Frauen und Fußball passt nicht zusammen – so das gängige Vorurteil, das hierzulande am deutlichsten vom DFB vertreten wurde. Nun richtet der Verband die Fußballweltmeisterschaft der Frauen aus. Von Marcel Bois. Vorabveröffentlichung aus marx21, Heft 21, Sommer 2011
»Sommermärchen reloaded« nennt sich die Facebookgruppe. Sie ist vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) eingerichtet worden und weckt große Erwartungen. Wenn in den kommenden Wochen in neun deutschen Städten die Fußballweltmeisterschaft der Frauen stattfindet, dann soll sie eine ähnliche Begeisterung hervorrufen wie die WM der Männer vor fünf Jahren. DFB-Präsident Theo Zwanziger ist davon überzeugt, dass das Ereignis die Menschen »über Wochen in ihren Bann ziehen« wird.
Allein die Stadt Frankfurt am Main hat zehn Millionen Euro investiert, um ein Fanfest zu organisieren. Wie im Sommer 2006 wird es Großbildleinwände und eine schwimmende Bühne im Main geben. Zwei Wochen vor Beginn waren deutschlandweit bereits über 600.000 Tickets für die Spiele verkauft – und das bei Eintrittspreisen von bis zu 90 Euro.
»Bundesliga ist kein Mädchensport«
Noch vor wenigen Jahren wäre das kaum denkbar gewesen. Frauenfußball galt als Randsportart. Hartnäckig hielt sich das Vorurteil, die weibliche Variante des Männersports Nr. 1 sei langsam, langweilig und lesbisch. Dahinter steckt die Vorstellung, Fußball sei nichts für Frauen. Und wenn sie ihn doch betreiben, dann seien sie eben »unweiblich«. Mit großer Selbstverständlichkeit wurden diese Vorurteile auch von männlichen Fußballern transportiert. »Bundesliga ist kein Mädchensport«, soll der ehemalige Bayern-München-Profi Klaus Augenthaler einmal gesagt haben.
Und auch der DFB, nun stolzer Ausrichter der Frauenfußball-WM, war in der Vergangenheit keineswegs ein Freund des weiblichen Kickens. Eine Stellungnahme des Verbandes aus dem Jahr 1976 zu Trikotwerbung im Damenfußball gehört da noch zu den harmlosen Verlautbarungen: »Die Anatomie der Frau ist für Trikotwerbung nicht geeignet. Die Reklame verzerrt.«
Frauenfußball verboten
Deutlicher ging der DFB in den Jahrzehnten zuvor gegen Fußball spielende Frauen vor. Als im Jahr 1954 die Fußballherren zum ersten Mal Weltmeister geworden waren, löste das einen regelrechten Boom aus. Das »Wunder von Bern« regte auch viele Frauen zum aktiven Kick an. So gründeten sich vor allem im Ruhrgebiet mehrere Frauenteams, deren Spiele teils vor erstaunlich hoher Zuschauerzahl stattfanden.
Doch der damalige DFB-Präsident Peco Bauwens war der Ansicht, dass Fußball kein Frauensport sei. Dementsprechend wurde im Juli 1955 beim Verbands-Bundestag in Berlin der Antrag eingereicht, den Frauenfußball zu verbieten. Die ausschließlich männlichen Delegierten nahmen diesen ohne eine einzige Gegenstimme an. Den Vereinen war es fortan untersagt, Frauenteams aufzunehmen oder kickenden Frauen Fußballplätze zur Verfügung zu stellen. Den Schieds- und Linienrichtern wurde verboten, Fußballspiele von Frauen zu leiten. Bei Zuwiderhandlung drohten harte Strafen bis hin zum Verbandsausschluss.
Mit Polizeieinsatz beendet
Hubert Claessen, damals Delegierter und später DFB-Vorstandsmitglied, begründete die Maßnahme damit, dass »der Körper der Frau für den Kampfsport Fußball weder physisch noch seelisch geeignet« sei. Von Verbandsseite hieß es: »Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Sittlichkeit und Anstand.« Auch noch knapp zehn Jahre später verteidigte der DFB seine Entscheidung in einem Schreiben an den Weltfußballverband Fifa. Dort hieß es, dass man in Deutschland »wegen ärztlicher Gutachten über die Schäden des Fußballspiels für den weiblichen Organismus den Frauenfußball verboten habe«.
