Der Bundesvorstand des Studierendenverbandes Die Linke.SDS hält es angesichts der Finanzkrise für "dringend notwendig, dass in stärkerem Maße antikapitalistische Positionen vertreten und demokratisch-sozialistische Alternativen in die Öffentlichkeit getragen werden." marx21.de dokumentiert ein Thesenpapier des SDS-Vorstandes:
Im Angesicht der Krise: die Systemfrage stellen! 3 Thesen zur Weltwirtschaftskrise und den Herausforderungen an sozialistische Interventionen
"Und genau das macht den geschichtlichen Moment ein bisschen surreal: Selbst jetzt, mitten in der größten Krise des globalisierten Kapitalismus seit Jahrzehnten, redet praktisch niemand von seiner großen historischen Alternative, dem Sozialismus und dem vormals endgültigen Paradieszustand, dem Kommunismus. Sogar führende Mitglieder von Attac bekennen sich zur kapitalistischen Marktwirtschaft, die freilich streng sozialstaatlich reguliert werden müsse. So bleibt die "Systemfrage" allein zu Haus." (Spiegel Online über den Auftritt von Oskar Lafontaine bei Anne Will)
1. Kein Vertrauen in die Marktwirtschaft! Sozialistische Alternativen in die Debatte boxen
Mit der dramatischen Finanzkrise und ihrem Übergreifen auf die Realwirtschaft offenbart sich vor aller Augen die Irrationalität und Krisenhaftigkeit des Kapitalismus. Binnen weniger Tage wurden – laut IWF – Werte von 1,4 Billionen Dollar vernichtet. Rational eingesetzt könnten mit solchen Summen die drängendsten Probleme der Menschheit spielend gelöst werden: nur 1,8% dieser Summe würden laut FAO (Welternährungsorganisation) ausreichen, 400 Millionen Menschen nachhaltig vom Hunger zu befreien.
Anders als die vorherigen Krisen der neoliberalen Ära (Mexiko 1994, Asien 1997, Russland 1998, Argentinien 2001) hat die aktuelle ihren Ausgang nicht in der Peripherie, sondern im Herzen des kapitalistischen Weltsystems, den USA, und hat mittlerweile auch Europa voll erfasst. Es ist die tiefste Krise des kapitalistischen Systems seit den 1930ern Jahren. Selbst Peer Steinbrück prognostiziert: Nichts wird nach der Krise noch so sein wie vorher. Das Vertrauen in die Marktwirtschaft ist weltweit erschüttert, die neoliberale Ideologie über Nacht im Weltmaßstab diskreditiert. Drängend stellt sich die Frage nach Alternativen. Bisher bewegen sich alle öffentlich diskutierten Vorschläge im Rahmen des kapitalistischen Systems. Die Tiefe der Krise eröffnet der Linken aber in einem seit Jahrzehnten nicht gekannten Ausmaß die Möglichkeit, die Systemfrage zu stellen und damit potentiell Massen zu erreichen. Dafür müssen wir grundsätzliche Fragen stellen und die Diskussion um grundsätzliche Alternativen eröffnen: Wollen wir das Schicksal der Menschheit noch länger in die Hände eines von privaten Profitinteressen getriebenen Marktes legen? Wir brauchen eine demokratische Kontrolle über Wirtschaft und Märkte, damit endlich die Bedürfnisse der übergroßen Mehrheit der Menschen im Zentrum stehen, und nicht die Profitinteressen winziger Minderheiten! Eine wesentliche Aufgabe, vor der wir stehen, ist es daher, sozialistische Alternativen in die Debatten zu bringen und zu versuchen, überall wo möglich, Menschen um eine linke, emanzipatorische Antwort auf die Krise herum zu organisieren.
Solche Antworten müssen rasch sichtbar gemacht werden. Wenn es gelingt, vom Anfang der Krise an sozialistische Positionen in die Öffentlichkeit zu tragen, werden sie auch im weiteren Verlauf eher wahrgenommen werden. Öffentlichkeitswirksame antikapitalistische Aktionen sind dringend notwendig.
2. Für einen Schutzschild für die sozialen Sicherungssysteme! Den Bankensektor in öffentliches Eigentum überführen und weitere Maßnahmen für ein schönes Leben!
