Im November diskutiert Christine Buchholz auf den »Marx 'is Muss« Regionalkonferenzen in Freiburg, Frankfurt und Oberhausen über linke Strategien für das kommende Jahr. Im Interview spricht die Bundestagsabgeordnete über die Schwächen des klassischen linken Parlamentarismus, die Eurokrise und wie die LINKE bestehende Kämpfe in der Gesellschaft unterstützen kann.
Interview: Stefan Ziefle
Christine, du warst viel im Wahlkampf unterwegs. Was ist dein Eindruck?
In vielen Gesprächen habe ich den Eindruck gewonnen, dass die LINKE heute bekannter und akzeptierter ist als noch vor vier Jahren. Besonders unsere inhaltlichen Forderungen treffen auf große Zustimmung, sei es der gesetzliche Mindestlohn, die Einführung einer Vermögensteuer oder die Rückkehr zur Rente mit 65.
Der „Deutschlandtrend“ der ARD von letzter Woche bestätigt das. Selbst die CDU-Wähler sind mehrheitlich für den Mindestlohn. 56 Prozent der Befragten sprachen sich sogar für einen Mindestlohn über den von SPD und Gewerkschaften geforderten 8,50 Euro aus.
Der aktuelle Fokus der Debatten auf mögliche Regierungskonstellationen kann nicht überdecken, dass die eigentliche Frage im Moment lauten muss: Wie können wir die gesellschaftliche Kräftekonstellation so verändern, dass eine Politik für die Mehrheit der Menschen durchgesetzt werden kann?
Sind wir da beim Thema »Klassenkampf«, zu dem du auf der Konferenz sprichst?
Nun, klar ist, dass wir von der SPD nicht allzu viel erwarten dürfen. Es ist schon jetzt absehbar, dass die SPD in den Verhandlungen mit der CDU bei der Frage der Steuererhöhungen für Reiche einknicken wird.
Gleichzeitig steht ein weiteres Bankenrettungspaket vor der Tür und Fiskalpakt und Schuldenbremse sind eine Grundlage für weitere Sparmaßnahmen im Sozialbereich und Personalabbau auf allen Ebenen.
Wenn wir wirklich einen Politikwechsel durchsetzen wollen, wird viel von der Mobilisierungsfähigkeit der sozialen Bewegungen, insbesondere der Gewerkschaften, abhängen. Aber da gibt es noch viele Fragezeichen. Momentan gibt es eine ganze Reihe von kleineren Kämpfen, aber es gibt noch keinen verallgemeinerten Klassenkampf von unten. Da liegt noch ein guter Weg vor uns.
Was müsste getan werden? Und wie kann die LINKE helfen, diesen Weg zurückzulegen?
Zunächst einmal sind die bestehenden Kämpfe wichtige Anknüpfungspunkte, die wir ernst nehmen müssen. Und da gab es im Wahlkampf einige gute Ansätze.
In Frankfurt zum Beispiel hat die Partei schon eine Tradition der Unterstützung von Kollegen in der Gastronomie aufgebaut. Der Kreisverband beteiligte sich in den letzten Jahren an einer Kampagne gegen die Entlassung von Gewerkschaftern bei der Steakkette Maredo. Darauf aufbauend konnten wir gemeinsam mit Gewerkschaftern Aktionen gegen die betriebsratsfeindliche Politik bei Burger King machen.
Beim Kampf der Belegschaft von Amazon in Bad Hersfeld um einen Tarifvertrag hat sich die LINKE kontinuierlich und langfristig eingebracht. In Berlin gründete der Kreisverband in Neukölln mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten gemeinsam ein Soli-Komitee zur Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen im Einzelhandel bei ihrem Kampf um Lohnerhöhungen.
Die Erfahrung dabei war immer positiv: Die betroffenen Kolleginnen und Kollegen freuen sich immer über Unterstützung und die Menschen, die wir auf der Straße ansprechen, zeigen sich meist offen für die Anliegen der Beschäftigten. Man merkt, dass die Partei hier auch die Funktion eines Scharniers haben kann.
Das klingt einfach. Aber das kann doch nicht alles sein, oder?
