Der Streik beim Kinobetreiber Cinestar hatte Erfolg: Es gibt einen Tarifvertrag. Doch der hat seine Schwächen, meint Heinz Willemsen
Am 21. Dezember haben sich die Gewerkschaft ver.di und die Kinokette Cinestar auf einen Manteltarifvertrag und einen Entgelttarifvertrag für die Beschäftigten in den 68 Kinos der Cinestar-Kette geeinigt. Die mehr als ein Jahr dauernde Streikauseinandersetzung in 13 der 68 Häuser des Konzerns ist damit beendet.
Noch einen Monat zuvor hatte der Konzern, der jährlich 30 Millionen Euro Gewinn an das australische Mutterhaus AHL überweist, es abgelehnt, einen konzernweiten Tarifvertrag überhaupt auch nur in Erwägung zu ziehen. Wenn die jeweiligen Gremien in ver.di und beim Cinestar der Einigung bis zum 31. Januar zustimmen, hat Deutschlands größte Kinokette erstmals in ihrer Geschichte einen Tarifvertrag.
Bessere Standards erstreikt
In dem einheitlichen Manteltarifvertrag gelang es endlich, eine Reihe von Standards durchzusetzen, die bei anderen Kino-Ketten wie Cinemaxx schon vor längerem erkämpft wurden. Vor allem für die vielen studentischen Beschäftigten ist die unbezahlte Freistellungsmöglichkeit von bis zu 6 Monaten wichtig. Wer etwa ein Auslandssemester macht, muss sich hinterher nicht neu bewerben, sondern behält seinen Arbeitsplatz. Vor allem bekommt der- oder diejenige nicht das Anfängergehalt, sondern bleibt in der Aufstiegsstufe aus der Zeit vor der Freistellung. Das ist bares Geld wert.
Allein die Tatsache des Streik hatte in den Streikbetrieben schon während der Auseinandersetzung dazu geführt, dass Verbesserungen bei Fragen wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsgeld, oder der unseligen Manko-Regelung (Verluste in der Kasse mussten von den Mitarbeitern ausgeglichen werden) erzielt wurden.
Löhne bleiben bescheiden
Doch der Abschluss hat nicht nur Begeisterung bei der Belegschaft ausgelöst. Von Teilen gab es zum Teil recht heftige Kritik. Denn in der zentralen Frage der Anhebung der Hungerlöhne von 6,30 bis 7,00 Euro auf den gewerkschaftlichen Mindestlohn von 8,50 Euro ist der Erfolg eher bescheiden. Anders als der Manteltarifvertrag ist der Entgelttarif nicht einheitlich. Es gibt fünf unterschiedliche Lohntabellen für ein und dieselbe Arbeit, dazu noch zwei unterschiedliche Termine für die erste Lohnsteigerung (01.01.2013 und 01.07.2013) und 16 Kinos, die von den Lohntabellen überhaupt nicht erfasst werden.
Nur in vier Kinos wird es 2013 einen Mindestlohn von 8,50 geben. In 42 Kinos wird es den erst im Jahr 2016 geben, die Hälfte davon erst zum 01.12.2016. Insgesamt ist der Abschluss, was die Entgelte anbetrifft, also eher eine Ansammlung von Haustarifen als ein einheitlicher Konzerntarifvertrag. Das dürfte Cinestar letztlich dazu bewogen haben die harte Haltung »kein Tarifvertrag« aufzugeben.
Unnötiges Misstrauen geschürt
Vermutlich hat die Tarifkommission recht: Mehr war derzeit nicht drin. Trotz einer beachtlichen Anzahl an Streiktagen, die viele Metaller in 40 Berufsjahren nicht vorweisen können, letztlich ist es nicht gelungen, mehr Kinos in die Auseinandersetzung zu ziehen.
Trotzdem bleibt ein etwas schaler Nachgeschmack. Die Tarifkommission druckst herum und will nicht wirklich darlegen, was die Gründe für die unterschiedlichen Entgelttabellen sind. Sie verkauft das Tarifwerk als einheitlichen Erfolg, statt zu erklären, was Erfolg ist, was aber auch Misserfolg ist und was die Gründe dafür sind.
Dabei feiert die Gegenseite ganz offen die »ausdifferenzierte Entgelttabelle« als Erfolg der Unternehmensseite, die »die unterschiedliche Ertragskraft der Standorte berücksichtigt.« (Cinestar-Geschäftsführer Stephan Lehman in Magdeburger Sonntag am 05.01.2013) Das schürt unnötigerweise Misstrauen und trägt auch nicht dazu bei, die z.T. unrealistischen Erwartungen der Kritiker des Tarifabschlusses rational zu diskutieren.
Lange Laufzeit des Tarifvertrags
Auch in einem anderen wichtigen Feld hat der Abschluss eine problematische Seite: die lange Laufzeit von vier Jahren. Das Problem der immer längeren Laufzeiten von Tarifverträgen wird generell wenig diskutiert, ist aber für die Frage der gewerkschaftlichen Durchsetzungsfähigkeit von strategischer Wichtigkeit.
Im Sommer 2012 haben die Beschäftigten von Cinestar und Cinemaxx gemeinsam in Berlin für Lohnerhöhungen demonstriert. Das wird künftig nicht mehr so einfach möglich sein, denn der Tarifvertrag von Cinemaxx endet bereits Ende 2015, während der Cinestar-Abschluss noch ein weiteres Jahr Bestand hat. Dabei hat die tarifpolitische Grundsatzabteilung von ver.di erst unlängst verlauten lassen, dass die unselige Zersplitterung der Tariflandschaft nur durch eine Harmonisierung der Vertragslaufzeiten zu überwinden sei. Ohne eine zeitliche Koordination von Einzeltarifrunden gäbe es auch keine gemeinsamen Kampagnen.
Ernsthafte Diskussion
Gewiss wäre es allzu billig, der Tarifkommission Verrat vorzuwerfen. Absichtserklärungen der Gewerkschaft nach Harmonisierung von Vertragslaufzeiten sind nicht das gleiche wie Durchsetzungsfähigkeit. Aber die Gewerkschaft braucht eine ernsthafte Diskussion, wie dieses Ziel praktisch umgesetzt werden kann. Sonst verkommen die Erklärungen der Grundsatzabteilung zu verbalradikalen Absichtserklärungen ohne Relevanz für die gewerkschaftliche Praxis.
Bei aller Freude über den Tarifabschluss nach mehr als einem Jahr Streik wirft der Abschluss Probleme und Fragen auf, die einer innergewerkschaftlichen Diskussion bedürfen. Eine gute Gelegenheit dazu bietet sich auf der Konferenz »Erneuerung durch Streik« vom 1.-3. März in Stuttgart.
Mehr im Internet:
- »Erneuerung durch Streik« vom 1.-3. März in Stuttgart: Anmeldung und weitere Infos unter www.rosalux.de/streikkonferenz
Mehr auf marx21.de:
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