Am 17. November demonstrierten in Darmstadt über 1000 Schülerinnen und Schüler zusammen mit den Studierenden. Nach der Demo besetzten sie das Foyer der Stadtbibliothek. marx21.de sprach mit Antonia Scharl und Marilena Reinhard-Kolempa vom Stadtschüler*innenrat Darmstadt
marx21.de: Wie ist euch gelungen, eine so breite Mobilisierung unter den Schülern zu erreichen?
Antonia Scharl/Marilena Reinhard-Kolempa: Wir hatten die Idee, Vollversammlungen an den Schulen zu machen und dort über unser Vorhaben zu informieren. Damit wollten wir den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben, sich selbst zu entscheiden, ob sie bei der Aktion mitmachen wollen oder nicht.
Vollversammlungen ermöglichen es den Schülern miteinander zu diskutieren und so eine Position zu finden. Das macht eine breitere Verankerung und Mobilisierung möglich, als über bloßes Flyerverteilen erreicht werden kann, weil diese oft zu viel bei den Lesern voraussetzen.
Wir haben den einen entsprechenden Antrag im Stadtschüler*innenrat gestellt und mit den Schülervertretungen an den einzelnen Schulen gesprochen. An den Schulen ohne aktive Schülervertretung war es schwierig, die Schüler zu mobilisieren. Teilweise waren die Schulleiter gegen die Demonstration und das staatliche Schulamt hat versucht, das Ganze über die Frage der Aufsichtspflicht zu blockieren.
Deshalb haben wir Briefe an die Eltern geschrieben, eine Bildungsveranstaltung des Stadtschüler*innenrates am Startpunkt der Demo angemeldet und gemeinsame Sternmärsche von den Vollversammlungen an den Schulen zum Demostart organisiert. Zusätzlich haben wir eine Schultour gemacht, um auch Schülerinnen und Schüler, die kein Gymnasium besuchen, für die Aktion zu gewinnen. Ein großer Erfolg war die geschlossene Teilnahme der Alicen-Eleonoren-Schule an der Demonstration. Das ist eine Berufsschule an der momentan bis zu 50 Prozent des Unterrichts ausfällt.
Die Aktion wird von einem Bündnis getragen. Welche Erfahrungen habt ihr mit der Bündnisarbeit gemacht?
Wir wollten ein Bündnis mit einer möglichst breiten Basis schaffen. Deshalb haben wir alles so offen wie möglich gehalten. Das Bündnis sollte vielfältig werden und von Individuen und nicht von Organisationen getragen werden.
Eine dynamische Vielfalt mit vielen verschiedenen Blickwinkeln sollte entstehen. Wir wollen etwas Gesamtgesellschaftliches ansprechen und niemanden ausschließen. Deshalb haben wir uns auch das Motto: »Bist du unzufrieden? – Empör dich!« geben. Es soll viele Menschen zum Mitmachen einladen.
Wir haben ein vielfältiges Bündnis mit Asten, Stadtschüler*innenrat, dem Lehrstellenbündnis, einzelnen Gewerkschaftern und interessierten Einzelpersonen hinbekommen. Allerdings waren die meisten schon vor dem Entstehen des Bündnisses aktiv und wir haben festgestellt, dass sie große Offenheit für unnötige Verwirrung gesorgt hat.
Wir brauchen in einem gewissen Rahmen Ansatzpunkte, damit die Einzelnen wissen, worauf sie hinarbeiten sollen. Auch wenn noch nicht alles optimal war, ist es uns wichtig, weiter in dem Bündnis zu arbeiten.
Die Besetzung von Gebäuden außerhalb des Universitätsgeländes ist eher unüblich für den Bildungsprotest. Warum habt ihr euch für die Stadtbücherei entschieden?
Wir wollten uns einen öffentlichen Raum aneignen, der im Prinzip jedem zur Verfügung steht. Die Stadtbücherei ist so ein öffentlicher Raum. Außerdem wollten wir einen leichten Einstieg in den Protest ermöglichen. Da es erst mal jedem und jeder erlaubt ist, sich im Foyer der Stadtbücherei aufzuhalten, ist die Hemmschwelle sich zu beteiligen erst mal nicht so hoch wie bei einer Hausbesetzung.
Mit dieser Aneignung des öffentlichen Raums wollen wir einen Freiraum schaffen, in dem es die Möglichkeit gibt sich zu treffen, ein Miteinander zu schaffen und das auch nach außen zu zeigen. Wir wollen damit der Entfremdung und der Vereinzelung im Kapitalismus entgegenwirken, uns damit auseinander setzen und Alternativen zeigen und leben.
Das Prinzip der Solidarität soll sichtbar mit leben gefüllt werden. Deshalb bemühen wir uns um eine gemeinsame Kommunikation, die nicht ausschließt und entscheiden basisdemokratisch im Konsensprinzip. Wir wollen niemanden Ideen oder Konzepte überstülpen. Es ist ein Prozess den wir gemeinsam gestallten wollen.
Die Stadtbibliothek hat weiterhin geöffnet und im Foyer befindet sich die Ausstellung »Typisch Zigeuner – Mythos und Wirklichkeit«. Wie klappt es mit den Besuchern der Bibliothek?
Viele Besucher sind interessiert, wir suchen das Gespräch mit ihnen und versuchen sie auch in unsere Aktion einzubeziehen. Das klappt sehr gut. Uns ist wichtig verantwortlich und sorgsam mit der Ausstellen und den Räumlichkeiten um zugehen. Am Tag der Aneignung wurde diese Ausstellung eröffnet. Wir wurden zu dem offiziellen Empfang eingeladen und haben bisher eine gute Zusammenarbeit mit dem Veranstalter der Ausstellung.
Auf euren Flyern sprecht ihr euch gegen eine Ökonomisierung des Bildungssystem aus. Wie sieht eure Kritik an diesem Bildungssystem aus?
Das Geld ist immer mehr Mittel zum Zweck und Mittelpunkt des Systems geworden. Wenn man in diesem System bestehen will, dann braucht man Geld. Eigentlich sollte das Individuum im Mittelpunkt stehen und nicht das Geld.
Deshalb wollen wir den Bildungsbegriff neu definieren. Er ist entfremdet und zu stark konnotiert worden, er steht nicht mehr frei. Bildung ist kein Selbstzweck mehr, sondern nur noch dafür da, Geld zu verdienen. Das Individuum mit seinen Talenten und Empfindungen wird übergangen.
Bildung sollte kritisch denkende Individuen formen, die Dinge hinterfragen. Sie sollte der zentrale Baustein einer Gesellschaft sein, die dynamisch und kritisch handelt.
(Die Fragen stellten Lisa Hofmann und Thomas Frischkorn.)
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