Stets »oben ohne«: So beteiligen sich Mitglieder der Gruppe Femen an Anti-Nazi-Protesten in Berlin, an Demonstrationen für die gleichgeschlechtliche Ehe in Frankreich und an Solidaritätsaktionen für die Band »Pussy Riot«. Doch was steckt politisch dahinter, fragt Kate Davison
Es war ein grausiges Bild: Barbie hängte verkohlt und geschmolzen an einem weißen, brennenden Kreuz. Sie wurde von einer barbusigen blonden Aktivistin herumgewirbelt, die auf dem riesigen pinken Stöckelschuh im Eingangsbereich des neu eröffneten »Barbie Dreamhouse« stand. Auf deren Brüsten prangte der Slogan »Life in plastic is not fantastic« (»Als Kunststoff leben ist nicht fantastisch«), eine Anspielung auf den Anti-Barbie-Song der Band Aqua aus dem Jahre 1997.
Das Zelebrieren dieses »Barbie-cue« (Anspielung auf Barbecue) nahe des Berliner Alexanderplatzes am 17. Mai war eine weitere Aktion in der Reihe beeindruckender Protestaktionen der internationalen feministischen Gruppe Femen. Zurecht protestieren sie gegen die »Gottwerdung einer Plastikpuppe für Millionen von Mädchen«, deren »einziger Grund zu leben (…) in der stetigen Beschäftigung mit dem Aussehen und dem Haus dieser Puppe« bestünde.
Die Aktion hätte sogar etwas Lustiges haben können, wenn da nicht die vielen ungläubigen und fassungslosen Fünfjährigen gewesen wären, die mitansehen mussten, wir ihr liebstes Konsumidol gerade in Flammen aufging. Und wenn die Aktion nicht von einer breit organisierten Demonstration mit über 300 Teilnehmern abgelenkt hätte. Das größte Problem besteht aber darin, dass Femen in den vergangenen zwei Jahren t einen klientelistischen und zum Teil rassistischen Wandel erfahren hat und damit viele Personen abschreckt, die sonst mit dem Versuch einer Wiederbelebung der »dritten Welle des Feminismus« sympathisiert hätten.
Femen gegen Putin
Femen wurde im Jahr 2008 unter dem Slogan »Die Ukraine ist kein Bordell« von Anna Hutsol, Oksana Schachko sowie Alexandra und Inna Schewtschenko gegründet, um gegen die im Ausland verbreitete Darstellung aktiv zu werden, die ehemalige Sowjetrepublik sei ein Ort für billigen und leicht zu habenden Sex. Die Aktionen von Femen folgen einem ganz bestimmten Muster: Eine kleine Gruppe von halbnackten oder nackten Aktivistinnen stürmt im Stil eines Flashmobs einen öffentlichen Ort und bleibt dort so lange, bis sie von der Polizei weggeschleppt wird. Die Markenzeichen der Aktivistinnen sind roter Lippenstift, politische Botschaften auf der Brust und Haarbänder aus Blumen und Schleifen.
Spätestens im Jahr 2012 wurde Femen auch einem größeren internationalen Publikum bekannt. Ihre Aktionen richten sich häufig gegen religiöse Führer oder bekannte Politiker, darunter Wladimir Putin (»Der gefährlichste Diktator der Welt«), Wiktor Janukowytsch und Silvio Berlusconi. Die Gruppe beteiligte sich nicht nur an Anti-Nazi-Protesten in Berlin-Neukölln und Demonstrationen für die gleichgeschlechtliche Ehe in Frankreich, sondern organisierte auch eine Aktion zur Solidarität mit der Band »Pussy Riot« in Kiew im August 2012, bei der eine Aktivistin ein Holzkruzifix mit einer Kettensäge absägte.
Die deutsche Femen-Gruppe hat sich im Januar 2013 gegründet. Eine ihrer ersten Protestaktionen fand zeitgleich mit der antisexistischen Twitter-Kampagne #Aufschrei statt. Dementsprechend groß war der Widerhall in den Medien. Die neue öffentliche Debatte über Sexismus brachte die Gruppe sogar bis zu »Menschen bei Maischberger«. Femen spielt daher – ob man es will oder nicht – eine wichtige Rolle in der antisexistischen Bewegung.
