Viele Gruppen haben zusammengewirkt, um Mubarak zu stürzen. Der weitere Weg und die Ziele der Bewegung sind offen. Über die Unterschiede zwischen den verschiedenen Kräften berichtet Philip Bethge im vierten Teil seines Internettagebuchs
Mo, 21.02.11: Wir treffen uns heute im King Hotel mit Mahmoud Adel Elhetta und Amr Aladin. Mahmoud und Amr gehören zur »Generation Facebook« – zu den Jugendlichen, die die ägyptische Revolution angeschoben haben. Mahmoud sagt mit Recht, dass die Streiks und Großdemos wichtig waren, aber erst später kamen. Es waren die Jugendlichen, die den Zündfunken gegeben haben.
Ganz am Anfang weisen die beiden darauf hin, dass der Begriff »Generation Facebook« eher eine Fehlbezeichnung ist. Zwar haben sie über Facebook für ihre Demonstrationen mobilisiert, aber das war nur ein Teil der Arbeit. Sie – und viele andere Organisationen und Einzelpersonen – haben auch Flyer produziert und verteilt, sie haben telefoniert und ihre Freunde mobilisiert. Der Aufstand vom 25. Januar ist nicht vom Himmel gefallen, sondern war das Ergebnis harter Arbeit.
Jugendliche Aktivisten
Mahmoud und Amr sind – wie die Jugendlichen, die wir in Mahalla getroffen haben – Unterstützer des liberalen Mohammed El-Baradei. Ihre unterschiedlichen Einschätzungen stimmen nicht immer überein. Sie sind sich einig, dass Mubarak weg musste, und sind ein bisschen skeptischer gegenüber dem herrschenden Militärrat als andere, mit denen wir gesprochen haben. Manchmal wird behauptet, dass Mubarak vielleicht immer noch von seinem Palast in Sharm El Sheik aus regiert. Aber außer den abstrakten Zielen wie »Demokratie« und »Freiheit« haben sie wenig klare Vorstellungen davon, was sie an Mubaraks Stelle wollen.
Obwohl das King Hotel kein Luxushotel ist, ist es etwas opulenter als die kleinen Cafés, die wir bisher gewohnt sind. Diese junge Aktivisten waren schon im Ausland, das heißt, sie sind politisch erfahrener als viele ihrer Landsleute. Das heißt aber auch, dass sie von uns mehr fordern: dass wir dafür kämpfen sollen, dass die deutsche Regierung und Industrie mehr in Ägypten investieren sollen. Sie diskutieren auch unter sich, ob die Demonstrationen weitergehen sollen oder aufhören müssen – also ob weitere Demonstrationen dem Tourismus und den Geschäften schaden könnten.
Widerstreitende Interessen
Ohne die jugendlichen Aktivisten hätte die Revolution nicht stattgefunden. Die Streiks in Mahalla waren zum Beispiel erst nach ihren Demos ausgebrochen. Aber es ist schon absehbar, dass die Interessen der Arbeiter in Mahalla und eines Teils der Jugendlichen sich auseinanderentwickeln werden.
Die ägyptische Mittelschicht könnte sich mit einer bürgerlichen Demokratie zufriedengeben, in der nicht Mubarak, sondern sie die Arbeiter ausbeutet. Ihr kann es egal sein, ob die Unterstützung aus den USA, China oder der EU kommt – wichtig ist, dass sie kommt und die neue ägyptische herrschende Klasse stützt.
Ob auch Mahmoud und Amr diesen Weg einschlagen werden, hängt davon ab, inwiefern organisierte Arbeiter und Sozialisten die Initiative ergreifen können. Diese jungen Leute verstehen besser als viele, dass die Erfolge der Revolution zerbrechlich sind. Sie können sich jetzt entscheiden, für eine Fortführung der Revolution zu kämpfen, oder sich sagen: »Wenn nur eine Minderheit profitieren kann, warum nicht wir?«
Revolutionäre Hausfrau
Vom King Hotel laufen wir erneut zum Gebäude der Journalistengewerkschaft, wo wir einen Termin mit Mona Wafa haben. Wir haben Mona erst bei der Veranstaltung vor zwei Tagen kennen gelernt, wo sie uns mit einer emotionalen Rede beeindruckt hat. Wir haben kaum eine Ahnung, was sie gesagt hat, da wir kaum Arabisch können, und wollen hören, was diese Frau zu sagen hat.
