Der Naziterror hat Millionen schockiert. Diese Empörung gegen Rechts kann in effektive Mobilisierungen umgewandelt werden, meint Azad Tarhan
Für Antifaschisten ergibt sich Anfang 2012 eine neue Situation. Die Enthüllungen über die Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) haben vielen deutlich gemacht, dass Nazis ein relevantes gesellschaftliches Problem sind. Die Empörung über die militanten Faschisten ist so groß wie seit den Mordanschlägen von Mölln (1992) und Solingen (1993) nicht mehr. Das Potential für antifaschistische Mobilisierungen ist größer geworden.
Bei aller verbaler Distanzierung von den Nazis: Weder die Konservativen noch die Entscheider in den staatlichen Sicherheitsorganen wollen eine starke, womöglich links geprägte, Antinazibewegung auf der Straße. Vermutlich deshalb fiel diesmal die Inszenierung des staatlichen Antifaschismus, abgesehen von einer Schweigeminute im Bundestag, aus. Statt nach einem »Aufstand der Anständigen« schreit die Bundesregierung nach dem »starken Staat«. Das Zentralregister für Nazis ist beschlossene Sache. Hinzu kommt die verstärkte Kooperation von Polizei und Geheimdiensten sowie ein erneutes Prüfverfahren für ein NPD-Verbot.
Staat behindert Antifaschisten
Damit bewegt sich die Regierung auf sehr dünnem Eis. Denn die Hoffnung, dass der Staat das Nazi-Problem löst, hat sich spätestens seit der Verstrickung des Verfassungsschutzes mit der NSU als trügerisch erwiesen. Zudem wurde erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, wie Staatsorgane, insbesondere in Sachsen und Thüringen, systematisch Antifaschisten kriminalisieren und in ihrer Arbeit behindern. Die Anklage gegen den im Antinazikampf engagierten Jenaer Jugendpfarrer Lothar König hat Menschen weit über das aktive antifaschistische Milieu hinaus entsetzt.
Wie gehen wir mit dieser Situation um? Zuerst sollten wir uns die eigenen Erfolge bewusst machen. In den vergangenen Jahren ist es Antifaschisten gelungen, in Auseinandersetzung mit dem jährlich stattfindenden Naziaufmarsch in Dresden ein neues, erfolgreiches Aktionskonzept zu entwickeln: die breite, aber entschlossene Massenblockade. Dieses Konzept war in Dresden nun so erfolgreich, dass am 18. Februar keine einzige Anmeldung von Nazis zu verzeichnen war.
Der Erfolg von Dresden
Im dritten Jahr nach der Massendemonstration der Nazis im Jahr 2009 war Dresden an diesem Tag endlich wieder nazifrei Über 10.000 Antifaschisten aus den unterschiedlichsten Spektren konnten so eine Demonstration gestalten, die noch lange als schallende Ohrfeige im Gesicht der Nazis nachklingen wird. Damit wurde die Dresdner Erfolgsgeschichte fortgeschrieben. Ob es das letzte Kapitel bleiben wird, ist abzuwarten.
Worin besteht dieser Erfolg? Zwölf Jahre lang nahm die radikale Rechte das Gedenken an die Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg zum Anlass für ihre Aufmärsche. Noch vor wenigen Jahren nahm diese beängstigende Dimensionen an. So standen 2009 etwa 7000 Nazis nur 4000 Antifaschisten gegenüber. Ganz anders im folgenden Jahr: Da gelang es 12.000 Antifaschisten, den Aufmarsch von 6000 Nazis zu verhindern.
Bündnis für Blockaden
Dem Erfolg vorangegangen war der Aufbau eines Bündnisses, das zu Massenblockaden aufrief. Sein Aktionskonsens lautete: »Wir leisten zivilen Ungehorsam gegen den Naziaufmarsch. Von uns geht dabei keine Eskalation aus. Unsere Massenblockaden sind Menschenblockaden. Wir sind solidarisch mit allen, die mit uns das Ziel teilen, den Naziaufmarsch zu verhindern.«
Das Bündnis überwand einerseits die klassisch autonome Katz-und-Maus-Strategie, die in den Jahren zuvor immer weniger in der Lage gewesen war, Naziaufmärsche, vor allem den in Dresden, zu stören, geschweige denn zu verhindern. Auf der anderen Seite waren die Massenblockaden auch ein klarer Bruch mit der Tradition, lediglich Kundgebungen oder Demonstrationen fernab der rechten Aufmärsche abzuhalten und an die Staatsmacht zu appellieren, gegen die Nazis vorzugehen.