Femens Widersprüche
Trotz ihrer zum Teil löblichen Beweggründe waren Femens politische Ansichten von Anfang an widersprüchlich. Auf der Webseite der Gruppe lässt sich nachlesen, dass sie »Frauenrechte unterstützen« will und ihre Mitglieder »demokratische Wachhunde« seien, die »das Patriarchat in all seinen Formen bekämpfen: und zwar Diktaturen, Kirchen und Prostitution.« Ihre Ideologie des »Sextremismus«, für die es keine eindeutige Definition gibt, beruht anscheinend auf der Idee, dass die öffentliche und schockierende Zurschaustellung von Brüsten die weibliche Emanzipation fördere.
Die Taktik des Oben-ohne-Protests hat in den öffentlichen Debatten in Europa starke Kontroversen hervorgerufen. In der Ukraine und Weißrussland wurden die Aktivistinnen bereits wegen Obszönität, moralischer Entrüstung und Unanständigkeit angeklagt. Andererseits mangelt es nicht an anzüglichen Andeutungen in Medien, die von der Darstellung der Frau als Objekt leben. In einem älteren Artikel des »Economist« über die Gruppe konnte man lesen, dass diese schon viel Aufmerksamkeit »erregte« und man »diesen Artikel lieber nicht in Anwesenheit seines Chefs lesen sollte« – alles klar, Jungs? Gleichzeitig bezichtigt man die Gruppe eines »schamlosen Verlangens« nach medialer Aufmerksamkeit.
In gewisser Hinsicht ist die Aussage der deutschen Femen-Aktivistin Irina daher verständlich: »Ohne unsere Topless-Aktionen würde sich doch überhaupt niemand für das interessieren, was wir sagen.« Wie die britische Kritikerin Elly Badcock aber bemerkte, waren solche Taktiken »schon immer fragwürdig, um es gelinde auszudrücken. Natürlich ist der weibliche Körper nichts, dessen man sich schämen muss. (…) Aber in diesem Zusammenhang ist eine solche Vorgehensweise unangebracht. Mit solchen Aktionen bekräftigt man die Idee, dass es quasi per se befreiend ist, seine Brüste zu zeigen und Bekleidung ein eindeutiger Hinweis auf sexuelle Unterdrückung ist. Die Befreiung der Frauen kann sich aber nicht danach bemessen lassen, wie viel Haut wir zeigen dürfen.«
Zweifelsohne inspirierend
Zweifelsohne ist Femens Herangehensweise oftmals amüsant, heiter und nicht zuletzt inspirierend für junge Frauen, die sich von der libertären Radikalität der Gruppe angesprochen fühlen. Nichtsdestotrotz offenbaren die Organisationsmethoden und politischen Äußerungen aber eine liberalistische Tendenz, die letztendlich einer solidarischen und gemeinsamen Organisierung im Wege steht.
Zudem verfolgt Femen einen Weg des Feminismus, der auf rassistischen Vorurteilen beruht. Trotz ihres Versuchs, sich international mit Frauen zu solidarisieren, erfolgt dies auf einer rein individuellen Ebene. So verbreitet die Gruppe die Ansicht, dass Frauenunterdrückung kultureller oder religiöser Natur sei und dass Frauen in muslimischen Ländern nur die Rolle des »Opfers« einnehmen könnten.
Femens rassistische Vorurteile
Im April 2012 veranstaltete Femen in Paris eine Protestaktion gegen Burkas, kurz nachdem diese von der französischen Regierung verboten worden waren. Dabei hielten entblößte Mitglieder der Gruppe Schilder hoch, auf denen Sprüche wie »Muslim women, let’s get naked« (»Muslimas, zieht euch aus«) und »Nudity is freedom« (»Nacktheit ist Freiheit«) zu lesen waren. Während der Olympischen Spiele in London 2012 organisierten sie einen »muslimischen Marathon«, um gegen die »scheißislamistischen Regierungen« zu protestieren. Eine Aktivistin hatte sich als »Muslim« verkleidet, in langer weißer Robe mit aufgemaltem Bart und dicken, zusammengewachsenen Augenbrauen.