Nun, so einfach ist es nicht. Entscheidend ist, dass es gelingt, ein Verhältnis zu den kämpfenden Betriebsräten, Belegschaften und Gewerkschaftssekretären aufzubauen. Das kann schon mal ein längerer Prozess sein. Dass die Partei ihre Solidarität äußert ist dabei ein wichtiger erster Schritt. Aber es muss noch mehr kommen.
In Offenbach zum Beispiel gab es eine Auseinandersetzung um die geplante Privatisierung des Klinikums. Zuerst gab es im gewerkschaftlichen Lager eine positive Reaktion auf die Idee eines Soli-Komitees und eines Bürgerbegehrens, dann gab es aber keine Unterstützung mehr .
Solange es scheint, die Alternative hieße Schuldenbremse, Kürzungen, schlechte Arbeitsbedingungen und Personalabbau einerseits und Zufluss von Privatkapital und ungewisse Zukunft andererseits, wird es schwierig, die Belegschaften für den Kampf gegen Privatisierung zu gewinnen.
Hier zeigt sich noch eine andere wichtige Funktion der Partei. Wir können mit politischen Alternativen die Kämpfe inspirieren: Ablehnung der Schuldenbremse, Umverteilung von oben nach unten.
Inwiefern hilft es kämpfenden Belegschaften, wenn die LINKE politische Forderungen stellt, für die es dann keine Mehrheiten im Bundestag gibt?
Das Aufstellen von Forderungen an sich hilft natürlich niemandem. Das ist ja auch die Schwäche des klassischen linken Parlamentarismus. Es kommt darauf an, die politischen Kräfteverhältnisse nach links zu verschieben. Je linker die Stimmung und je selbstbewusster soziale Forderungen gestellt werden, desto einfacher wird es, Unterstützung für die einzelnen Kämpfe zu gewinnen und zu mobilisieren.
Dazu gehört auch, dass wir eine linke Antwort auf die Eurokrise geben. Die Wahl hat vor allem gezeigt, wie wichtig dieses Thema ist. Die CDU konnte sich einerseits als Stabilitätsanker in einem unübersichtlicher werdenden Europa profilieren. Und andererseits hat die „Alternative für Deutschland“ mit ihrer eurokritischen Haltung viele Protestwähler aus allen Lagern in rechtes Fahrwasser kanalisieren können. Das ist wirklich bedenklich.
Das nächste Rettungspaket und die bevorstehenden Europawahlen werden die Polarisierung noch mal verstärken. Was passiert, wenn die Linke da versagt, sehen wir gerade in Frankreich, wo der faschistische Front National in aktuellen Umfragen stärkste Partei ist.
Die Eurokrise verschärft die rechts-links-Polarisierung in Europa dramatisch. Das wird auch vor Deutschland nicht halt machen. Die Kämpfe sind Teil des Erstarkens linker Perspektiven. Die LINKE wird in dieser Herausforderung nur bestehen, wenn sie auf eine klassenkämpferische Strategie setzt, also praktisch auf der Seite der Kämpfenden steht und eine politische Perspektive gegen das Europa der Banken und Konzerne anbietet.
Christine Buchholz auf den »Marx 'is Muss« Regionalkonferenzen:
Freiburg: 1.11.2013
Vom Wahlkampf zum Klassenkampf – Strategien für Linke 2014 mit Christine Buchholz (MdB DIE LINKE) und Sybille Stamm (ehem. Landesprecherin DIE LINKE Baden-Württemberg und ehem. ver.di Landesvorsitzende)
Oberhausen: 9.11.2013
Vom Wahlkampf zum Klassenkampf – Strategien für Linke 2014 mit Christine Buchholz (MdB DIE LINKE), Mischa Aschmoneit (Interventionistische Linke)
und Jan Richter (Betriebsrat H&M)
Frankfurt: 10.11.2013
Vom Wahlkampf zum Klassenkampf – Strategien für Linke 2014 mit Christine Buchholz (MdB DIE LINKE) und Thomas Sablowski (Autor »Die neue Krise des Kapitalismus«, Rosa-Luxemburg-Stiftung)
Weitere Informationen: www.marxismuss.de