Ist die Macht der Ratingagenturen grenzenlos, wie die Bild-Zeitung ängstlich feststellt? Thomas Walter schildert, was es mit diesen Institutionen auf sich hat
Am Freitag, den 13. Januar, hat die US-Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) neun europäische Länder »abgestraft«, indem sie deren Kreditwürdigkeit herabgestuft hat. Deutschland war zwar nicht unter den Betroffenen, aber Politiker von der CDU bis zur Linkspartei waren trotzdem empört. Bald könnte es auch Deutschland erwischen.
Und ein Land muss den Banken für Kredite umso höhere Zinsen als Risikoausgleich zahlen, je niedriger seine Kreditwürdigkeit ist. Gregor Gysi wird mit den Worten zitiert, dass die Ratingagenturen einen »Krieg gegen die europäischen Völker« führten. Dabei sollte das amerikanische Volk nicht vergessen werden, denn die USA waren schon im Sommer 2011 von S&P abgestuft worden.
»Sie stürzen ganze Staaten in die Krise«
Immer wieder gibt es Aufregung um die Ratingagenturen. Schon im April 2010 schlug »Bild« Alarm: »Sie stürzen ganze Staaten in die Krise. Verbreiten Angst und Schrecken. Die Macht der so genannten Rating-Agenturen ist grenzenlos.« Was sind das für Institutionen, die noch vor ein paar Jahrzehnten völlig unbekannt waren, als Begriffe wie AAA allenfalls an 00 denken ließen? Ihr Aufstieg hängt eng mit dem Neoliberalismus zusammen. Sie sind Teil der neuen Finanzarchitektur, die sich ab den 80er Jahren weltweit herausbildete.
Hintergrund war, dass das Wirtschaftswachstum mehr und mehr erlahmte (vgl. Marx' berühmtes Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate). Es kann nur noch über Schulden künstlich aufrecht erhalten werden. Zuerst verschuldeten sich die Staaten in der Hoffnung, dass so die Privatwirtschaft angekurbelt werden könnte. Diese Hoffnung wurde enttäuscht, und die Staaten gerieten an die Grenzen ihrer Verschuldungsfähigkeit. Auch wurde der Privatwirtschaft die zunehmende Staatsverschuldung unheimlich.
Privatisierung der Schuldenpolitik
Die neue Finanzarchitektur versuchte die Schulden zu privatisieren. Die Liberalisierung der Finanzmärkte schuf die Möglichkeit Kredite weltweit zu vergeben. Aber warum sollte eine deutsche Bank einer Gemeinde in Kalifornien Geld leihen? Außerdem wollten die Banken angesichts der unsicheren Lage der Weltwirtschaft gar keine Kredite mehr vergeben.
Die »Verbriefung« von Krediten machte es allerdings möglich, Kredite wie Wertpapiere weiterzuverkaufen. Aber welche andere Bank wollte solche verbrieften Kredite kaufen?
Ratingagenturen im Auftrag des Staates
Diese Probleme sollten von den Ratingagenturen gelöst werden. Diese würden die Kreditwürdigkeit von Staaten, Unternehmen und Wertpapieren benoten. Die Banken wüssten dann, wie sie mit welchem Risiko investieren könnten. Allerdings glaubt keine Bank so einfach einer Ratingagentur. Deshalb wurden die Ratingagenturen staatlich anerkannt. Den Banken wurde gesetzlich vorgeschrieben, gemäß welcher Ratings sie wie viel von welchen Papieren halten durften. So genannte kapitalgedeckte Altersversicherungen z.B. dürfen das Geld für die zukünftigen Renten nur in Papiere mit hohem Rating anlegen (am Besten »Triple-A« oder »AAA«). Banken müssen für Geldanlagen je nach deren Rating unterschiedlich hohe Reserven halten.
Je besser das Rating einer Geldanlage, desto weniger Geldreserven müssen die Banken dafür vorhalten. Der Staat, dem man vorne die Tür gewiesen hatte, stieg hinten zum Fenster wieder herein. Ratingagenturen sind staatlich anerkannte Institutionen, die privatwirtschaftlich gewinnorientiert arbeiten. Für ihre Ratings verlangen sie Geld. Wer ein Rating haben möchte, muss einen Preis dafür bezahlen. Die Ratings gelten dabei als »freie Meinungsäußerung«. Irrt sich eine Ratingagentur, kann sie deshalb nicht so einfach auf Schadensersatz verklagt werden.
