Kaltes Wasser in den Schwimmbädern, Löcher im Asphalt, geschlossene Theater, dunkle Straßen – den Kommunen in Deutschland fehlt das Geld. Georg Fülberth im Interview über die Ursachen der Finanzmisere und linke Gegenstrategien
marx21: Die öffentlichen Kassen sind hoch verschuldet. Städte und Kommunen erwarten für 2010 ein Rekordminus von zwölf Milliarden Euro. »Das wäre fast die Hälfte mehr als das Defizit von 8,4 Milliarden Euro in der bisher schwersten kommunalen Finanzkrise im Jahr 2003«, mahnt der Deutsche Städtetag. Woher kommt die chronische Unterfinanzierung der Kommunen?
Georg Fülberth: Letztlich von einem grundsätzlichen Defekt in der deutschen Finanzverfassung. Die Gemeinden haben zwar unverzichtbare Aufgaben im Infrastruktur- und Sozialbereich, aber keine Möglichkeiten, an der Gesetzgebung mitzuwirken, die ihren Handlungsspielraum bestimmt – anders als die Länder, die über den Bundesrat Macht ausüben.
Wie finanzieren sich die Kommunen denn?
Artikel 28 des Grundgesetzes gewährleistet den Gemeinden »auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle«. Gemeint ist in erster Linie die Gewerbesteuer. Sie macht mit 40 Prozent den größten Teil der kommunalen Einnahmen aus. Erhoben wird sie nur bei Unternehmen. Diesen ist es möglich, ihren offiziellen Sitz an einen von ihnen frei gewählten Ort zu verlegen. Gerade von so genannten Weltfirmen wird daher die Gewerbesteuer oft nicht an ihrem realen Produktionsort gezahlt, sondern dort, wo sie besonders niedrig ist. Infrastruktur muss dennoch für sie am Standort bereitgestellt werden, und die Kommunalverwaltungen dürfen sich da nicht zieren: Selbst wenn keine Gewerbesteuer anfällt, bleibt das Argument der Arbeitsplätze.
Weiterhin stehen den Gemeinden die Grundsteuern zu. Sie treffen nicht nur Unternehmen und die Besitzer großer Immobilien, sondern auch die von Eigentumswohnungen sowie, da sie in der Regel abgewälzt werden, alle Mieter. Die so genannten Bagatellsteuern – z.B. Hunde-, Pacht-, Vergnügungs- und Jagdsteuern – fallen quantitativ nicht ins Gewicht, sind aber ein beliebtes Thema für kommunale Nebenstreitigkeiten.
Gebühren hingegen sind schon von ihrer Definition her Teil eines Nullsummenspiels: Sie sind ein Entgelt für von der Gemeinde erbrachte Dienstleistungen, führen dem Haushalt also nichts zu. Gleiches gilt für die Erträge der kommunalen Betriebe. Sie dienen dem örtlichen Bedarf, etwa dem öffentlichen Nahverkehr, sind also nur kostendeckend.
Die lokalen Geldquellen der Kommunen reichen also bei weitem nicht aus, um den Bedarf zu finanzieren…
Richtig. Das beachtet schon das Grundgesetz. Artikel 106, Absatz 5 sieht vor: »Die Gemeinden erhalten einen Anteil an dem Aufkommen der Einkommensteuer, der von den Ländern an ihre Gemeinden auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner weiterzuleiten ist.« Die Kommunen sollen an den so genannten Gemeinschaftssteuern beteiligt werden, die von Bund, Ländern und Gemeinden erhoben werden. Neben den Einkommensteuern gehören dazu u.a. die Lohn-, die Körperschafts- und die Umsatzsteuer. Die Gewerbesteuer wird in die Umlage zwischen den drei Ebenen einbezogen. Die Gestaltung des Finanzausgleichs wird zwischen Bund und Ländern ausgehandelt, die Kommunen sind da nur Bittstellerinnen. In Boomphasen können ihre Einnahmen die Ausgaben übersteigen, in Krisenzeiten ist es umgekehrt. Geht es den Gemeinden gut, versuchen sie, in die Infrastruktur zu investieren. Fallen in der Krise Einnahmen weg, müssen sie Schulden aufnehmen und kassieren dafür häufig Einspruch von der Finanzaufsicht.
