Mit seinem Rentenplan ist Sigmar Gabriel auf innerparteiliche Kritiker gestoßen. Nun wird nachgebessert, aber die Grundrichtung bleibt: Materielle Sicherung im Alter soll schrittweise privatisiert werden. Die SPD will sich wahlwerbend als Kümmererpartei präsentieren, regierend wird sie kapitalkompatibel tätig werden – meint Arno Klönne
»Linksrhetorik« hat der CDU-Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Steffen Kampeter MdB, seiner Parteifreundin, der Bundesarbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen vorgeworfen. Er meint damit ihren Vorstoß für eine Zuschussrente, die Geringverdienern im Alter zukommen soll, wofür auch Steuermittel eingesetzt werden könnten.
Woher diese nehmen? Der Christdemokrat ist höchst besorgt:Wird etwa den Großvermögenden und Spitzenverdienern, die doch schon diesen ganzen Sozialstaat bezahlen müssen, noch mehr wohlverdientes Geld weggenommen?
Mehr private Renten
Er hat im Eifer des Gefechts übersehen, dass Ursula von der Leyen ihren Vorschlag mit einem Zusatz versehen hat, der absolut wirtschaftsfreundlich gedacht ist und vermögensfördernd für diejenigen, deren Wohlergehen Kampeter am Herzen liegt.
Ein Anstoß soll gegeben, ja Druck ausgeübt werden, dass die ans Alter denkenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich nicht auf die gesetzliche Rentenversicherung verlassen, sondern den privaten Versicherungsunternehmen zuwenden (Rentendiskurs als Branchenwerbung, marx21.de vom 10.09.).
Rente weiterhin mit 67
Gar nicht so übel fand der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel die Rentenideen der CDU-Ministerin. Ein Wink in Richtung große Koalition? Aber erst einmal gilt es die Stimmensammlung für die eigene Partei vorzubereiten, Sozialkompetenz der Sozialdemokraten vorzuzeigen, also entwarf Gabriel einen eigenen Therapieplan für Altersarmutsgefährdete. Dem Hörensagen nach waren auch Gewerkschafter an den Vorgesprächen dazu beteiligt.
Gabriels Konzept ist ziemlich kompliziert, aber einige Grundelemente sind völlig klar: Die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung sollen wie schon beschlossen weiter absinken, das Eintrittsalter von 67 Jahren soll generell nicht wieder gesenkt werden.
SPD-Troika einig
Kritiker in der Partei sind damit nicht einverstanden, ihnen zum Trost wurde die endgültige Entscheidung in diesem Punkt auf den kleinen Parteitag Ende November verschoben. Die SPD-Troika jedoch ist darin einig, und wahrscheinlich wird die Mehrheit der Delegierten ihr dann Gefolgschaft leisten, wenn auch mit gemischten Gefühlen. Allerdings schob Gabriel ein Zugeständnis an die Kritiker nach: Bei 45 Versicherungsjahren könne man ohne Einbuße schon mit 65 in Rente gehen.
In seinem Grundmuster bedeutet das Gabriel-Konzept keine soziale Reform der sozialdemokratischen Reformpolitik. Als Präventionsmittel gegen späteres Elend ist eine fast obligatorische Zusatzrente vorgesehen, im Regelfall als Betriebsrente, kapitalgedeckt, im Finanzmarkt angesiedelt, neben der Riester-Rente.
Lohnend für Versicherungen
Kein Wunder, dass auch Gabriel Beifall bekam von einem anderen Sozialdemokraten, dem »Rentenpapst« Rürup, der schon der Regierung unter Gerhard Schröder als Experte dienlich war und seit Jahren als wichtigster Botschafter der privaten Versicherungswirtschaft tätig ist; seine Altersrendite als Zusatz zur Professorenrente ist damit reichlich gesichert.
Anders ist es bei den kleinen im Kapitalmarkt Versicherten – ihr bescheidener Rentenanspruch schmilzt dahin durch schleichende Inflation oder wird im Finanztrubel möglicherweise hinfällig. An diesen Renten ist gar nichts sicher. Dennoch sind sie für die Versicherungsunternehmen ein lohnendes Geschäft: Kleinvieh bringt auch Mist.
Billiglohn lässt keinen Spielraum
Kennzeichnend für das Konzept Gabriels ist, dass es auf Menschen, vornehmlich Männer, mit jahrzehntelanger und stetiger Beschäftigung im Normalarbeitsverhältnis zugeschnitten ist, in größeren Betrieben. Nun ist der SPD-Vorsitzende vermutlich nicht so weit entfernt von der Realität der Arbeitsgesellschaft heute, dass ihm entgangen wäre: Zur Normalität werden immer mehr die prekären Arbeitsverhältnisse, befristete Arbeit, Teilzeitarbeit, Scheinselbständigkeit – insbesondere bei Frauen.
