Der Atombeschluss der Bundesregierung erhält die Macht der fossil-atomaren Energiekonzerne – ohne einen Atomausstieg zu garantieren. Zudem besteht die Gefahr, dass Steuerzahler und Privatverbraucher zur Kasse gebeten werden. Von Janine Wissler, Fraktionsvorsitzende der LINKEN im hessischen Landtag
Acht Atomkraftwerke sollen nach dem Atommoratorium nicht wieder ans Netz gehen, das ist eine gute Nachricht und ein Erfolg der massenhaften Proteste für den Atomausstieg. Aber man sollte sich nicht täuschen lassen: der Atomausstieg ist noch nicht besiegelt. Das Ausstiegskonzept der Bundesregierung beinhaltet zu viele Hintertüren, die den erneuten Ausstieg aus dem Ausstieg möglich machen.
Erst 2022 auszusteigen heißt, den Ausstieg auf die lange Bank zu schieben und elf weitere Jahre Risiko. Technisch ist der Ausstieg viel schneller machbar, man muss es nur politisch wollen.
Konzerne wollen »entschädigt« werden
RWE und E.on haben schon angekündigt gegen den Ausstieg klagen zu wollen und fordern eine »faire Entschädigung«. Die Atomkonzerne haben sich jahrzehntelang bereichert auf Kosten der Verbraucher und Steuerzahler. Fair wäre es, wenn die Konzerne die Steuerzahler entschädigen würden, beispielsweise für die Steuermilliarden, die in Gorleben und in der Asse verbuddelt wurden.
»Konzerne protestieren gegen den Atomausstieg« meldete die Tagesschau und RWE-Chef Großmann warnte gar vor einer »Ökodiktatur«. Nach Ansicht Großmanns ist also die Demokratie in Deutschland gefährdet, wenn die Profite von RWE beschnitten werden.
Die Drohgebärden der Atomkonzerne sind natürlich kein Grund, die endgültige Stilllegung der Atomkraftwerke in Frage zu stellen. Aber das geplante Gesetz muss so begründet werden, dass am Ende nicht die Steuerzahler für milliardenschwere Entschädigungen blechen müssen.
Aber das Gesetz der Bundesregierung ist eine freundliche Einladung an die Konzerne, vor Gericht zu ziehen. Mit dem Verweis auf das angeblich hohe Sicherheitsniveau der deutschen Atomkraftwerke wird Tür und Tor für Klagen geöffnet.
Daher kommt die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW zu der Einschätzung: »Da fehlender Sachverstand … nicht zu unterstellen ist, stellt sich die Frage, ob dieser Gesetzentwurf den vorsätzlichen Versuch darstellt, den Steuerzahlern ein erhebliches Kostenrisiko aufzubürden und ob diesbezüglich heimliche Absprachen mit den Betreibern bestehen.«
Der neue Kompromiss scheint zu sein: ihr schaltet ab und dafür bekommt ihr aus Steuergeldern das, was ihr sonst damit verdient hättet.
Nicht unumkehrbar
Der Atomausstieg muss unumkehrbar sein. Wenn alle Parteien wirklich unwiderruflich aussteigen wollen, müsste es möglich sein den Verzicht auf Atomtechnologie im Grundgesetz festzuschreiben.
Aber Bundesumweltminister Röttgen lehnte es ab mit der Begründung, dass dies künftige Mehrheiten im Bundestag in ihrer Entscheidung binde. Deutlicher kann man es nicht sagen, dass sich Schwarz-gelb den Ausstieg aus dem Ausstieg offen halten will.
Selbst bei den alten Schrottreaktoren werden Hintertüren offen gehalten. Da wird ernsthaft spekuliert, ob Biblis B als Reserve für die Versorgungssicherheit erhalten bleiben könnte, eines der ältesten und störanfälligsten AKW Deutschlands.
Militärische Nutzung
Und es reicht nicht nur über die 17 deutschen AKW zu reden. Was ist mit den Forschungsreaktoren, was ist mit der Urananreicherungsanlage Gronau und mit dem waffenfähigen Material?
Die zivile Nutzung der Atomkraft ist nicht zu trennen von der militärischen. Das ist der Grund für die milliardenschwere Subventionierung der Atomkraft, weil man einen Zugriff auf diese Technologie wollte. Deshalb dürfen ist der Ausstieg aus der gesamten Technologie nötig.
Energiekonzept unverändert
Die Bundesregierung verbindet den Atomausstieg nicht mit einer Beschleunigung der Energiewende. Das Ziel von 35 Prozent Erneuerbare bis 2020 wird nicht erhöht, die frei werdenden Kapazitäten sollen durch den Ausbau von Kohlekraftwerken kompensiert werden. Das behindert den Ausbau der Erneuerbaren und ist angesichts des Klimawandels unverantwortlich.