Welche Rolle spielte die rot-grüne Bundesregierung bei der Plünderung der kommunalen Finanzen?
Eine verhängnisvolle. Nach Lafontaines Rücktritt 1999 wurden unter dem Finanzminister Eichel (SPD) die Einkommensteuern gesenkt. Das verringerte die Einnahmen der Gemeinden. Zugleich wurden Veräußerungsgewinne von Aktienpaketen steuerfrei gestellt. Dies heizte die Spekulation an. Dadurch kam es zur Blase an den Immobilien- und Finanzmärkten. Als diese platzte, reagierte Schwarz-Rot 2009 mit der so genannten Schuldenbremse, die die Finanzierungsmöglichkeiten der Gemeinden weiter einschränken wird. Die Finanzpolitik von Rot-Grün hat diese unerfreuliche Kontinuität mit ausgelöst.
Wie reagierten die Kommunen auf die finanzielle Notlage?
Mit Sparmaßnahmen und Gebührenerhöhungen, die vor allem die ärmeren Einwohnerinnen und Einwohner treffen. Die kommunalen Spitzenverbände verfassen eine Protest-Resolution nach der anderen. Dass sie damit nichts ändern, wissen sie selbst. Dennoch empfinden die Kämmerer solche Entschließungen als hilfreich. Sie können dann auf sie verweisen, wenn sie von den Gremien ihrer eigenen Kommunen immer neue Einschnitte verlangen – mit Verweis auf die miese Lage, die doch schon z.B. vom Deutschen Städtetag genehmigt sei.
Sehr beliebt war bei den Kämmerern in den vergangenen Jahren die Privatisierung kommunalen Eigentums. Eine Variante sind so genannte Sale-and-lease-back-Geschäfte: Versorgungsbetriebe und gemeindeeigene Gebäude (zum Beispiel Schulhäuser) werden verkauft und anschließend zurückgemietet. Der Investor hat einen Steuervorteil, den er sich mit der Kommune teilt. Der Begriff Cross-border-leasing bezeichnet dasselbe Geschäft, diesmal mit einem ausländischen »Investor«. Soweit es um Anleger in den Vereinigten Staaten geht, ist es in dieser Branche inzwischen etwas stiller geworden: Der US-amerikanische Gesetzgeber ist nämlich auch nicht blöd und hat dieses Steuerschlupfloch gestopft. In einigen Fällen sind die Käufer öffentlichen Eigentums im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise in Zahlungsschwierigkeiten geraten und damit auch ihre kommunalen Partner. In einigen Städten haben Bürgerbewegungen Privatisierungen stoppen können.
Eine andere Form des kapitalistischen Zugriffs ist die Public Private Partnership (PPP): Gemeinden übertragen einige ihrer Aufgaben, für die sie selbst kein Geld mehr haben, an Unternehmen, die daraus dann ihren eigenen Vorteil ziehen.
Die Kämmerer verteidigen den Verkauf von öffentlichem Eigentum, wie beispielsweise Wohnungen, weil sie damit einen Beitrag zur Senkung der Schulden leisten. So hätten sie wieder mehr Spielraum für Investitionen in Soziales und Kultur. Warum kritisierst du den Verkauf von öffentlichem Eigentum?
Weil man es immer nur einmal verkaufen kann. Man kann dann vielleicht einmal einen Haushalt etwas aufbessern, aber wenn das Tafelsilber erst einmal weg ist, zeigt sich in den folgenden Jahren, dass die strukturell bedingten Lücken, die dann unvermeidlich wieder auftreten, nicht mehr geschlossen werden können. Grotesk ist, was jetzt einigen Gemeinden passiert, die ihre Wasserwerke verkauft haben. Die Erwerber haben untereinander Absprachen getroffen und dadurch die Wasserpreise künstlich hoch gehalten. Jetzt ist ihnen das Bundeskartellamt auf die Schliche gekommen und hat das verboten. Für einige private Betreiber sind die Wasserwerke daraufhin nicht mehr rentabel. Sie stoßen sie ab, und die Gemeinden, die ja die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser sicherstellen müssen, müssen sie notgedrungen zurückkaufen und diese Betriebe mit Verlust weiterführen.