Interessenkonflikt
Nach einem Artikel des Bundeswirtschaftsministeriums vom Dezember 2010 machen sich die Ratingagenturen bei ihrer Arbeit nicht allzu viel Mühe. Ratings sollen schließlich auch nicht zu teuer werden. Zur Bewertung eines Unternehmens greifen sie nicht wie eine Wirtschaftsprüfergesellschaft auf interne Daten zu, sondern verwenden einfach nur die Daten, die die Unternehmung freiwillig zur Verfügung stellt.
Dazu kommt, dass inzwischen diejenigen, deren Kreditwürdigkeit bewertet werden soll, über die also ein Rating erstellt werden soll, gleichzeitig diejenigen sind, die diese Ratings bei einer Ratingagentur ihrer Wahl in Auftrag geben. Die Ratingagenturen versuchen also die Ratings an genau die Unternehmen zu verkaufen, deren Kreditwürdigkeit sie bewerten sollen. Dass hier für die Ratingagentur ein »Interessenskonflikt« besteht, ist auch schon Mainstream-Ökonomen aufgefallen.
»Marktversagen«
Ökonomen sprechen vom Triffbrettfahrerproblem. Eigentlich sollte eine Bank, bevor sie einen Kredit vergibt, ein Rating über eine Unternehmung kaufen, um so zu prüfen, wie kreditwürdig diese Unternehmung ist. Sie muss dann aber dieses Rating veröffentlichen, damit andere bereit sind, ihr Geld bei der Bank anzulegen. Damit ist aber dieses Rating öffentlich bekannt, auch denen, die dafür gar nicht bezahlt haben.
Warum sollte aber eine Bank Ratings kaufen, wenn sie diese aus den Veröffentlichungen der Konkurrenzbank kostenlos bekommen kann? Der Ratingmarkt funktioniert deshalb inzwischen nur noch so, dass praktisch Käufer nur noch über sich selbst Ratings kaufen, wenn sie einen Kredit brauchen.
»Freier Wettbewerb«? Fehlanzeige!
Wie viele Märkte im Kapitalismus ist auch der Ratingmarkt hoch konzentriert. Die drei großen Ratingagenturen S&P, Moody's und Fitch kontrollieren als so genanntes Oligopol 90 Prozent dieses Marktes. Das ist kein Wunder, denn je größer eine Agentur, desto gewichtiger ihre Ratings. Außerdem erkennen staatliche Stellen, wie die Europäische Zentralbank oder die deutsche Aufsichtsbehörde »Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht« (Bafin in Bonn) nur Ratings der großen Agenturen an.
Das widerspricht natürlich der herrschenden Ideologie vom segensreichen Wirken des Wettbewerbs. Ein bisschen funktioniert aber der Wettbewerb. Nachdem S&P neun Länder abgestuft hatte, darunter Frankreich, erklärte der Konkurrent Fitch für Frankreich weiterhin das beste Rating AAA beibehalten zu wollen. Fitch gehört mehrheitlich der französischen Firma FIMALAC, die in Paris sitzt.
Rating in der Krise
Diese staatlich gesetzte Rechtslage ist einigermaßen verworren und lädt zu zahlreichen »Reformen« ein, die in der Mainstream-Ökonomie diskutiert werden. Erklären lässt sich das alles eigentlich nur so, dass es eben darum ging, Kredite, also Verschuldung, immer weiter auszudehnen. Nur so lief noch die Wirtschaft. Mit Ratings versehene verbriefte Kredite konnten weltweit an Banken verkauft werden. Die Ratings stammten ja immerhin von staatlich anerkannten Ratingagenturen. Das Risiko wurde auf viele Schultern verteilt, wie es so schön hieß. Keiner, weder die Banken, noch die Ratingagenturen, noch der Staat, war mehr so richtig verantwortlich. Kredite und Wirtschaft wuchsen aber weiter.
