Auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt waren Elektroautos ein großes Thema und im November bringt BMW sein Vorzeigemodell auf den Markt. Ist das angesichts des Klimawandelns die Wende?
Leider überhaupt nicht. Elektroautos sind definitiv nicht die Lösung für das Problem des Klimawandels. Mit dem jetzigen Energiemix, den wir im deutschen Netz haben, schneidet ein mit einem Elektromotor betriebenes Auto nicht besser ab als eines, das mit fossilem Benzin oder Diesel betrieben wird. Und dass wir in nächster Zeit solche Überschüsse an erneuerbaren Energien haben, dass wir damit Auto fahren könnten, ist nicht absehbar.
Stattdessen schaffen Elektroautos aber ganz neue Probleme – vor allem durch die Rohstoffe, die sie benötigen. Außerdem haben die Batterien noch immer eine begrenzte Lebensdauer und machen die Autos schwer. Diese Probleme sind bei elektrisch betriebenen Bahnen sehr viel eleganter gelöst, da sie keine Batterien benötigen und überdies noch sehr viel weniger Energie pro Fahrgast oder pro transportierte Tonne verbrauchen.
Fast jeder Haushalt hat heutzutage mindestens ein Auto, besonders außerhalb der Ballungszentren. Ist Mobilität ohne PKW überhaupt vorstellbar?
Aber sicher. Menschen waren Jahrtausende ohne Autos mobil, und wir könnten auch in Zukunft wieder ohne Auto leben, ohne irgendetwas an Mobilität einbüßen zu müssen. Die Voraussetzung dafür ist aber ein Ausbau der Alternativen: Wir müssen einerseits die Bedingungen für den Fuß- und Fahrradverkehr verbessern, wofür ein Zurückdrängen des Autos von seiner alles dominierenden Stellung eine gute Voraussetzung wäre.
Außerdem müssen wir den öffentlichen Verkehr sehr viel besser ausbauen und attraktiver machen. Diese Verkehrsmittel haben gegenüber dem Auto nicht nur enorme Vorteile in Hinblick auf Umwelt und Klima, sondern sie sind auch sehr viel sozialer, da sie allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung stehen – unabhängig vom Einkommen, vom Alter oder von einer etwaigen körperlichen Einschränkung.
Eine soziale Preisgestaltung des öffentlichen Verkehrs ist das nächste wichtige Thema. Hier streben wir langfristig das Modell eines fahrscheinfreien Verkehrs an. Das heißt, der öffentliche Verkehr wäre in der Benutzung kostenfrei und würde über eine einkommensabhängige Steuer oder Abgabe von allen Bürgerinnen und Bürgern sowie den Unternehmen gleichermaßen finanziert. So ließe sich eine soziale Grundversorgung mit Mobilität im ganzen Land sicherstellen.
Langfristig müssen sich aber auch unsere gebauten Strukturen ändern: Ohne Auto hätte die immer weitere Ausbreitung von Siedlungen und die Zentralisierung von Einkaufsmöglichkeiten auf wenige Einkaufszentren vor der Stadt keine Chance mehr. Das hätte auch überaus positive Auswirkungen auf die Struktur der Städte und Dörfer, die damit wieder sehr viel lebenswerter werden könnten.
Warum werden diese Alternativen nicht konsequent vorangetrieben?
Es gibt sehr mächtige Profiteure des Status quo, und diese setzen alles daran, dass sich an der geltenden autofixierten Politik nichts ändert. Bei der Autolobby spricht man zu Recht von der „härtesten Lobby Europas“, aber auch die Baulobby und die Luftverkehrslobby sind gut organisiert und haben beste Zugänge zu allen wichtigen Regierungsvertretern.
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage vom August hat gerade erst wieder gezeigt, wie eng die Zusammenarbeit zwischen der Regierung und diesen Lobbies ist: Zu allen wichtigen Gesprächen werden deren Vertreter direkt ins Kanzleramt oder ins Ministerium eingeladen, und umgekehrt ebenso.
Darüber hinaus sitzen die Industrievertreter in allen wichtigen Gremien, die über die zukünftige Politik und über die Vergabe von Mitteln entscheiden – kein Wunder, dass die Politik daher so einseitig auf das Auto setzt.
Diejenigen, die die Alternativen vorantreiben wollen, sind dagegen leider bislang noch zu schwach.
Wer kann daran etwas ändern? Und wie?
Daran kann letztendlich nur eine aktive Bewegung von unten etwas ändern. Aus dem Verkehrsministerium ist keine Veränderung zu erwarten – völlig egal ob dort gerade ein CDU- oder ein SPD-Minister sitzt. Stattdessen brauchen wir viele aktive Bürgerinnen und Bürger, die sich für eine andere Mobilitätspolitik statt der jetzigen rein autofixierten Verkehrspolitik einsetzen. Das muss auf Bundes- und europäischer Ebene genauso geschehen wie lokal, und wir tun im Bundestag unseren Anteil dazu, diesen sozialökologischen Umbau weiter zu konkretisieren und im Gespräch zu halten.
Immerhin gibt es erste Anzeichen, dass sich etwas in die richtige Richtung bewegt: In München haben die Bürger in der Abstimmung den Bau der dritten Startbahn abgelehnt, und in Frankfurt sowie in Berlin gibt es erheblichen Widerstand gegen das immer weitere Wachstum des Flugverkehrs. Auch gegen Autobahnneu- und Ausbauprojekte regt sich immer mehr Widerstand, und das Interesse der jungen Generation am Auto wird eindeutig geringer – immer mehr sind auf andere Weise mobil.
Insofern habe ich die Hoffnung, dass die Bewegung immerhin in die richtige Richtung geht, aber wir müssen alle aktiv daran arbeiten, dass sich dies beschleunigt. Das tun wir unter anderem durch unser Konzept „Plan B“ oder durch das Netzwerk „Solidarische Mobilität“, das wir mit aufbauen und das die Zusammenarbeit von Initiativen in dem Bereich verbessern soll.
Sabine Leidig ist verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag und ehemalige Bundesgeschäftsführerin von attac Deutschland.