Dass es den Verbandsangehörigen ernst war, bewiesen sie umgehend nach Verhängung des Verbots. So beendete Ende Juli 1955 ein Überfallkommando der Polizei die Partie der Frauen vom DFC Duisburg-Hamborn und Gruga Essen nach nur zwanzig Minuten Spielzeit. »Dann wurde der Damen-Fußball liquidiert. Es war diesmal nichts mit der Gleichberechtigung«, witzelte die WAZ am Tag darauf. Die Beamten gerufen hatte der zweite Vorsitzende des Platzeigentümers Hertha Hamborn.
Solche Zwischenfälle habe es häufiger gegeben, erinnert sich die ehemalige Dortmunder Spielerin Christa Kleinhans gegenüber der Zeitschrift 11 Freundinnen: »Ständig wurde ich mit meinen Kolleginnen von Fortuna Dortmund von den Trainingsplätzen vertrieben, und wir mussten auf irgendwelche Wiesen oder in größere Privatgärten ausweichen, wo wir vorher noch die Maulwurfshügel plattmachen mussten.« Gelegentlich besetzten die Kickerinnen abends heimlich Fußballplätze. Ihre Partner mussten dann mit ihren Autoscheinwerfern das Spielgeschehen ausleuchten.
Unter falschem Namen
Das Verbot konnte den Aufschwung des Frauenfußballs jedoch nicht verhindern. In den 1950er Jahren gründeten sich zahlreiche Frauenvereine wie Fortuna Dortmund oder Rhenania Essen, die sich außerhalb des DFB organisierten. So entstand 1956 in Essen der Westdeutsche Damen-Fußball-Verband, wenig später eröffnete in München eine Abteilung Süddeutschland. Sogar erste Länderspiele wurden ausgetragen. Als die deutsche Elf am 23.September 1956 in Essen die niederländische Auswahl besiegte, wohnten dem Spiel immerhin 18.000 Zuschauer bei. Dennoch blieben die Spielerinnen vorsichtig. Nationalspielerin Anne Droste erinnerte sich später: »Ich wollte nicht, dass in der Firma bekannt wurde, dass ich Fußball spiele. Ja, und da hab ich beim ersten Länderspiel unter falschem Namen gespielt.«
Häufig wichen die Fußballerinnen für ihre Spiele auf städtische Sportplätze aus. Die Kommunen erhielten im Gegenzug einen Teil der Einnahmen, was sie in Konflikt mit dem DFB brachte. Als im Jahr 1957 das zweite Länderspiel der Damen in München stattfand, beschwerte sich der Verbandsfunktionär Georg Xandry in einem Brief beim sozialdemokratischen Oberbürgermeister: »Mit der in Frage stehenden Veranstaltung sind Sie uns in unserem Kampf gegen den Damenfußball gleichsam in den Rücken gefallen, was dem bisher guten Verhältnis zwischen der Stadt München und uns nicht dienlich sein kann.«
Trotz aller Widrigkeiten entwickelte sich der »illegale« Frauenfußball weiter. Bis 1965 fanden knapp 150 Länderspiele statt, die von tausenden Zuschauern verfolgt wurden. Ende der 1960er Jahre waren etwa 40.000 bis 60.000 Frauen auf den Bolzplätzen der Republik aktiv – einige von ihnen sogar »subversiv« in DFB-Vereinen. So trafen sich beim badischen FV Daxlanden regelmäßig Frauen mittleren Alters zum Kicken. Der Verein führte sie offiziell als »Alte Herren«.
DFB verordnet Sonderregeln
Im Zuge der 68er-Rebellion und der aufkommenden Frauenbewegung veränderte sich Anfang der 1970er Jahre das Frauenbild in der Bundesrepublik. Hinzu kamen Überlegungen, einen eigenen Frauenfußballverband unter dem Dach des Deutschen Turner-Bundes zu gründen. Diesem Druck gaben schließlich die konservativen alten Männer des DFB nach. Nach 15 Jahren hob der Verband am 31. Oktober 1970 das Damenfußballverbot auf. Doch die Schikanen gingen zunächst weiter. Die Funktionäre verordneten den Frauen ein gesondertes Regelwerk. Die Spielzeit wurde auf zwei mal 30 Minuten verkürzt. Außerdem mussten die Kickerinnen sich mit einem kleineren Spielball begnügen und durften keine Stollenschuhe tragen.
