgen und Niederlagen, nicht herum."
Die Historische Kommission weist auf die Entwicklung der Grünen hin, die als gemeinsames Parteiprojekt vieler Strömungen gegründet wurden, die nach 1968 entstanden waren. Später haben sich die Grünen beispielsweise mit der Zustimmung zum Kosovo-Krieg und zu den Hartz-Gesetzen deutlich von den Emanzipationsversprechen von 1968 verabschiedet.
Für die LINKE als neues Parteiprojekt sei die Entwicklung jedoch offen, meint Co-Autor Marcel Bois: "Die Voraussetzungen sind heute sicher besser. Zum einen sind die Grünen ein Produkt des Niedergangs der 68er-Bewegung. Sie sind in einer Zeit entstanden, als sich die gesamte Gesellschaft nach rechts entwickelt hat. Der Neoliberalismus wurde zur Mainstream-Ideologie. Das gleiche ist dann auch mit der Partei passiert. Ehemalige K-Gruppen-Mitglieder haben später Angriffskriege gerechtfertigt und sitzen jetzt in Hamburg mit der CDU in einer Regierung."
Bei der LINKEN sei es umgekehrt, sagt Bois: "Es gibt – mit Entstehen der weltweiten globalisierungskritischen Bewegung – eine gesellschaftliche Linksentwicklung. Der Neoliberalismus ist in der Krise. Dies spiegelt sich auch in Mitgliedschaft der neuen LINKEN wieder. Nicht wenige Mitglieder sind aus der SPD und den Grünen zu uns gekommen, einige sogar aus der CDU. Der ehemalige Finanzminister Lafontaine spricht heute vom 'Sozialismus des 21. Jahrhunderts' und fordert die Verstaatlichung von Unternehmen sowie das Recht auf politische Streiks."
Zum anderen sei DIE LINKE ein Produkt der großen Proteste gegen Schröders Agenda-Politik: "Das ist der zweite Unterschied zu den Grünen. Dort hat die soziale Frage nie eine besonders große Rolle gespielt. Der LINKEN ist sie sprichwörtlich in die Wiege gelegt", erklärt Bois.
Mehr im Internet:
- Erklärung der Historischen Kommission der LINKEN: 1968: Ein globaler Aufbruch
Mehr zu 1968 auf marx21.de:
- Frankreich: Roter Mai und wilde Streiks
- Anti-Imperialismus: Schafft zwei, drei… viele Vietnam!
- Bürgerrechte: Kings unvollendeter Kampf
- marx21-Thesenpapier: Neue Wege gehen
Buchtipp:
- Chris Harman: 1968 – Eine Welt im Aufruhr