Der Skandal um die Nazi-Terrorzelle rückt die Arbeit des Verfassungsschutz in den Mittelpunkt des Interesses. Arno Klönne bringt Licht ins Dunkel
Ein Skandal heftigster Art: Aus dem neonazistischen Untergrund heraus läuft über Jahre hin eine politisch gezielte Mordserie , ohne dass Justiz und Polizei sich überhaupt auf diese Spur setzen. Unter dem Etikett »Dönermorde« werden die Taten der Bevölkerungsgruppe zugeordnet , die das Angriffsziel der mörderischen »Heimatschützer« war.
Und die Behörden verhielten sich blind, obwohl doch die Szene, der die Täter entstammten, in engem Kontakt mit Ämtern stand, die dem Schutz der Verfassung dienen sollen. Obwohl? Oder weil? Das ist die Frage, auf die wir jetzt aus den zuständigen Ministerien keine Antwort erhalten werden. Höchst unwahrscheinlich ist auch, dass durch parlamentarische Aktivitäten Aufklärung zustande kommt.
Geheim und ganz geheim
Denn Verfassungsschutzämter sind Geheimnisträger, und wie dieser Begriff schon ahnen lässt: Gelegentlich, unter dem Druck der Öffentlichkeit, geben sie einige verborgene Sachverhalte preis, aber nicht die wirklich riskanten. Hinter dem Geheimen, so ihr Amtsverständnis, liegt das ganz Geheime. Und das muss die Öffentlichkeit auch im Skandalfall nicht erfahren, selbst ausgewählte Volksvertreter müssen da nicht eingeweiht werden.
Also bleibt es bei geheimbehördlicher Erklärungsroutine: Das Versagen einzelner Dienststellen sei schuldig an der Ermittlungspanne, der behördliche Informationsaustausch habe nicht funktioniert, die Verfassungsschützer bräuchten mehr Befugnisse, zentrale Dateien müssten endlich eingerichtet werden. Und die Kritiker werden belehrt: Der Verfassungsschutz habe halt vieles zu tun, Rechtsextremismus sei nicht sein einziges Beobachtungsobjekt.
Lieber »Staatssicherheit«
Die Verfassungsschutzämter in der Bundesrepublik haben ihre Traditionsgeschichte. Gegründet wurden sie, als die Westzonen Deutschlands in einen Staat zusammengeführt waren, und die Regie bei der geheimdienstlichen Tätigkeit lag zunächst in den Händen der Besatzungsmächte. Neben den Verfassungsschutzämtern etablierten sich geheimdienstlich der Bundesnachrichtendienst (BND, zunächst als »Organisation Gehlen«) und der »Militärische Abwehrdienst« (MAD).
Den Namen »Verfassungsschutz« empfand Gerhard Schröder, Bundesinnenminister unter Konrad Adenauer, als »unglückliche Bezeichnung«. Besser sei es, so meinte er, hier den Namen »Dienst für Staatssicherheit« einzusetzen. Es blieb jedoch bei der nominalen Inanspruchnahme der Verfassung, die ja auch ihre Marketingvorzüge hat, und wie peinlich wäre es geworden, wenn man von »Stasi-Ost« und »Stasi-West« hätte sprechen müssen.
Verfassungsschützer und Zitronenfalter
Schützt der Verfassungsschutz die Verfassung? Dies anzunehmen, so ein resignativer Scherz, sei nicht anders, als wenn man den Zitronenfalter für ein Wesen hielte, das Zitronen faltet. Staatssicherheit – das hieß in den Gründerjahren der Bundesrepublik in aller Eindeutigkeit: Parteinahme für die Integration des westdeutschen Staates in das politische, ökonomische und militärische System des nordatlantischen Blocks, teildeutscher Fronteinsatz im Kalten Krieg.
Die Verfassungsschutzämter hatten demnach den Kampf zu führen, mit geheimdienstlichen Mitteln, gegen »die Roten«, gegen Kommunisten, aber auch gegen all diejenigen Gruppen und Menschen, die mit »dem Osten« Verständigung suchten oder gegen die Einbindung Westdeutschlands in den westlichen »industriell-militärischen Komplex« opponierten.
Gutes Personal ist schwer zu kriegen
Geheimdienste brauchen erfahrene Mitarbeiter und willige V-Leute. Die standen im Nachkriegsdeutschland für den Kalten Krieg gegen »die Kommunisten« (und diejenigen, denen man behördlicherseits Nähe zu Kommunisten zuschrieb) hinreichend zur Verfügung, aus dem Reservoir des »Dritten Reiches«, ehemalige Profis aus SS und SD, aus dem Justiz- und Polizeidienst des NS-Staates. In der Verfolgung von Kommunisten oder ähnlichen »Staatsfeinden« hatten sie viel Erfahrung.
