Warum SPD und Grüne Teil der Bündnisse gegen die Kürzungsmaßnahmen sein und auf Demonstration reden dürfen sollten. Ein Kommentar von Dirk Spöri, Mitglied im Landesvorstand der LINKEN Baden-Württemberg
Am 12. Juni demonstrierten in Berlin und Stuttgart 45.000 Menschen, einem Aufruf des Bündnisses »Wir zahlen nicht für Eure Krise« folgend. Wenige Tage nach Ankündigung des »Sparpakets« durch die Bundesregierung wurde so ein deutliches Zeichen der Ablehnung gesetzt. In Stuttgart riefen unter anderem auch die Landesbezirke von DGB und ver.di zu den Demonstrationen auf. Die IG Metall leider nicht, aber immerhin gab es am 10. Juni einen Aktionstag der IG-Metall-Jugend mit mehreren Tausend Teilnehmern. SPD und Grüne waren bundesweit bisher nicht Teil des Bündnisses, aber die SPD unterstützt vor Ort, so zum Beispiel in Freiburg, lokale Bündnisse. Im Mai beschlossen die Landesverbände von SPD und Grünen, auch zur Demonstration in Stuttgart aufzurufen. Neben der LINKEN sollten beide auch auf der Kundgebung sprechen.
Die Reden von SPD und Grünen gingen in Pfiffen und Sprechchören wie »Hartz IV – das wart ihr« unter. Ein großer Teil der DemonstrationsteilnehmerInnen beteiligte sich daran und drückte damit die berechtigte Wut aus, dass auch SPD und Grüne unter Schröder und die SPD in der großen Koalition mit der Agenda 2010, Hartz IV, der Rente ab 67 und Steuersenkungen für Spitzenverdiener und Konzerne keine bessere, sozialere oder friedlichere Politik als Schwarz-Gelb betrieben hatten.
Einige gingen soweit, die Redner von SPD und Grünen mit Flaschen, Eiern, Fahnenstangen und anderen Gegenständen zu bewerfen und forderten damit einen Abbruch der Rede. Politiker der beiden Parteien dürften kein Rederecht auf Demonstrationen gegen Kürzungen und Schwarz-Gelb enthalten. Die dem zugrunde liegende Position – SPD und Grüne nicht als Bündnispartnerinnen und Rednerinnen auf Demonstrationen zu akzeptieren – ist falsch und verhindert die notwendige Ausweitung der Proteste, die in den kommenden Monaten nötig ist. In Stuttgart wurde laut und zurecht gerufen, dass wir es den Griechen nachmachen müssen: mit Streiks und mit Massendemonstrationen. Zu beidem, zu wirklich großen Demonstrationen und politischen Streiks gegen die Kürzungen, braucht es eine viel größere Beteiligung als am 12. Juni. Um das zu erreichen, ist die Unterstützung von auch von den Hartz IV Parteien wie SPD und Grünen nötig.
Arbeiterpartei SPD?
Klar ist, auch unter Schwarz-Gelb hat sich die Sozialdemokratie nicht grundsätzlich gewandelt: sie stimmte im Bundestag dem Afghanistan-Einsatz zu und Steinmeier verteidigt weiterhin die Agenda 2010 und Hartz IV. Weder politisch noch personell hat ein wirklicher Umbruch in der SPD stattgefunden.
Bei der Kritik des Kürzungspaketes schlägt die Führung der SPD eine gefährliche Richtung ein. Das Paket sei »unausgewogen«, »nicht fair« und es fehle die »soziale Balance«. Das heißt jedoch im Umkehrschluss, dass eine Ergänzung des Pakets durch beispielsweise eine Reichensteuer die Kürzungen bei Hartz IV Betroffenen und Armen wiederum akzeptabel macht. Trotz dieser politischen Ausrichtung , ist es noch immer so, dass viele Menschen die Sozialdemokratie wählen. Auch von den Grünen erhoffen sich viele eine gerechtere Politik . Viele wünschen sich mit Blick auf die Atompläne der Bundesregierung eine Stärkung der Grünen. Viele erhoffen sich auch von der SPD, dass sie dabei hilft, die Kürzungspläne von Merkel zu stoppen.