In der Krise offenbart sich die volle Brutalität des alten Credo des Neoliberalismus: Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste. 50 Mrd. werden zur Rettung der Hypo Real Estate aus dem Ärmel geschüttelt – während es für uns jahrelang die Leier der angeblich „leeren Kassen" gab. Über 500 Mrd. Euro können über Nacht mobilisiert werden, wenn es um Banken- und Konzerninteressen geht – für Hartz IV stehen jährlich nur 24 Mrd. Euro zur Verfügung, 141 Mrd. Euro sind es insgesamt für die sozialen Sicherungssysteme.
Die explodierenden Gewinne der Banken und Konzerne in den letzten Jahren hatten ihren Hintergrund in einer stetigen Umverteilung von unten nach oben, die das Vorhandensein von derart viel spekulativ einsetzbarem Kapitel zur Folge hatten. Nun sollen erneut wir die Kosten ihres Desasters tragen. Und die Privatisierung profitabler Unternehmen soll nach dem Willen von Regierung und Kapital fortgeführt werden, der Börsengang der Bahn wurde nur aufgeschoben, während kollabierende Banken weltweit verstaatlicht werden, um die Kosten des Kollapses erneut auf die Allgemeinheit abzuwälzen.
Wir sollten im Angesicht der Krise als konkrete Maßnahmen fordern
- Schluss mit allen weiteren Privatisierungen! Public services under public control!
- Alle Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge – Energiekonzerne, Nah- und Fernverkehr, Gesundheitswesen, Wohnraum etc. – müssen dem Wahnsinn der Märkte entrissen und unter demokratischer Kontrolle vergesellschaftet werden. Gerade jetzt wo die Neoliberalen den Staat für sich entdeckt haben, kommt es darauf, weitergehende Forderungen nach radikaler Demokratisierung und Vergesellschaftung der öffentlichen Daseinsvorsorge in den Mittelpunkt zu stellen.
- Alle Banken – und zwar vor allem die profitablen – müssen zur Sicherung unserer Ersparnisse und zur Gewährleistung einer sinnvollen Kreditvergabe entschädigungslos in einem öffentlichen Bankensystem vergesellschaftet und demokratisch kontrolliert werden.
Wir brauchen ein Schutzschild für die sozialen Sicherungssysteme und für unseren Lebensstandard. Wenn Milliarden für die Bankenkrise da sind, dann muss auch genug Geld für Gesundheit, Bildung und Sozialleistungen da sein.
3. Kampf gegen die Abwälzung der Kosten der Krise auf uns
Die Finanzkrise greift auf die Realwirtschaft über, eine tiefe Rezession zeichnet sich ab. Für die Milliarden, die nun den Banken hinterher geworfen werden, wird die Allgemeinheit zur Kasse gebeten werden. Die Folge wird eine massive Verschärfung der Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeitslosen, abhängig Beschäftigten und RentnerInnen sein. Lohnzurückhaltung, Sozialabbau, Kürzungen – wieder wird versucht werden, die Kosten ihrer Krise voll auf uns abzuwälzen. Da die Krise die tiefste seit Jahrzehnten ist, werden die Angriffe auf unseren Lebensstandard die schärfsten seit Jahrzehnten werden. Gleichzeitig wird die Krise eine Zunahme von imperialistischen Konflikten um die Kontrolle von Märkten und Rohstoffen zur Folge haben, um auch auf diese Weise die Profite des Kapitals zu sichern.
Wenn wir unseren Lebensstandard gegen die Kapitalinteressen verteidigen wollen, haben wir nur beides: Zum einen den Aufbau starker und handlungsfähiger linker Strukturen, die einen Kampf gegen die Abwälzung der Kosten der Krise auf uns alle aufnehmen können.Zum anderen braucht es eine breite Diskussion um sozialistische Alternativen zum Kapitalismus. Die Abwehrkämpfe gilt es also von Anfang an mit einer Perspektive auf die Überwindung des kapitalistischen Systems durch eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft zu verbinden.
Bundesvorstand Die Linke.SDS, Berlin, den 17.10.08
Mehr im Internet:
- Homepage: Die Linke.SDS
- Plakat: Geld für Bildung statt für Banken (PDF, 55 KB)
- Marx neu entdecken: "Kapital"-Lesebewegung (organisiert von Linke.SDS)