Laut UNO ist die Zahl der hungernden Menschen gesunken. Warum diese Statistik gefälscht ist und wie man den weltweiten Hunger tatsächlich beenden könnte, erklärt der LINKE-Abgeordnete Niema Movassat
Am 16. Oktober war der Welternährungstag. Überall war zu lesen, die Zahl der chronisch Unterernährten sinke. Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) verbreitete, es würden »nur« noch 842 Millionen Menschen hungern – vor wenigen Jahren war es eine Milliarde. Die Botschaft war klar: »Wir sind auf einem guten Weg, wir müssen nur so weitermachen wie bisher.«
Diese Erfolgsmeldung ist leider reine Propaganda und nichts anderes als ein Zahlentrick: Erst die Einführung einer neuen Methodik zur Ermittlung der Hungerzahlen bei der FAO hat die Zahlen gesenkt. Basis für die Berechnungen sind absurde Annahmen. So geht die FAO beim täglichen Kalorienbedarf von einem »bewegungsarmen Lebensstil« der Betroffenen aus – dabei müssen vor allem die Ärmsten der Armen zum Überleben meist schwerste körperliche Tätigkeiten verrichten.
Legt man den der Lebensrealität der Menschen in Entwicklungsländern angemessenen Kalorienbedarf eines »moderaten Lebensstils« zugrunde, ergibt sich eine aktuelle Zahl von 1,3 Milliarden Hungernden weltweit. Die hässlichste und brutalste Fratze des Kapitalismus bleibt damit der Hunger auf der Welt. Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind an Hunger.
Genug Nahrung für alle
Geht es um die Ursachen des Hungers auf der Welt, wird von den Herrschenden im Westen darauf verwiesen, dass die Weltbevölkerung steige und damit die Nachfrage für Nahrungsmitteln. Zudem nehme der Fleischkonsum in aufsteigenden Ländern wie China zu. Die Verfütterung an das Vieh verringere die zur Verfügung stehende Menge an Grundnahrungsmitteln.
Diese beiden Phänomene sind vorhanden. Aber sie erklären nicht, warum so viele Menschen hungern. Sie sind Probleme für die Zukunft. Aktuell wird genug Nahrung für 12 Milliarden Menschen produziert. Kein Mensch müsste hungern, kein Kind an Unterernährung sterben. Was sind also die wahren Ursachen des Hungers, über die die Herrschenden hierzulande lieber schweigen, weil ihre Politik dafür verantwortlich ist?
Spekulation mit Nahrungsmitteln
Die meisten Menschen auf der Welt hungern nicht, weil es keine Nahrung gibt, sondern weil sie nicht das Geld haben, sie zu kaufen. Seit Jahren erleben wir einen Rekord nach dem anderen bei den Preisen für Mais, Weizen und Reis. Ursache dafür ist auch die Spekulation mit Nahrungsmitteln.
In Deutschland sind die großen Zocker die Deutsche Bank und die Allianz. Obwohl eigene Studien beider Institute nachgewiesen haben, dass Nahrungsmittelspekulation durch die Schaffung einer künstlich hohen Nachfrage die Preise nach oben treibt, machen sie munter weiter.
Agrosprit verstärkt den Hunger
Internationale Konzerne und Investoren pachten oder kaufen außerdem seit Jahren verstärkt riesige Flächen in den Ländern des globalen Südens. Entweder spekulieren sie mit den sich global immer schneller verknappenden Ländereien oder lassen dort für den Export Agrarrohstoffe produzieren. Die lokale Bevölkerung wird meist vertrieben und darf anschließend für Hungerlöhne auf den großen Plantagen schuften – wenn sie Glück hat.
Die EU-weite Einführung des Agrosprits E10, der zwischen fünf und zehn Prozent Bioethanol enthält, hat in Entwicklungsländern die Konkurrenz um Anbauflächen weiter verschärft. Statt Lebensmitteln für die einheimische Bevölkerung wachsen auf vielen Feldern seitdem Pflanzen zur Energiegewinnung. Es ist geradezu pervers: Zur Beruhigung des ökologischen Gewissens der Industrieländer verstärkt Agrosprit den Hunger der Ärmsten der Armen noch zusätzlich.
Menschen vor Profite
Seit Jahren bekannt sind die fatalen Effekte der EU-Agrarsubventionen und Freihandelsabkommen auf die heimischen Märkte der Länder des globalen Südens. Unabhängig von der Farbzusammensetzung der gerade regierenden Regierungskoalition hat sich hier nichts geändert. So verhindern auch heute noch subventionierte Agrar-Billigimporte aus der EU den Aufbau einer eigenen Landwirtschaft in vielen afrikanischen Ländern.
Aber auch die einseitige Verteilung und der verschwenderische Umgang mit Lebensmitteln tragen einen wesentlichen Anteil am globalen Hunger. Jährlich landen weltweit unfassbare 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel auf dem Müll. Auf 28 Prozent des weltweiten Ackerlandes werden Lebensmittel produziert, die nie gegessen werden.
Nicht ohne Grund sagt der ehemalige UN-Sonderbotschafter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler: »Jedes Kind, dass an Hunger stirbt, wird ermordet.« Nur eine Politik, die bereit ist, diese Missstände anzupacken und Menschenleben über Profite zu stellen, wird in Zukunft tatsächlich Erfolge gegen die größte Geißel des 21. Jahrhunderts verzeichnen können.
Zur Person:
- Niema Movassat ist Mitglied der Linksfraktion im Bundestag und Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
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