Breite ist entscheidend
Das Ziel, Massenblockaden zu veranstalten, war der Ausgangspunkt des Bündnisses. Die Bereitschaft tausender Menschen, sich auf den vorgesehenen Nazirouten hinzusetzen oder im Stehen zu blockieren, war die Vorraussetzung für den Erfolg. Effektiv konnte diese Taktik aber nur sein, weil die Blockaden so angelegt waren, dass eine polizeiliche Räumung einen so hohen politischen Preis bedeutet hätte. Dementsprechend entschied sich die Einsatzleitung im Endeffekt dafür, die Nazidemonstration abzusagen.
Für diese Strategie ist die politische Zusammensetzung des Bündnisses entscheidend. Denn nur, wenn die Teilnehmerstruktur an den Blockaden politisch so plural ist, dass eine Räumung in der Gesellschaft große Empörung auslöst, kann das Konzept funktionieren. Genau das hatte das Bündnis durch seine Aktivitäten im Vorfeld erreicht: Über 2.000 Einzelpersonen und 500 Organisationen hatten schließlich den Aufruf unterzeichnet. Im Jahr 2011 gelang eine Wiederholung des Erfolgs – nur noch halb so viele Nazis wie im Vorjahr kamen nach Dresden und wurden wieder blockiert. In diesem Jahr gab es keine Mobilisierung der Nazis nach Dresden am 18. Februar und auch im Umland wurden keine relevanten Nazikundgebungen oder Demonstrationen durchgeführt.
Zum 1. Mai nach Dortmund
Das bedeutet jedoch nicht, dass die radikale Rechte nun komplett auf Aufmärsche verzichtet. Vielmehr zeichnet es sich ab, dass die Naziszene nach Ausweichorten und -terminen sucht. So versammelten sich am 14. Januar rund 1.200 Nazis in Magdeburg zum bislang größten Aufmarsch in der jüngeren Geschichte der Stadt. Der Marsch konnte mehrfach durch Blockaden verzögert werden. Aber die Gegenaktionen waren von einer vergleichbaren gesellschaftlichen Breite wie in Dresden noch weit entfernt. Das könnte ein Testballon der Rechten gewesen sein, um sich an andere Städte heranzutasten.
Ähnliches wie in Magdeburg ist in Dortmund zu beobachten: Hier wollen Nazis, nachdem sie am Antikriegstag im September auf breiten Widerstand gestoßen sind, nun zusätzlich am 1. Mai einen Aufmarsch veranstalten. Die verschiedenen Bündnisse sind hier noch nicht zu einer ähnlich starken Einheit wie in Dresden gewachsen, aber erste Schritte in diese Richtung sind vollbracht, was vermutlich in Nazikreisen nicht unbeobachtet blieb.
Massenhaft verbreiten
Die neue Strategie der Nazis und die Reaktionen auf den NSU-Terror definieren den nächsten Schritt, den die gesamte antifaschistische Bewegung vollziehen muss: Nämlich die in Dresden entwickelte Form der breiten aber entschlossenen Massenblockade in Strategie und Technik zu popularisieren und zu professionalisieren – wo immer Nazis auch marschieren wollen. Dafür bedarf es einer flächendeckenden Blockadeausbildung von Aktivisten aus den unterschiedlichsten politischen Spektren.
Dafür müssen lokale Akteure auch mal über ihren Schatten springen: Die autonome Linke käme nicht umhin, bei SPD, Gewerkschaften und Grünen für die Blockaden zu werben und so die Basis der Proteste zu verbreitern. Andererseits müssen die gesellschaftlichen Kräfte ihre Berührungsängste zur radikalen Linken überwinden und einsehen, dass antifaschistisches Bratwurstessen kilometerweit vom Naziaufmarsch entfernt faschistische Propaganda und Machtdemonstrationen nicht beenden wird. Die größte Stärke der Solidarität unter den antifaschistischen Kräften ist die Hilflosigkeit des Polizeiapparates angesichts eines solch geschlossenen Agierens.
Zur Person:
Azad Tarhan ist jugendpolitischer Sprecher der Landesvorstands der LINKEN Nordrhein-Westfalen.
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