Wie soll da ein nennenswerter Anspruch auf die gesetzliche Zusatzrente entstehen? Woher sollen schlecht bezahlte Arbeitskräfte das Geld für die privatwirtschaftliche Zusatzversicherung nehmen, oder wie den Lohnabzug dafür finanziell verkraften? »Niedriglöhner sind Vorsorgemuffel« war neulich in der Springer-Zeitung Die Welt zu lesen – wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.
Wahlkampfthema Altersarmut
Bleibt die Frage, was sich denn Sozialdemokraten von diesem Rentenmodell versprechen. Erwarten sie, dass solcherart frühzeitige Wahlwerbung, der Auftritt »Wir werden was tun gegen die Gefahr der Altersarmut« also, überzeugend wirkt – dass ihre potenziellen Stimmlieferanten nicht nachrechnen werden?
Dass Linksrhetorik vom Publikum nicht durchschaut wird, wenn die SPD sie einsetzt? Dass vergessen ist, wie die SPD selbst in regierender Funktion jene Reformen betrieb, aus denen Armut im Alter hervorgehen wird? Oder hat die Partei die Prekären – es werden immer mehr – als mögliche Wähler bereits abgeschrieben?
Als wohltätig erscheinen
Beim politischen Marketing ist die SPD derzeit in nicht erwartete Schwierigkeiten geraten. Die langgestreckte Konkurrenz um den Spitzenkandidaten der Partei, als Vorführung gedacht, die Zugewinn an positiver öffentlicher Aufmerksamkeit bringt, erzeugt negative Effekte.
Steinbrück liegt vorn im sozialdemokratischen Ranking, aber wer weiß, ob er wirksam genug soziale Verantwortung präsentieren kann. Die SPD braucht attraktive Themen für die »kleinen Leute«, auch als Kümmererverein muss sie sich darstellen. Als wohltätig will sie erscheinen, die alte Volkspartei.
Profit für die Privaten
Wohltaten sind in der Tat vorgesehen – aber nicht für die Masse derjenigen, die aus dürftigem Lohn ihre Existenz im Alter sichern sollen. Sondern für die profitsuchenden privaten Unternehmen in der Versicherungsbranche.
Deren Geschäftsfeld hat sich ausgedehnt, viel neues Terrain ist noch zu gewinnen, mit Hilfe der Politik. Da sind sozialdemokratische Helfer besonders willkommen. Nicht wegen der Renten, sondern um der Renditen willen.
Nur rhetorisch sozial
Großunternehmerisch gedacht, über die Versicherungswirtschaft hinausgehend: Es ist an der Zeit, die früher schon bewährte SPD wieder regieren oder zumindest mitregieren zu lassen. Dafür braucht sie ein einigermaßen respektables Ergebnis beim Stimmenfang. Und deshalb ist dieser Partei das Sozialrhetorische nicht übelzunehmen, eher zu empfehlen.
Notfalls kann ihr das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft vertrauliche Ratschläge in dieser Sache geben, dem vermutlichen (Vize-)Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten besonders gern. Jedem Parteimitglied auf die Nase binden muss man die Nähe von SPD-Prominenz zur Unternehmerschaft nicht, 2013 stehen Bundestagswahlen an.
Zuletzt in Klönnes Klassenbuch:
- Scheingefechte um Spitzenämter: Im jetzt bereits angelaufenen Parteienwettbewerb für die Bundestagswahl 2013 wird die öffentliche Aufmerksamkeit auf zwei Fragen ausgerichtet: Wer wird von den einzelnen Parteien als Spitzenkandidat aufgestellt und welche Partei erhält von welcher anderen das Prädikat, für eine Regierungskoalition akzeptabel zu sein. In beiden Fällen handelt es sich um Täuschungsmanöver, meint Arno Klönne
- Leichter Töten mit Bundeswehr-Drohnen: Die Bundeswehr bereitet sich auf den Gebrauch von Kampfdrohnen vor – eine folgenschwere Neuerung in der Militärpolitik, meint Arno Klönne
- Die CSU will Deutschland retten: Generalsekretär Dobrindt möchte Deutschland vor der roten Gefahr bewahren – das tat auch schon die Vorgängerpartei der CSU, meint Arno Klönne