Im Jahr 1971 untersagte der DFB zudem der Frauennationalmannschaft die Teilnahme an der inoffiziellen Weltmeisterschaft in Mexiko. Als Begründung gab der Verband versicherungstechnische Hindernisse an. Es sollte noch weitere Jahre dauern, bis die Frauen im DFB auch formal gleichberechtigt waren. Zwar wurde ab 1974 eine deutsche Meisterschaft ausgetragen, aber erst 1981 der DFB-Pokal eingeführt. Ein Jahr später wurde schließlich eine Nationalmannschaft gegründet. Bis heute stehen die DFB-Damen im Schatten ihrer männlichen Kollegen.
Frauenbewegung in den USA
Ganz anders sieht es dagegen in den USA aus. Im Land des zweifachen Weltmeisters und Weltranglistenersten ist Frauenfußball eine etablierte Sportart. Nach Schätzungen treten dort rund 18 Millionen Mädchen und Frauen regelmäßig gegen das runde Leder – so viele wie in keinem anderen Land der Welt. In den späten 1990er Jahren zog es zahlreiche europäische Fußballerinnen in die US-Profiliga, weil sie dort Geld mit ihrer Leidenschaft verdienen konnten.
Doch so selbstverständlich war auch der Siegeszug des US-Frauen-Soccers nicht. Der amerikanische Sozialist und Sportjournalist Dave Zirin meint, dass der Boom ohne die Bürger- und Frauenbewegung der 1960er und 1970er Jahre nicht denkbar gewesen sei. Tatsächlich war Frauenfußball auch in den USA lange eine Randerscheinung. Als typische Frauensportarten galten stattdessen Tennis und Golf. Im Jahr 1977 haben lediglich 2,8 Prozent der Colleges Fußball für Mädchen angeboten. Heute sind es 88 Prozent.
Den Ausschlag hat aber, so Zirin, eine Auseinandersetzung im Vorfeld der Olympischen Spiele in Atlanta 1996 gegeben. Damals erklärte das nationale Olympische Komitee, dass die Frauen erst eine Sonderprämie erhielten, wenn sie Gold holen würden. Den männlichen Fußballern wurde jedoch schon ein Bonus zugesagt, wenn sie überhaupt eine Medaille gewännen.
Streiken für die Prämie
Die empörten Spielerinnen holten sich daraufhin Rat bei einer Frau, die sich mit dem Kampf für gleiche Rechte und gleiche Bezahlung auskannte: der ehemaligen Tennisspielerin Billie Jean King. King hatte in der Vergangenheit die erste Gewerkschaft für Sportlerinnen gegründet. »Ich riet ihnen, nicht zu spielen«, erinnerte sie sich später. »Das ist der einzige Hebel, den ihr habt.« Die Kickerinnen befolgten den Rat und veranstalteten einen »wilden Streik«, indem sie sich weigerten, am Training teilzunehmen.
Der Verband versuchte dem zwar zu entgehen, indem er andere Spielerinnen nachnominierte. Doch letztendlich waren die Fußballerinnen erfolgreich – und das nicht nur außerhalb des Platzes. Sie gewannen die Auseinandersetzung um die Prämie und holten anschließend olympisches Gold. Damit begannder Aufschwung des Frauenfußballs in den USA. Seinen Höhepunkt erlebte er drei Jahre später, als die Spielerinnen im eigenen Land Weltmeisterinnen wurden. Das Finale gegen China verfolgten im Stadion von Los Angeles über 90.000 Menschen.
Konzerne stehen Schlange
Ob die WM hierzulande einen ähnlichen Hype auslöst wie damals in den USA, bleibt abzuwarten. Die großen Konzerne stehen jedoch schon Schlange, um sich im Glanze der Fußballerinnen zu sonnen. Unternehmen wie Telekom, Commerzbank, Allianz, Rewe, Deutsche Post und Deutsche Bahn unterstützen die Weltmeisterschaft als »nationale Förderer« mit etwa 24 Millionen Euro.
Vor allem aber werden die Spielerinnen zu Werbeikonen stilisiert. Auffällig ist hierbei die Tatsache, dass der DFB hauptsächlich die jungen Fußballerinnen als Interview- und Werbepartnerinnen anbietet, die über ein ausgeprägtes »weibliches« Auftreten verfügen und den gängigen Schönheits- und Schlankheitsideal entsprechen. Eine ältere Spielerin wie Nadine Angerer, die sich offen zu ihrer Bisexualität bekennt und auch mal am 1. Mai in Berlin-Kreuzberg demonstriert, spielt in den Marketingkampagnen hingegen nur eine untergeordnete Rolle – und das, obwohl die 32-Jährige bislang knapp 100 Länderspiele bestritten hat und bei der Weltmeisterschaft 2007 zur besten Torhüterin gewählt wurde, nachdem sie das gesamte Turnier lang kein einziges Gegentor kassiert hatte.
