Hilft Solidarität mit der syrischen Revolution der NATO? Arno Klönne antwortet auf einen Artikel von Werner Pirker
Ist Herbert Wehner wiederauferstanden, in seiner noch treu parteikommunistischen Version, in der es ihm als Kaderexperten oblag, die vom Nazi-System verfolgten und ins Exil getriebenen Linken fein säuberlich zu sortieren, »Trotzkisten« und »Versöhnler« ausfindig zu machen, »Verräter« also ins ideologische Fahndungsbuch der Komintern-Obrigkeit zu stellen? Stellenweise liest sich so Werner Pirkers Artikel »Revolution21« in seinem »Schwarzen Kanal« in der jungen Welt.
Nun ist Pirker nicht im Moskauer Hotel Lux angesiedelt, und die deutsche Linke heute hat physische »Säuberungen« nicht zu befürchten. Heikel allerdings ist die ausgrenzende Strenge, mit der ein linker Publizist die »trotzkistische Abgeordnete« Christine Buchholz zurechtweist.
Gegen NATO und Assad
Was hat sie verbrochen? Die Aufforderung, sich den Kriegsplänen der NATO, Syrien (und den Iran) betreffend, entgegenzustellen, ist erklärtermaßen auch ihre Sache. Sie ist, das gesteht ihr Pirker zu, entschiedene Gegnerin der imperialistischen Kriegspolitik.
Aber sie hat sich erdreistet, Sympathie zu äußern für soziale und politische Rebellion in Syrien, sie hat das Assad-Regime als gewalttätig bezeichnet. Solcherart »Äquidistanz«, wie Pirker das nennt, sei »linker Flankenschutz für den westlichen Imperialismus«.
Freunde und Feinde
Hinter diesem recht heftigen Vorwurf steckt ein Gesamtbild der weltpolitischen Konflikte, der staatlichen »Fronten«, zwischen denen sich die Linke entscheiden müsse. Es entspricht der politischen Philosophie des Rechtswissenschaftlers Carl Schmitt , der freilich mit der Linken nichts im Sinne hatte, sondern zeitweilig Starjurist des »Dritten Reiches« war, ungeachtet dessen aber bis heute auch einige linke Intellektuelle fasziniert.
Ihm zufolge ist die Stellungnahme in weltpolitischen Konflikten zu bestimmen als Unterscheidung zwischen »Freund«- und »Feind«-Staaten, und in dieser Logik ist der Feind meines Feindes mein Freund. Innergesellschaftliche Auseinandersetzungen, Kämpfe sozialer Klassen haben für dieses Konzept keine Relevanz.
Die Regierungspolitik der NATO-Staaten übrigens hält sich an dieses Politikmuster. Islamische »Fundamentalisten« waren und sind als Freunde willkommen, wenn sie an der Front gegen den jeweiligen Feind im Kampf um geopolitische Machtsphären nützlich erscheinen. Assad wurde als potenzieller Freund angesehen, es wurde mit ihm kooperiert – bis die Frontlage im Nahen Osten sich veränderte. Derselbe Assad wurde nun für die NATO-Politiker zum »völkermörderischen« Feind.
Liebknecht lesen
Die Linke würde sich selbst aufgeben, wenn sie sich auf dieses Weltbild einließe. Die machtstrategische Logik der staatlich Herrschenden kann nicht ihr Denkmuster sein, sie ist eine ideelle Ausformung des kapitalistischen Klasseninteresses. Die Lektüre der Reden und Schriften von Karl Liebknecht ist zu empfehlen, zu der Frage, wie die Linke Widerstand gegen die Kriegspolitik begreifen und führen kann, als internationale Opposition, frei von jeder Anbindung an dieses oder jenes Staatsinteresse.
»Permanente Revolution« – Werner Pirker spielt in seinem Artikel auf diesen Begriff an zum Zwecke der Abschreckung, so als sei damit die politische Verirrung derjenigen, denen er ans Leder will, schon erwiesen. Ohne Trotzki anzubeten – die Perspektive, die in dem Begriff aktuell steckt, kann man weniger melodramatisch benennen – aber in der Sache ist zu sagen: Was denn sonst? Auf Gott, Kaiser und Tribun ist keine Hoffnung zu setzen, auf US-amerikanische Staatspräsidenten und Co. sowieso nicht, aber auch nicht auf Feudalherren, wenn sie sich gerade mal die Feindschaft der NATO zugezogen haben.
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