Die größte internationale Aufmerksamkeit erhielt Femen allerdings im April diesen Jahres, als die tunesische Feministin Amina Tyler Bilder im Femen-Stil auf ihrer Internetseite veröffentlichte. Ihre nackte Brust zierte der Spruch: »Mein Körper gehört mir und ist Niemandes Ehre«, woraufhin ein muslimischer Kleriker ihren Tod durch Steinigung verlangte. Als Antwort darauf führte Femen den »Internationalen Oben-Ohne-Dschihad-Tag« ein: Sie forderten Frauen auf der ganzen Welt dazu auf, öffentlich ihre Brüste zu zeigen (»Titslamismus«) und so in »sextremistischer« Weise vor muslimischen Organisationen und Moscheen gegen »islamistische Moralvorstellungen« zu demonstrieren. Auf die Idee, gemeinsam mit feministischen Gruppen aus diesen Ländern eine Solidaritätsbewegung für Amina Tyler zu initiieren, kamen sie freilich nicht.
Dämonisierung des Islam
Glücklicherweise haben muslimische Frauen weltweit darauf reagiert. Das Internet wurde geradezu mit Kritik an der Femen-Gruppe überflutet: Sie mache »Millionen von Frauen, die Hidschabs tragen und ihren Körper aus eigener Überzeugung verdecken« lächerlich, indem sie diese Frauen als naiv darstellten. Auf Twitter sind unter dem Stichwort #Muslimahpride bereits Tausende von Kommentaren erschienen, die Facebookseite »Muslim Women Against Femen«, die am 5. April online ging, hatte Anfang Juni schon 11.000 Anhängerinnen und Anhänger.
Diese Gegenaktionen veranlassten die britische Studentin Sofia Ahmed dazu, den »Muslimischen Tag des Stolzes« (Muslimah Pride Day) ins Leben zu rufen. Sie meint, dass die Handlungen von Femen den »westlichen Imperialismus« verstärken und »allgemeine Zustimmung im Kampf gegen islamische Länder« hervorrufen würden. Die Reaktionen auf Ahmeds Initiative zeigen, so schreibt sie, »die Wut und Frustration der ständig bevormundeten muslimischen Frauen (…). Indem Femen die Rolle der westlichen Länder bei der Unterdrückung muslimischer Frauen herunterspielt und sie stattdessen nur muslimischen Männern zuschreibt, trägt sie dazu bei, den Islam zu dämonisieren, nicht aber, muslimische Frauen zu emanzipieren.«
Musliminnen reagieren auf Femen
In einer Sondersendung des Nachrichtensenders al-Dschasira zum Thema »Wo ist die Stimme der muslimischen Frauen?« betonte die iranische Aktivistin Leila Mouri die große Diversität der muslimischen Länder, die »durch ihre kulturellen, ökonomischen, politischen und historischen Hintergründe beeinflusst« seien. Die Aufgabe einer auf Solidarität statt auf Paternalismus aufbauenden emanzipatorischen Frauenbewegung sollte darin bestehen, Frauen zu ermutigen, »eigene Strategien für die Kämpfe in dem sie umgebenden politischen Umfeld zu entwerfen«.
Aber Femen macht weiter wie bisher. Jüngstes Beispiel für die Stellvertreterpolitik der Gruppe war eine Protestaktion am 29. Mai. An diesem Tag haben drei Aktivistinnen aus Frankreich und Deutschland eine Oben-Ohne-Aktion vor dem tunesischen Justizministerium in der Hauptstadt Tunis veranstaltet. Nach Angaben von Femen war es »der erste derartige Protest in der arabischen Welt«.
Paternalistischer Ansatz
Femens paternalistischer Ansatz prägt auch ihre Aktionen gegen Prostitution in Europa. Der erste öffentliche Auftritt von Femen in Deutschland fand in Hamburgs »Bordellstraße«, der Herbertstraße, statt. Die Aktivistinnen veranstalteten einen Oben-Ohne-Protest vor einem der Bordelle und hielten dabei Fackeln und Schilder in die Luft, auf denen das »x« in »Sextremismus« durch ein Hakenkreuz ersetzt worden war.
Sie verkündeten: »In KZs wurden Menschen zerstört, und die Prostitution zerstört auch die Seelen der Frauen. Das ist ein Genozid an Frauen, was hier passiert.« Außerdem sprühten sie den Spruch »Arbeit macht frei« an verschiedene Wände. Da überrascht es wenig, dass viele selbstorganisierte Prostituiertengruppen in Rage gerieten und sich von der Femen-Bewegung distanzierten. Schon während der Protestaktion sagte eine Prostituierte zu der Gruppe, sie sollten »sich verpissen«.