Wo kommunale Betriebe noch nicht verkauft sind, bekommen sie immer häufiger eine private Rechtsform, zum Beispiel als GmbH. Wie schätzt du diese Entwicklung aus linker Perspektive ein?
Formal könnte man einwenden, dass die Stadtverordnetenversammlungen, Stadträte und Gemeindevertretungen keinen Einfluss auf das operative Geschäft dieser Unternehmen mehr haben. Tatsächlich haben sie diesen in der Vergangenheit aber kaum ausgeübt, denn die Geschäftsvorgänge sind oft sehr komplex, und Entscheidungen müssen oft schneller getroffen werden als eine kommunale Körperschaft zusammentreten kann. Insofern kann man schon Verständnis dafür haben, dass privatrechtliche Unternehmensformen gewählt werden, wenn gesichert ist, dass die Kommune hundertprozentige Eigentümerin z.B. einer GmbH bleibt.
Missbrauch wird aber oft durch internes Outsourcing betrieben: Stadtwerke gliedern zum Beispiel den Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) aus und überführen ihn in eine Tochtergesellschaft, die niedrigere Löhne zahlt. Um die Einkommen ihrer Beschäftigten zu drücken, treten Städte zuweilen aus dem kommunalen Arbeitgeberverband aus. Lohndumping wird häufig mit verschärftem Wettbewerb unter dem Druck des EU-Wettbewerbsrechts begründet, häufig zu Unrecht. Noch gibt es keine europaweite Konkurrenz kommunaler Kindergärten. Bedenklicher ist es schon im ÖPNV: Verkehrskonzerne klagten bereits vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Quersubventionierung z.B. der Stadtbusse, unterlagen bisher aber immer wieder einmal.
Du sprichst vom »Konzern Kommune«. Was bedeutet die zunehmende Verbetriebswirtschaftlichung der Kommunalverwaltungen konkret?
Dass Entscheidungen nur noch unter dem Gesichtspunkt der Kostensenkung getroffen werden. Ein Ausdruck davon ist beispielsweise die Ersetzung der bisherigen kameralistischen Buchführung durch die so genannte Doppik (doppische Buchführung): In den Etats stehen dabei nicht mehr nur Einnahmen und Ausgaben, sondern Zu- und Abflüsse eines kommunalen Vermögens, das oft aber nur fiktiv oder zumindest schwer zu berechnen ist. Zum Beispiel: Welchen Wert hat in einer Eröffnungsbilanz der denkmalgeschützte Frankfurter Römer? Die einzelnen Ämter und Fachdienste der Städte und Gemeinden stellen sich gegenseitig Rechnungen aus und bezeichnen ihre Dienstleistungen als »Produkte«. Wozu das gut sein soll, hat noch niemand so recht herausgefunden, angeblich dient das der Flexibilisierung und Effizienzsteigerung der Verwaltung. Wichtiger als das konkrete Resultat der Umstellung ist der Geist der Betriebswirtschaft, der zum ausschließlichen Paradigma in Städten und Gemeinden wird. Landauf, landab werden jetzt den Städten und Gemeinden von der Kommunalaufsicht (den Regierungspräsidien) Finanzsicherungskonzepte abverlangt. An erster Stelle der Forderungen steht dann immer die Streichung so genannter freiwilliger Leistungen. Das sind vor allem Aufwendungen für Soziales und Kultur, die nicht im gesetzlich angeordneten Pflichtkatalog stehen. Die alte kameralistische Buchführung mag wirklich manchmal etwas starr gewesen sein. Die Doppik aber ist nicht besser. Die richtige Lösung wäre wohl die – rechtlich immerhin mögliche – so genannte erweiterte kameralistische Buchführung.
Was passiert, wenn Kommunen sich weigern, diese Kürzungs- und Ausgabenvorschläge umzusetzen?