Die Ratingagenturen sind dabei ähnlich wie Wirtschaftsprognostiker in einem typischen Dilemma, weil der Kapitalismus nicht gesamtwirtschaftlich geplant werden kann. Setzen sie die Ratings runter, wirft man ihnen vor, die Krise herbeigeredet, beschleunigt, vertieft zu haben, weil die Banken dann natürlich erst recht keine Kredite mehr vergeben wollen. Halten sie ihre Ratings weiter optimistisch, wirft man ihnen vor, die Krise zu spät erkannt zu haben.
»Sozialisierung« der privaten Verluste
In der Finanzkrise 2007 stellte sich dann endgültig heraus, auch für die Ratingagenturen, dass die aufgehäuften Kredite längst verkonsumiert worden waren und die damit finanzierten Investitionen nicht rentabel waren. Der große Zusammenbruch war über Jahre hinweg hinausgezögert worden, kam aber schließlich mit umso größerer Wucht.
Jetzt hat der Staat auf seine Schultern übernommen, was früher angeblich auf viele Schultern verteilt war. So nach und nach wird er das wieder bei der Bevölkerung einsammeln wollen, was er den Banken und Unternehmen jetzt in der Krise vorgeschossen hat.
Legitimitätskrise
Doch hinter der Finanzkrise lauert die Legitimitätskrise. Es wird schwierig zu behaupten, dass der »stumme Zwang der Verhältnisse« (Marx), also die so genannten wirtschaftlichen Sachzwänge regieren, wenn die Verquickung zwischen Staat und Markt immer auffälliger wird. Der Streit, ob Markt- oder Staatsversagen vorliegt, ist müßig. Der Chef des Unternehmerinstitutes IW Köln, Michael Hüther, fordert inzwischen die Verstaatlichung der Banken, damit der Staat direkt als Oberbankier den Unternehmen mit vielen und billigen Krediten helfen kann. Der Staat soll den Konzernen helfen. Umgekehrt braucht der Staat die Profite »seiner« Konzerne. Die Sorge mancher Linker, der Staat könnte sich aus der Wirtschaft zurückziehen, war verfrüht. Der Staat behält die Zügel in der Hand, aber im Interesse der Konzernprofite und in Konkurrenz mit anderen Staaten oder Staatsblöcken.
Der Staat selbst spiegelt die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft wider, in dem er als Ergebnis von Machtkämpfen in zahlreiche Behörden untergliedert ist, die mal gegeneinander arbeiten, mal sich gegenseitig die Bälle zuspielen. Einige Staatsorgane sind noch vergleichsweise direkt demokratisch legitimiert, wenigstens nach herrschender Lehre. Bei anderen ist das nur noch sehr indirekt der Fall, etwa bei den Institutionen der Europäischen Union. Einige Staatsorgane wollen gar nicht so richtig zugeben, dass sie zum Staat gehören, etwa die Europäische Zentralbank. Sie würde am Liebsten in aller Stille mit Milliarden- oder Billionenbeträgen zugunsten der Banken und Konzerne in die Märkte eingreifen.
Ihnen wird geholfen, wir sollen sparen.
Die herrschenden Kräfte fordern wieder einmal, dass der Staat seine Schulden, die er zur Rettung von Banken und Konzernen aufgenommen hat, abbauen soll. Dazu sollen Staatsausgaben, gemeint sind diejenigen für den Sozialstaat, gekürzt werden. Auch manche Linke wollen die Staatsschulden abbauen, um so die Abhängigkeit der Staaten von den Finanzmärkten zu vermindern. Dem könnte man zustimmen, aber nicht um den Preis von Sozialabbau.
In einer Zeit, wo die Konzerne nicht mehr wissen, wo sie ihre Profite anlegen sollen, wo sie sogar bereit sind, den deutschen Staat dafür zu bezahlen, dass sie ihr Geld an ihn leihen dürfen, die so genannten »negativen« Zinssätze, ist es höchste Zeit, diese Profite zu besteuern. Mit der Besteuerung der Konzernprofite können Schulden abgebaut werden, die der Staat aufgenommen hat, um die Konzernprofite zu retten. Mit einer solchen Reichensteuer können vernünftige Projekte finanziert werden im Interesse der Bevölkerung.
Zur Person:
Thomas Walter lebt in Berlin und ist Mitglied der LINKEN.
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