Enttäuscht von der Frauenbewegung
Man würde es sich zu einfach machen, solche Auftritte mit einer gewissen politischen Naivität der Femen-Aktivistinnen abzutun – das Durchschnittsalter der Aktivistinnen liegt bei 21 Jahren und viele sind zum ersten Mal politisch aktiv. Ihre Abwehrhaltung gegenüber sexistischer Heuchelei ist zwar radikal, wenn auch nicht konsistent, aber hat eine politische Anhängerschaft hervorgebracht, mit der man sich beschäftigen sollte.
Viele Anhängerinnen sind von der älteren Generation der Feministinnen enttäuscht und werfen den wenigen, die es noch gibt, vor, zu passiv vorzugehen und den Kontakt zu den jüngeren Gruppen verloren zu haben. Von feministischen Schwergewichten wie Alice Schwarzer und der Zeitschrift »Emma«, mit denen sie die gleiche Sicht auf »den Islam« teilen, kommt hingegen Unterstützung. Was den jungen Frauen aber besonders wichtig ist, sind aktive Taten gegen Sexismus: »Es gibt seit den 1970ern oder 1980ern keine richtige Aktivisten-Frauenbewegung mehr, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Wir sind die einzigen, die auf die Straße gehen und unsere Meinung sagen«, sagt Irina.
Neue Generation von Aktivistinnen
Trotz des sehr problematischen Oben-Ohne-Dschihad-Tages scheint die Bewegung immer weiter zu wachsen. Allein im Mai fanden nicht nur in Berlin Protestaktionen statt, sondern auch in Japan (gegen den Bürgermeister von Osaka, der sagte, dass es der militärischen Disziplin im Zweiten Weltkrieg gut getan habe, »Frauen zu trösten«), vor Notre Dame in Paris (ein Aufruf an französische Faschisten, es dem konservativen Politiker Dominique Venner gleichzutun, der sich am 21. Mai aus Protest gegen die gleichgeschlechtliche Ehe und die »islamistische« Macht in Europa erschoss) und in New York (zur Unterstützung einer lobenswerten Entscheidung der lokalen Regierung, Frauen nicht zu kriminalisieren, die oben ohne herumlaufen).
Mit dem Anwachsen der Femen-Gruppen offenbart sich ein tiefer politischer Widerspruch zwischen einem neu erwachten Bewusstsein für die Unterdrückung der Frau und dem Wunsch, etwas daran zu ändern. Zugleich macht es die Notwendigkeit deutlich, dass Linke sich aktiv in Bewegungen gegen Frauenunterdrückung einbringen, dort eine antirassistische Alternative anbieten und dabei helfen, die Betroffenen zu organisieren anstatt nur stellvertreterisch zu handeln.
Gemeinsame Kämpfe führen
Zweifelsohne ist hier eine neue Generation von Frauen entstanden, die keine Lust mehr auf Sexismus hat und sogar intuitiv antikapitalistisch eingestellt ist. Die Frauen sind aber immer noch auf der Suche nach einer allgemeinen Analyse zur Herkunft und Bekämpfung des Sexismus. Doch moralische Empörung über das »Patriarchat« verbunden mit der politischen Strategie, Argumente durch nacktes Auftreten in die Öffentlichkeit zu bringen, werden nicht ausreichen, um die materiellen Grundlagen der Frauenunterdrückung zu zerstören.
Wir sollten als Linke einen kritisch-solidarischen Umgang mit dieser neuen Generation von Feministinnen pflegen. Im besten Fall können wir darüber hinaus jungen Frauen, die die Schnauze voll haben von Sexismus, eine Perspektive bieten, die antirassistische Elemente mit dem Kampf gegen Frauenunterdrückung verbindet: Wir müssen gemeinsam Kämpfe führen, in denen deutlich wird, dass der wahre Feind im kapitalistischem System zu finden ist und nicht in einer falschen Kultur. Nur eine weltweite, unabhängige und von unten organisierte Bewegung kann das System in seinen Zentren angreifen und gleichzeitig regionale Spezifika berücksichtigen. Nur so kann eine echte sexuelle Revolution für uns alle und nicht nur eine oberflächliche Befreiung unserer Körper erreicht werden.
Zur Person:
Kate Davison ist seit 15 Jahren in Bewegungen für Frauenrechte und gegen Sexismus aktiv. Sie arbeitet derzeit als Lehrbeauftragte für Geschlechterstudien an der Universität Potsdam.
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