Auswertungen zu den letzten Wahlen belegen dieses Verhalten. In NRW wählten 41% der ArbeiterInnen und 33% der Angestellten die SPD. Insbesondere stimmten 51% der Gewerkschaftsmitglieder für die SPD. Auch bei der Bundestagswahl lag die SPD bei ArbeiterInnen mit 24% noch vor der LINKEN mit 18% – und die CDU übrigens bei 29%. In den Bundesvorständen der großen DGB-Gewerkschaften findet sich aktuell kein Mitglieder der LINKEN, jedoch Mitglieder von SPD, Grünen und sogar der CDU.
Ein Hoffnungsträger war die SPD auch 1998 bei der Abwahl von Helmut Kohl, als sie die höchstens Zugewinne und insgesamt 21,5 Millionen Stimmen erhielt. Übrigens war 1998 die einzige Bundestagswahl bei der die PDS die 5%-Hürde überschritt und damit zeigte, dass Parteien links der SPD auch bei Wahlen gewinnen können, wenn die SPD selber hinzugewinnt. Die SPD war auch größter »Profiteur« der 1968er-Revolte unter den Parteien und politischen Organisationen: sie gewann von 1969 bis 1977 ca. 250.000 Mitglieder. Auch die Jusos hatten 1973 mit 300.000 Mitgliedern eine größere Basis als jemals zuvor.
Aus der Geschichte lernen
Die SPD hat in ihrer Geschichte enorme Wandlungen durchgemacht. Schon in den 70er Jahren wurde mit Helmut Schmidt jede Hoffnung zerstört, die viele Menschen zuvor in Willy Brandt gesetzt hatten. Ein Blick es weiter in die Geschichte zeigt, dass die SPD – mit Ausnahme von Karl Liebknecht – 1914 den Kriegskrediten für den 1. Weltkrieg zustimmte und 1918/19 an der Niederschlagung der deutschen Revolution beteiligt war. Die Unterstützung für den Krieg durch die SPD führte zur – schon in den Vorkriegsjahren politisch absehbaren – Spaltung der Partei.
Doch trotz dessen war die gerade gegründete KPD in den 20ern Jahren bereit zu gemeinsamen Aktionen mit der SPD in Rahmen ihrer Strategie der »Einheitsfront«. So heißt es in den »Thesen zur Taktik der Komintern«: »Die Einheitsfronttaktik ist einfach eine Initiative, durch die die Kommunisten allen Arbeitern, die zu anderen Parteien und Gruppen gehören und allen unorganisierten Arbeitern vorschlagen, sich in einem gemeinsamen Kampf um die unmittelbaren, grundlegenden Interessen der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie zusammenzuschließen. Jede Aktion, selbst um die trivialste alltägliche Forderung kann zu revolutionärem Bewusstsein und revolutionärer Schulung führen; es ist die Erfahrung des Kampfes, die die Arbeiter von der Unvermeidbarkeit der Revolution und der historischen Bedeutung des Kommunismus überzeugen wird.«
Dabei kann man sich die Bündnispartner jedoch nicht aussuchen und auf unliebsame Vertreter der SPD verzichten. So heißt es weiter: »Das Wichtigste in der Taktik der Einheitsfront ist und bleibt die agitatorische und organisatorische Zusammenfassung der Arbeitermassen. Der wirkliche Erfolg der Einheitsfronttaktik erwächst von ›unten‹, aus den Tiefen der Arbeitermasse selbst. Die Kommunisten können dabei aber nicht darauf verzichten, unter gegebenen Umständen auch mit den Spitzen der gegnerischen Arbeiterparteien zu unterhandeln.« Der gemeinsame Kampf der Arbeiter gegen den Kapp-Putsch 1920 ist ein Beispiel für den Erfolg der Strategie. Unter anderem nach diesen Aktionen konnte auch die USPD für den Zusammenschluss mit der KPD gewonnen werden.
1968
Der SDS (»Sozialistische Deutsche Studentenbund«) war 1968 eine der wichtigsten und konsequenteste Gruppen im Kampf gegen die Notstandsgesetze. Er hat sich gegen jede Änderung der Verfassung im Sinne einer Notstandsplanung ausgesprochen und lehnte Kompromisse ab.