Werden angeordnete Finanzsicherungskonzepte nicht vorgelegt, droht eine Art Zwangsverwaltung. Es kommt eine Art Staatskommissar, und der dekretiert einen von ihm selbst aufgestellten Sparhaushalt. Wer sich gegen solche Zumutungen zur Wehr setzen will, sollte sich erst einmal das eigene Hirn freipusten: Weg mit den Sachzwang-Parolen! Zwangsverwaltung (oder auch nur die Drohung mit ihr) dient der Entdemokratisierung. Sinnvoll wäre dagegen ein Schuldenerlass für die Gemeinden. Dann müsste eine Reihenfolge der Gläubiger festgelegt werden. Vorne stehen die kommunalen Bediensteten, die weiter ihr Geld erhalten müssen. Auch die Kredite der örtlichen Sparkassen sollten bedient werden. Leer ausgehen können dagegen die großen Finanzdienstleister, die Privatisierungsgewinner und PPP-Geschäftsfreunde. Ihr Reichtum (= ihre Außenstände) ist die Armut (= die Schulden) der Städte und Gemeinden.
Wie können die »leeren Kassen« gefüllt werden?
Durch eine Änderung der Bundesgesetzgebung: Einführung einer scharf progressiv gestaffelten Einkommensteuer mit hohen Sätzen für die Reichen, Wiedereinführung der Vermögenssteuer und einer wirklichen Umsatzsteuer, Einführung einer Kapitaltransaktionssteuer – all dies auch mit Überweisungen zugunsten der Kommunen. Weiter: Erhöhung des Anteils der Gemeinden an den so genannten Gemeinschaftssteuern.
Das sind neben den Einkommensteuern u.a. die Lohn-, die Körperschafts- und die Umsatzsteuer. Letztlich ist eine solche Neuverteilung zugunsten der Kommunen auf Dauer nur dadurch zu sichern, dass eine Gemeindekammer auf Bundesebene als dritte Kammer neben Bundestag und Bundesrat geschaffen wird.
Alle Gesetze, die die kommunalen Finanzen betreffen, müssen ihr zum Veto vorgelegt werden. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Bevor eine Verbesserung der Finanzverfassung zugunsten der Kommunen erreicht ist, muss das Nächstliegende getan werden: Erhöhung der Gewerbesteuer.
Hier haben die Gemeinden das ausschließliche Heberecht. Allerdings ist die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer zu schmal, sie erfasst meist nur größere Unternehmen. Hinzukommen müsste eine Gemeindewirtschaftssteuer, die auch von Selbständigen (z.B. Anwälten, Ärzten, Steuerberatern) und den Beziehern von Mieten zu bezahlen wäre.
Was muss linke Kommunalpolitik angesichts der Rahmenbedingen von Wirtschaftskrise und »leeren Kasse« deiner Meinung nach leisten?
Zunächst sind Abwehrkämpfe gegen Gebührenerhöhungen, Leistungskürzungen und Privatisierungen zu führen. Zugleich sollte für die Umstülpung der Hierarchie der öffentlichen Finanzen gekämpft werden mit dem Grundsatz: die Gemeinden zuerst! Sie sind wichtige Trägerinnen der Daseinsvorsorge.
Nach den Gemeinden kommen die Länder: wegen ihrer Infrastrukturleistungen insbesondere im Bildungsbereich. Die Bundesspitze ist steuerpolitisch zu kappen. Neuerdings vertritt der Oberbürgermeister von Kiel, Torsten Albig (SPD), solche Auffassungen.
Das Grundsätzliche hierzu liest man am besten in Karl Marx' Schrift »Der Bürgerkrieg in Frankreich« von 1871: Er entwirft da anlässlich der Pariser Kommune die Perspektive einer Gesellschaft, in welcher der Staat abstirbt und die Gesellschaft von den Gemeinden her organisiert ist.
Über den Autor:
Georg Fülberth war von 1972 bis 2004 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Marburg. Er ist Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschienen von ihm die beiden Bände »Sozialismus« und »Kapitalismus« (PappyRossa 2010).