Festigung der Strukturen
Durch die gesetzlichen Neuregelungen bleiben die Strukturen in der Energiewirtschaft unverändert. Aber wer den vollständigen Umstieg auf Erneuerbare Energien will, muss die Macht der »Großen Vier«, also E.on, RWE, Vattenfall und EnBW, brechen.
Auch eine aktuelle Studie des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung, die im Auftrag von Greenpeace erstellt wurde, kommt zum Ergebnis, dass die großen Energiekonzerne den Umstieg auf Erneuerbare systematisch blockieren.
Derzeit kommen nur 0,5 Prozent des Stroms aus Wind, Sonne und Biomasse von den Großen Vier, obwohl die 80 Prozent des Marktes beherrschen.
Bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ist bei allen vier Konzernen von 2007 bis 2009 sogar ein Rückgang zu verzeichnen. Nur magere 15 Prozent der Investitionen für Forschung und Entwicklung wenden die Großen Vier durchschnittlich für die Erneuerbaren Energien auf.
Solange die Großen Vier den Energiemarkt beherrschen, werden sich also nicht mal die moderaten Ziele der Bundesregierung durchsetzen lassen.
Alle reden vom Energiesparen, nur die Großen Vier nicht. Die Konzerne wollen das Gegenteil. Das liegt in der Natur der Sache: Wer etwas verkauft und daran verdient, hat kein Interesse, dass davon weniger verbraucht wird.
E.on will bis 2020 10 Prozent mehr Strom produzieren, RWE 41 Prozent und Vattenfall sogar 54 Prozent.
Das zeigt, dass die Energieversorgung bei privaten profitorientierten Konzernen in den falschen Händen ist. Kurzfristiges Gewinnstreben und nachhaltige Energieerzeugung vertragen sich nicht.
Marktmacht durch Zentralismus
Statt Energieerzeugung dezentral vor Ort zu fördern und auszubauen, setzt die Bundesregierung weiter auf zentralistische Technologien wie Windkraftanlagen auf dem Meer.
Die Konzerne setzen auf Offshore-Windkraft, denn nur Großtechnologien sichern ihre Marktmacht. Eine Windkraftanlage an Land kann auch ein Stadtwerk oder eine Genossenschaft installieren, offshore hingegen sind die Großen Vier wegen der hohen Investitionen fast konkurrenzlos.
Und das wird politisch flankiert durch das Bundesumweltministerium. Der kostengünstige Strom aus Windkraft vom Land soll in Zukunft weniger gefördert werden zugunsten von Offshore-Projekten, bei denen die Vergütung erhöht werden soll. Und das obwohl offshore doppelt so teuer ist wie Windenergie an Land, das ist volkswirtschaftlich nicht sinnvoll, zu teuer und macht einen massiven Netzausbau notwendig.
Die heutigen Eigentumsverhältnisse blockieren fortschrittliche Entwicklungen. Das zeigt sich nirgends so deutlich wie in der Energiepolitik.
Die Energiewirtschaft muss demokratisiert werden. Die Strukturen zu ändern hieße auf Dezentralisierung zu setzen. Energieversorgung ist ein Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, deshalb müssen Rekommunalisierungen gefördert werden.
Der Atomausstieg muss genutzt werden zum Umbau der gesamten Energiewirtschaft.
Soziale Frage
Die Energiewende kostet Geld und die Frage ist, wer die Kosten zahlt. Es darf keine Energiewende auf Kosten der Schwachen geben.
In den letzten Jahren hat es eine Gewinnexplosion bei den Großen Vier gegeben. 2010 machte RWE einen Rekordgewinn. Diese Gewinne kommen nicht aus dem Nichts, sondern direkt aus den Taschen der Stromkunden.
Wer die Energiewende sozialverträglich und schnell umsetzen will, muss die großen Energiekonzerne zur Finanzierung heranziehen. Die Bundesregierung will einzig die energieintensiven Unternehmen unterstützen, aber Menschen mit niedrigen Einkommen droht Stromarmut, wenn die Preise weiter steigen. Deshalb brauchen wir die Wiedereinführung der staatlichen Strompreiskontrolle, Sozialtarife und das Verbot von Stromsperren.
Solange noch eine Atomanlage in Betrieb ist, ist die Anti-Atom-Bewegung nicht überflüssig geworden.
Der Umstieg auf Erneuerbare Energien wird sich nicht im Konsens durchsetzen lassen. Wer den Ausstieg aus der Atomkraft will, der muss bereit sein sich mit den Atomkonzernen anzulegen. Es geht nicht um das bessere Argument oder Konzept, es geht hier um handfeste Interessen, deshalb ist gesellschaftlicher Druck nötig, wie die geplanten Aktionen der Anti-Atom-Bewegung, die Demonstrationen und die geplanten Blockaden von Atomkraftwerken wie in Brokdorf.
Als konsequenter Atomkraftgegner kann man dem Konzept nicht zustimmen, weil es der nächste »Konsens« auf falscher Grundlage ist. Auch dieser Konsens kann uns in wenigen Jahren wieder um die Ohren fliegen.