Kapitalistisch vereinnahmt
Stattdessen an vorderster Stelle: Fatmire Bajramaj, genannt Lira. Die gutaussehende, junge Frau kosovo-albanischer Abstammung gilt als ideale Werbeträgerin. »Sponsoren schauen nicht nur auf das Talent, sondern auf den Gesamteindruck«, sagt die Sportwissenschaftlerin Christa Kleindienst-Cachay gegenüber der Zeitschrift Missy Magazine. Lira Bajramaj beherrsche »diese Klaviatur perfekt: Einerseits Spitzensportlerin, andererseits Frau, die auch als Geschlechtswesen attraktiv ist. Außerdem ist sie Migrantin und Muslima, also exotisch.« Auch die Kommunikationswissenschaftlerin Daniela Schaaf von der Deutschen Sporthochschule in Köln warnt, dass »die Spielerinnen potenziellen Sponsoren neben der sportlichen Leistung einen Zusatznutzen anbieten« müssten, »der oftmals in einem sexuell-attraktiven Körper besteht.«
Deutlich wird dies in einem Werbespot, den der Schuhhersteller Nike im Vorfeld der WM mit der Stürmerin vom 1. FFC Frankfurt gedreht hat. »Liras Manifest« heißt das Video. Vordergründig geht es um die Emanzipation des Frauenfußballs. Die Bilder zeigen Bajramaj abwechselnd auf dem Hinterhof und im WM-Stadion kickend. Zu Elektrobeats dichtet eine Frauenstimme: »Offiziell noch illegal bis vor 40 Jahren / Aber dann haben wir gut vorgelegt / Auf immer mehr Plätzen / Schließen uns zusammen auf der Straße, in Clubs und Netzen.« Doch immer wieder liefert der Spot auch Einstellungen, die Bajramajs Attraktivität ins Zentrum stellen: Sie erneuert ihr Make-up, läuft auf High Heels und präsentiert der Kamera ihren halbnackten Oberkörper.
Diese Kombination aus zur Schau gestellter Weiblichkeit und Befreiungsästhetik steht exemplarisch für eine Entwicklung vieler Subkulturen und Randsportarten, die aus ihrer Nische treten. Nicht selten verwandelt sich gesellschaftliche Ausgrenzung in kapitalistische Vereinnahmung. Das droht nun auch dem Frauenfußball. Mit einem Sommermärchen hat das freilich nur noch wenig zu tun.
Zum Autor:
Marcel Bois ist Redakteur von marx21.
Filmtipp: Kick it like Beckham
Mit den Klischees rund um den Frauenfußball spielt auf sehr intelligente und amüsante Weise der Film »Kick it like Beckham« (Großbritannien 2002, Regie: Gurinder Chadha). Er handelt von Jess und Jules, zwei Mädchen aus London, die davon träumen, Profifußballerinnen zu werden. Beide stammen aus ganz unterschiedlichen familiären Verhältnissen. Jess‘ Eltern sind indische Einwanderer, Jules‘ Familie gehört der weißen englischen Mittelschicht an. Trotzdem stoßen beide auf ähnlich starke Widerstände. Jess‘ Mutter hält Sportkleidung für unschick und möchte lieber, dass ihre Tochter die Zubereitung traditioneller indischer Speisen lernt. Die Mutter von Jules ist davon überzeugt, dass das Fußballspielen die Chancen ihrer Tochter auf dem Heiratsmarkt schmälert. Insgeheim fürchtet sie sogar, ihr Tochter könnte sich in Jess verliebt haben.
Geschichte: Frauenfußball in der DDR
Auch in der DDR hatte der Frauenfußball einen schweren Stand. Da er nicht zu den olympischen und medaillenträchtigen Sportarten zählte, wurde er nicht gefördert. Die erste Frauenmannschaft gründete sich 1968 in Dresden. Im Jahr 1979 wurden die Frauen schließlich in den Deutschen Fußballverband (DFV) aufgenommen. Zehn Jahre später entstand eine Nationalmannschaft, die im Mai 1990 ihr erstes Spiel gegen die CSSR absolvierte. Aufgrund der Wiedervereinigung war es auch das letzte
Zum Text:
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