Der Mord an dem Musiker Pavlos Fyssas zeigt, wie gefährlich die Nazis in Griechenland geworden sind. Sparpolitik und Rassismus der Regierung Samaras ebnen ihnen den Weg. Dafür trägt auch Angela Merkel die Verantwortung, meint Leo Fischer
Die Ermordung des 34-jährigen Rappers Pavlos Fyssas (alias »Killah P«) durch ein Mitglied der Nazipartei Chryssi Avgi (CA, »Goldene Morgendämmerung«) letzte Woche in Athen wird als eine Zäsur in die griechische Geschichte eingehen. Fyssas verwickelte sich nach Ende eines Fußballspiels in eine politische Auseinandersetzung mit dem Mörder, der ihn dann mit zwei Messerstichen ins Herz umbrachte. Er lag dann sterbend in den Armen seiner Freundin, während die Polizei bei der Auseinandersetzung zwischen beiden zusah und nicht eingriff.
Obwohl CA prompt versuchte, sich von dem Mörder zu distanzieren, gab dieser nach seiner Verhaftung zu, Mitglied der Gruppe zu sein. Veröffentlichte Fotos zeigen ihn in Veranstaltungen und bei Ausflügen der Nazis, während in seinem Handy Gespräche zwischen ihm und dem lokalen Anführer der CA in der Gegend, wo der Mord stattfand, aufgezeichnet wurden. Der Mord an Pavlos Fyssas war kein Einzelfall und keine Tat eines Mitgliedes, das »aus der Reihe tanzt«; sondern er war längst geplant. Das Opfer gehörte dem Linksbündnis Antarsya an, war wegen seiner antifaschistischen Arbeit in der Öffentlichkeit sehr bekannt und ein Dorn im Auge der Nazis.
Generalangriff der Nazis
Der erste Nazimord an einem Griechen geschah im Rahmen einer breiteren Offensive der Nazis. In den Wochen zuvor hatten Schlägertruppen der Chryssi Avgi Mitglieder der Kommunistischen Partei Griechenlands angegriffen, während diese Plakate für das kommende Jugendfestival der Partei aufhängten. Der Angriff ereignete sich in Perama, eine traditionelle Hochburg der Linken im Ballungsraum von Athen. Er signalisierte den Willen, die Linke aus ihren Hochbürgen zu vertreiben, eine klassische faschistische Strategie, die nach der Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung strebt.
Davor war der prominente linke Intellektuelle Savvas Michael-Matsas durch Mitglieder der CA angeklagt worden. Der Vorwurf: Die kleine linke Gruppe EEK, die er anführt, habe zur physischen Gewalt gegen die Nazis aufgerufen, indem sie deren Zerschlagung forderte. Das ist in etwa so, als ob das Bündnis Dresden Nazifrei hierzulande wegen beabsichtigter Körperverletzung vor Gericht gestellt würde, weil es Sticker mit dem Aufruf »Nazis zerschlagen« verteilt. Die Bedeutung der EEK ist äußerst gering, Matsas wurde aber aus einem anderen Grund von den Nazis ins Visier genommen: Er ist der bekannteste jüdische Intellektuelle Griechenlands. Die Kläger hatten fast alle selbst Prozesse wegen Angriffen auf Migranten am anhängig; diese wurden jedoch ständig verschoben – ein Indiz für die Verstrickungen der Justiz und der Nazis mit dem Staatsapparat.
Hofieren durch die Medien
Matsas wurde zwar letztendlich freigesprochen, doch die Tatsache, dass es soweit kommen konnte, ist ein alarmierendes Zeichen für die gesellschaftliche Macht und Ausstrahlung, über die die Nazis von CA heute in Griechenland verfügen. Die Nazis sind eines der Symptome der brutalen Sparpolitik von Merkel und Schäuble. Doch die wirtschaftliche Lage alleine liefert keine ausreichende Erklärung für den Aufstieg der Nazis.
Es gibt mächtige Kräfte und Akteure, die diesen Aufstieg ermöglichen, sowohl materiell als auch ideell. Seit mehr als einem Jahr werden Mitglieder der Nazis durch die von Konzernen kontrollierten Medien hofiert und oft als Gäste bei Talkshows eingeladen, sozusagen als Vertreter einer ganz »normalen üblichen Partei«, die dann ihre rassistischen Theorien über Mensch und Welt vortragen dürfen. Klatschzeitschriften veröffentlichten sogar Fotos einer Schönheitskönigin mit einem führenden Nazi-Abgeordneten am Strand mit einem eintätowierten Hakenkreuz auf dessen Arm. Mitglieder von Chryssi Avgi werden nicht selten euphemistisch als gute junge Männer aus der Nachbarschaft dargestellt, die Omas beim Marktgang helfen und Nahrungsmittel – natürlich nur an Griechen – verteilen.
