Boris Kagarlitzky ist Sozialist und Direktor des Instituts für Globalisierungsforschung in Moskau. Er schreibt über die Reaktionen in Russland auf den Georgien-Krieg und seine Folgen für die Politik in der Region und weltweit.
International gesehen ist der Krieg ein echter Schlag für die USA, zumindest in Zentraleuropa und dem Kaukasus. Er hat plötzlich deutlich gemacht, dass Einfluss und Kontrolle der einzigen Supermacht begrenzt sind. Es gibt Situationen, wo eine Supermacht ihren Vasallenstaat nicht beschützen kann – so wie jetzt Georgien.
Die Linke in Russland ist in einer schwierigen Situation. Es gibt keine Seite, mit der wir sympathisieren könnten. Einerseits sind wir – die Mehrheit der russischen Linken – absolut gegen jeden Versuch, Michael Saakaschwilis Georgien als Opfer darzustellen. Nicht nur, weil es rein technisch gesehen den Krieg anfing, als es in Südossetien einmarschierte, sondern auch wegen des Regimes selbst. Georgien ist engster Verbündeter von George Bush in der Region. Das Land wird sogar wichtiger für die US-Strategie als beispielsweise die Türkei oder Aserbaidschan, weil diese Länder neuerdings bei einigen Entscheidungen politische Unabhängigkeit demonstriert haben.
Auf der anderen Seite können wir unmöglich Russland als eine Art „Friedensmacht« darstellen, die den »Aggressor bestrafen« muss, wie russische Politiker vorspiegeln. Es kann gar keinen Zweifel daran geben, dass die russische Führung ihre eigene imperialistische Tagesordnung im Kaukasus verfolgt. Wir wissen, dass die russischen Truppen sehr viel tiefer in Georgien eingedrungen sind, als von einem rein militärischen Standpunkt aus betrachtet notwendig gewesen wäre. Die russischen Generale wollten ihre Muskeln zeigen und patriotische Gefühle in der russischen Gesellschaft schüren. Auch mit dem autoritären und korrupten südossetischen Regime können wir nicht sympathisieren. Es ist tief in das Schmuggelgeschäft mit gepanschtem Wodka verwickelt, wodurch in Russland jährlich Hunderte an Vergiftung sterben. In diesem Sinne hat Russland mehr Menschen an Südossetien durch Wodka verloren als durch die gegenwärtigen Kämpfe mit georgischen Truppen.
Wir halten diesen Krieg für einen ungerechten Krieg – einen imperialistischen Krieg – von Seiten aller Beteiligten. Wir können nur mit der auf beiden Seiten der Grenze ins Kreuzfeuer geratenen Zivilbevölkerung sympathisieren, in Georgien wie in Südossetien.
Ich denke, die Folgen des Kriegs werden für Georgien nachhaltiger sein als für Russland. Die russische Regierung wurde durch diesen Konflikt gestärkt, innen- wie außenpolitisch, während das Regime in Georgien geschwächt wurde. Allerdings glaube ich nicht, dass der Krieg tiefere Wirkung auf die russische Gesellschaft entfalten wird. Jeder versteht, dass dies ein Krieg war, der angesichts der Kräfteverhältnisse kaum verloren werden konnte. Auch aus kulturellen Gründen sind die Menschen in Rußland eng Verbunden mit den Georgiern. Besonders eine ältere Generation Russen liebt den georgischen Wein, sie lieben die georgische Küche, das Kino und so weiter. Die Versuche, ein antigeorgisches oder nationalistisches Gefühl in Russland zu schüren, sind weitgehend gescheitert.
Wir sollten nicht vergessen, dass dieser Krieg im Rahmen einer globalen Wirtschaftskrise stattgefunden hat, die jetzt erst richtig greift. Vor dem Krieg gab es Debatten innerhalb der russischen Linken, ob es tatsächlich zu diesem Krieg kommen würde. Ich muss zugeben, dass ich immer wieder gesagt habe, dieser Krieg würde wahrscheinlich nicht stattfinden, dass beide Seiten vernünftig genug sein würden, im letzten Moment anzuhalten. Ich hatte Unrecht. Aber mein Kollege Wasili Koltaschow, Chef der Wirtschaftsforschungsgruppe am Institut für Globalisierungsforschung, wies darauf hin, dass jedes Mal, wenn der Kapitalismus sich in einer strukturellen Krise befindet, die Zahl der militärischen Konflikte zunimmt. Er hatte Recht.
Der Konflikt im Kaukasus ist ein Zeichen für eine Krise der neokonservativen Strategie des imperialen Vordringens der USA. Der ganze „Krieg gegen Terror« ist eine Sackgasse, und das zeigt sich jetzt. Auch wenn die USA ein paar technische Siege im Irak vorweisen können, so können sie doch keine Strategie finden, den Krieg zu beenden – es gibt keinen „Plan B«. Sie hatten gewissen Erfolg, die Anzahl der US-amerikanischen Opfer zu senken. Aber die Frage ist, ob sie eine Situation herstellen können, wo keine US-Soldaten mehr dort kämpfen müssen. Der Erfolg der Truppenaufstockung bei der Reduzierung von Opferzahlen beantwortet nicht die strategische Frage, was mit dem Irak geschehen soll.
(Aus dem Englischen von David Paenson und Rosemarie Nünning)
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