Gleichzeitig hat der SDS 1967 auf einem großen Kongress auch linke Sozialdemokraten und sogar linksliberale Politiker als Redner eingeladen. Diese wandten sich nicht prinzipiell gegen die Notstandsgesetze, sondern lehnten die Gesetzesentwürfe der Großen Koalition von Union und SPD nur als zu weitgehend ab. Es nahmen zudem viele Gewerkschafter an dem Kongress teil, die zwar grundsätzlich gegen die Notstandsgesetze waren, aber die Meinung vertraten, man müsse auf dem Boden der bestehenden Gesetzesentwürfe »Verbesserungsvorschläge« machen. Viele wollten die Gesetzesentwürfe an bestimmten Punkten entschärfen, weil sie eine grundsätzliche Ablehnung nicht für durchsetzbar hielten. Der SDS hat es durch die Einbeziehung eines breiteren Spektrums geschafft, einen großen, erfolgreichen Kongress zu organisieren – und selber dabei an Stärke und Selbstbewusstsein gewonnen.
In jüngster Vergangenheit sind die erfolgreichen Blockaden gegen den Nazi-Aufmarsch in Dresden im Februar 2010 ein Beispiel für breite Bündnisse: Jusos und Gewerkschaftsjugenden unterstützten das Bündnis und Abgeordnete von Linke, SPD und Grünen halfen dabei, die Blockadepunkte zu halten. Der verbreiterte Aufruferkreis gegenüber den Vorjahren führte zu einer wesentlich größeren Teilnahme.
Wie weiter?
Das Hin und Her der SPD vom »Hoffnungsträger« zum »Verräter« und zurück zeigt, dass eine unabhängige sozialistische Kraft notwendig ist, die die Interessen von Beschäftigten, Arbeitssuchenden, Studierenden und Rentner konsequent vertritt. Die LINKE hat hier eine große Verantwortung. DIE LINKE geht von einer systemischen Krise aus, die als Antwort eine Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse kulminierend in einen Systemwechsel erfordert. Die SPD geht von einen Betriebsunfall aus, der von Regierungsseite wieder zu regulieren ist. Diese Unterschiede gilt es auch in der kommenden Protestbewegung deutlich zu machen.
Aber klar ist auch; Niemand kommt bei der permanenten Gehirnwäsche der Medien als »konsequenter« Gegner aller Angriffe auf den Sozialstaat auf die Welt kommt. Es gilt, in den sozialen Auseinandersetzungen die Menschen zu überzeugen und soziale Bewegungen für Menschen, die noch SPD oder Grün wählen oder Mitglied dieser Parteien sind, zu öffnen. Die Linke braucht keine Angst vor der Aufweichung unserer Forderungen und Ziele durch breitere Bündnissen zu haben, denn wir sollten selbstbewusst auf unsere besseren Argumente vertrauen – und an der Vorbereitung der Demonstrationen, Streiks und Kämpfe mitwirken.
Schon 2006 führte die IG Metall in Baden-Württemberg politische Aktionen gegen die Rente ab 67 während der Arbeitszeit durch. Über 200.000 Menschen beteiligten sich daran. 1996 stoppten betriebliche Kämpfe in der Automobilindustrie die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Diesen Druck müssen wir hier wieder aufbauen, wenn wir bundesweit das Kürzungspaket stoppen wollen. Voraussetzung dafür ist jedoch eine breite Einheitsfront gegen die Kürzungen, in der bundesweit ver.di, die IG Metall und der DGB dabei sind – in der aber auch SPD und Grüne mitarbeiten. Erfolgreiche Kämpfe gegen das Kürzungspaket würden das Selbstbewusstsein vieler Menschen, insbesondere auch derer, die schon lange nicht mehr Wählen gehen, stärken und damit den Weg für weitere erfolgreiche Kämpfe – gegen Entlassungen, Kriegseinsätze, Studiengebühren, Atomenergie und viel mehr – bereiten. Die Kritik an SPD und Grüne wäre in keinem dieser Kämpfe vergessen und es wäre Aufgabe nicht nur der LINKEN, daran zu erinnern und nicht auf die nächsten Wahlen zu orientieren, sondern für die Fortführung der Kämpfe zu argumentieren. Gemeinsame Bündnisse dürfen politische Konflikte zwischen den Bündnispartner nicht unter den Tisch kehren, aber gemeinsame Bündnisse und daraus resultierende erfolgreiche Proteste, sind das beste Argument gegen alle, die glauben, eine SPD-Regierung würde alles anders und besser machen.
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