In einer typischen Umsetzung der Totalitarismustheorie werden die Nazis in der Mainstreampresse als eines der zwei Extreme dargestellt, das andere seien die Linken, die Anarchisten und die Gegner der Sparpolitik, die Steine schmeißen. Nach dem Mord an Fyssas verbreiteten große Fernsehsender alle möglichen Lügen über das Ereignis. Der Mörder stamme eigentlich aus der linken Szene und erledigte Aufgaben für CA nur gegen Bezahlung, so die Sender, oder »bei der Auseinandersetzung davor handelte es sich um Fußball«.
Diener des Kapitals
Aber nicht nur die Medien wirken beim Aufstieg von CA mit. Enthüllungen der britischen Zeitung Guardian zeigen, dass reiche Reeder die Nazis finanziell unterstützen, was vielleicht die Eröffnung von vielen CA-Büros in Griechenland in einem relativ kurzen Zeitraum erklären kann.
Das Umfeld von CA zeugt von mehreren Überschneidungen zwischen Mitgliedschaft in der Organisation, im Polizeiapparat oder in privaten Sicherheitsfirmen. Letztere werden nicht selten von Konzernen angeheuert, um gegen streikende Arbeiter vorzugehen. Auch die herrschende konservative Nea Dimokratia von Premierminister Samaras trägt zum Erstarken der Nazis bei. Das geschieht nicht nur durch die Auswirkungen der Sparpolitik, die den Nährboden für die Nazis schafft.
Führende Mitglieder der Partei sprachen mehrmals in der jüngsten Vergangenheit von der Möglichkeit einer zukünftigen Koalition mit einer »seriöseren« Chryssi Avgi. Kein Wunder, denn der politische Ursprung der CA und vieler prominenter Mitglieder der Nea Dimokratia ist derselbe: Das faschistoide Militärregime der Obristen, die das Land zwischen 1967 und 1974 regierten.
Den antifaschistischen Widerstand stärken
Mit dem Mord an Fyssas scheinen die Nazis sich jedoch verrechnet zu haben. Chryssi Avgi schloss viele ihrer Büros, Akten wurden zerstört und Namen ausgestrichen, um möglichen Strafverfolgungen vorzubeugen. In Zypern eröffnete die Ermordung von Fyssas eine Diskussion über den paramilitärischen Charakter des Ablegers der CA auf der Insel, sowie über ein Verbotsverfahren gegen diesen.
Samaras und andere Betreiber der Sparpolitik haben ihr Entsetzen über den Mord ausgedruckt. Doch ihre Empörung ist gespielt. Es waren die Politiker des Memorandums, die durch die »Theorie der Extreme« und ihre Hetze gegen Migranten die Nazis mit einer Legitimität untermauerten, ohne die sie sonst nicht so stark wären. Die Justiz und die Mainstream-Politiker können keine Partner im Kampf gegen die Nazis sein. Für diese ist Chryssi Avgi eine Reservearmee in Zeiten der Krise. Diese Rolle ist heute in Griechenland durch Diskurse, dokumentierte Taten und personelle Verknüpfungen zwischen den Nazis einerseits, und den regierenden Konservativen und wichtigen Vertretern des griechischen Kapitals andererseits belegt.
Die Lage ist aber nicht hoffnungslos. Griechenland verfügt über eine starke und kämpferische Arbeiterklasse, die die Nazis stoppen kann. Gewinnen kann diese Arbeiterklasse jedoch nur, wenn die linken Parteien auf einen gemeinsamen Widerstand von unten setzen und nicht auf eine linke Regierung mit Memorandum-Parteien wie die Pasok.
Die Verantwortung von Merkel
Die von oben begünstigte Faschisierung der griechischen Gesellschaft wirft ein Schlaglicht auf den Charakter der politischen Kräfte, mit denen die Merkel-Regierung ihre Sparpolitik vorantreibt. Angela Merkel gibt sich hierzulande als eine fürsorgliche konsensorientierte Politikerin aus, doch die mit ihr verbündeten Kräfte sind äußerst autoritär, hetzen täglich gegen Migranten und Minderheiten, und ebnen sehr oft bewusst den Weg für faschistische Kräfte rechts von ihnen.
Dies betrifft nicht nur die Nazis von Chryssi Avgi, die Migranten mehrmals, manchmal sogar tödlich angreifen, sondern auch Parteien wie die antisemitische und antiziganistische Jobbik in Ungarn. DIE LINKE hierzulande hat eine Verantwortung, den Kampf gegen das EU-Spardiktat ins Herz der Bestie zu tragen. Die Folgen dieses Diktats sind nämlich nicht nur Verzweiflung und Verarmung, sondern auch Tote wie Pavlos Fyssas.
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