In der Zeitung der Industriegewerkschaft Metall war 1963 zu lesen: »Der Verfassungsschutz der Bundesrepublik ist Todfeinden der Freiheit anvertraut. Frühere SS-Führer, ehemalige Beamte und Agenten des berüchtigten SD sind an wichtigsten Stellen des Bundesverfassungsschutzamtes tätig.«
Verfassungsfeinde konstruiert
Präsident dieser Behörde war zuerst der abenteuerliche Otto John, den der britische Geheimdienst in sein Amt hievte, der dann aber einen mysteriösen Ausflug in die DDR unternahm. Dann folgte der zuverlässige Hubert Schrübbers. 1972 musste er zurücktreten, seine Tätigkeit für die politische Justiz in Hitler-Deutschland war zum Ärgernis für die Öffentlichkeit geworden.
1963 noch war das Bundesministerium des Inneren da weniger rücksichtsvoll; es wies Kritik an der Personalauswahl für den Verfassungsschutz in folgender Weise zurück: »Es gibt nur wenige Kräfte, die den schwierigen Aufgaben hier genügen. Ein dringendes Sicherheitsbedürfnis wäre in nicht zu verantwortender Weise aufs Spiel gesetzt, wenn die öffentlich kritisierten ehemaligen SS-Angehörigen aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz entlassen würden.«
Das Verbot der KPD im Jahre 1956 hatte Verfassungsschützern die Möglichkeit gegeben, die Kommunistenjagd auszuweiten. Für zigtausende von Strafverfahren wurden geheimdienstlich Beweise bereitgestellt, und der Verfolgungseifer betraf keineswegs nur kommunistische Parteigänger, sondern entschiedene Oppositionelle insgesamt. Der Rechtsanwalt Heinrich Hannover hat damals in seinem Buch »Diffamierung der politischen Opposition im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat« offengelegt, wie – gegen den Sinn des Grundgesetzes – »Verfassungsfeinde« gewissermaßen konstruiert wurden.
Grundgesetz nicht verstanden
Solche Traditionen sind zählebig. Um die aktuelle geistige Verfassung des Verfassungsschutzes in den Blick zu nehmen: Noch immer gilt diesen Behörden – in den veröffentlichten Verfassungsschutzberichten finden sich viele Belege dafür – das Eintreten für Alternativen zur kapitalistischen Gesellschaftsordnung als »staatsfeindlich«. Offenbar mangelt es in Ämtern, die der Verfassung Schutz geben sollen, an der Fähigkeit, das Grundgesetz der Bundesrepublik zu verstehen.
Mit »freiheitlich-demokratischer Grundordnung« ist in unserer Verfassung keineswegs die Verpflichtung der Bürgerinnen und Bürger auf die Anbetung des Marktes gemeint. Und radikale Kritik der ökonomisch bestimmten Machtverhältnisse, der gegenwärtigen gesellschaftlichen Realität also, ist kein Indiz für Demokratiefeindlichkeit.
Normalerweise kriminell
Den geheimen Teil der Tätigkeit des Verfassungsschutzes betreffend, und hier liegt der Schwerpunkt verfassungsschützerischer Dienste: Was ist davon zu halten, wenn eine staatliche Organisation sich operativer Praktiken bedienen kann, die der Normaldefinition nach kriminell sind – zum Beispiel Nichtanzeige von Straftaten, fahrlässige Beihilfe zum Betrug?
Wenn V-Leute des Verfassungsschutzes munter in politischen Gruppen oder Parteien arbeiten und diesen so Einfluss verschaffen, deren antidemokratischer und rassistischer Charakter außer Zweifel steht und vom Verfassungsschutz selbst auch herausgestellt wird? Wenn auf diese Weise verfassungsfeindlichen Umtrieben sogar staatliche Finanzhilfe geleistet wird? Wer unterwandert da wen? Rechtfertigt das Interesse an Quellenschutz, dass Verbrechen klammheimlich vom Verfassungsschutz gedeckt werden?
Das »Celler Loch«
Ein Exempel dafür, wie geheimdienstliche Aktivitäten sich von allen rechtsstaatlichen Bedenken trennen können, war das »Celler Loch«. Der niedersächsische Verfassungsschutz arrangierte bei dieser »Aktion Feuerzauber« einen Sprengstoffangriff auf ein Gefängnis, um sich so das Vertrauen eines dort einsitzenden politischen Häftlings zu verschaffen.
Wer will angesichts solcher Praktiken noch unterscheiden zwischen echtem und geheimdienstlich vorgetäuschtem Terrorismus? Und was die Informationsleistungen der Verfassungsschützer angeht: Da lassen sich aus den Veröffentlichungen von Rolf Gössner, einem sachkundigen Kritiker, erhellende Einsichten gewinnen. Dunkelmänner sind keine Pflegekräfte für das Grundgesetz der Bundesrepublik.
Fazit: Mit einem Rechtsstaat ist diese Tätigkeit des Verfassungsschutzes nicht vereinbar. Und freiheitlich-demokratischen Verhältnissen bringt sie Schaden. Es ist an der Zeit, solcherart geheime Dienste für Staatssicherheit, etabliert in den Jahren des Kalten Krieges, nicht länger als Normalität hinzunehmen.
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