Mona, etwa 50 Jahre alt, stellt sich als einfache Hausfrau vor. Sie hat früher für die Fluggesellschaft Egypt Air gearbeitet und keine politische Erfahrung. An der ersten Großdemo am 25. Januar hat sie gar nicht teilgenommen. Aber nachdem Mubaraks Polizei am 28. Januar zurückgeschlagen und viele Menschen ermordet hatte, entschied sie sich, etwas zu tun. Zum ersten Mal in ihrem Leben hat sie draußen geschlafen, als sie gemeinsam mit einer Million anderen über zwei Wochen lang den Tahrir-Platz besetzt hielt. Jetzt ist sie stolzes Mitglied der »25.-Januar-Bewegung«.
Als solches hat sie – wie viel andere, die bisher nur Mubaraks Nationalpartei kannten – eine große Skepsis gegenüber Parteien. Nicht nur das, sie ist überzeugt, dass die neuen Organisationen wie die »Verteidiger der 25.-Januar-Revolution« von Mubarak oder von außen finanziert werden. Sie glaubt, dass die Reformen zu langsam kommen, die Revolution immer noch gefährdet ist, und dass die Bewegung auf der Straße bleiben und sich ausweiten muss.
Bewegung ausweiten
Zu diesem Zweck hat Mona gemeinsam mit anderen, die sie vom Tahrir-Platz kennt, für den nächsten Tag zu einer Demo aufgerufen. Die Demo soll vom Tahrir-Platz zum Regierungsgebäude führen, wo sie eine permanente Mahnwache organisieren wollen, bis die folgenden vier Forderungen erfüllt sind:
- Die Regierung von Ahmed Sharif stürzen. Sharif führt Ägypten mit Duldung des Militärrats. Er ist aber auch Mubaraks ausgewählter Nachfolger und deswegen Teil des alten Regimes.
- Freilassung aller politischen Gefangenen
- Abschaffung der Notstandsgesetze, die immer noch gegen Zivilisten benutzt werden
- Gerichtsverfahren gegen Mubarak und Einfrierung alle seines Vermögens (einschließlich dessen in Deutschland und der EU)
Monas Forderungen zeigen, wie weit Ägypten noch gehen muss, um nur den Anschein von Demokratie zu erreichen. Aber die Tatsache, dass sie so entschlossen ist, wie es weitergehen soll, gibt uns Hoffnung. Wir werden sehen, wie groß ihre Demo werden wird, aber sie sieht sie nicht als Gegensatz zu der wöchentlichen Freitagsdemo, mit der sie Verbindung sucht. Nach unserer Erfahrung mit der relativen Inhaltsleere des Festes letzte Woche könnte die Freitagsdemo von diesen klaren Forderungen profitieren.
Sozialistin in Ägypten
Wir verlassen Mona ungern, aber jetzt ist es Zeit, Nivin zu besuchen. Nivin ist Sozialistin und hat letztes Jahr auf der Sommerakademie der Sozialistischen Linken in Bielefeld über Ägypten berichtet. Nivin teilt Monas Skepsis gegenüber Sharif und dem Militärrat. Es gibt bis jetzt fast keine greifbaren Reformen. Mit ein paar Ausnahmen sind die alten Herrschenden immer noch im Amt. Die Revolution – obwohl inspirierend – muss noch weiter gehen.
Wir fragen Nivin nach El-Baradei. Sie ist weniger begeistert als die Jugendlichen, die wir am Vormittag kennengelernt haben. El-Baradei führt seinen Wahlkampf vom Ausland aus. Er wohnt zurzeit in Wien. Und er ist nicht wirklich in der ägyptischen Bewegung verankert. Obwohl er sich gegen den Irakkrieg gestellt hat, kann man nicht ausschließen, dass er gegenüber den westlichen Mächten kompromissbereit wäre.
Bündnisse und Konferenzen
Nivin sieht drei wichtige Oppositionskräfte in den kommenden Wahlen. Verschiedene liberale Gruppen und Parteien bilden ein Wahlbündnis. Die Muslimbruderschaft wird ebenfalls eine Wahlliste organisieren (einige Stunden später hat die Bruderschaft eine Partei gegründet, um an den Wahlen teilzunehmen). Und Linke, organisierte Sozialisten und unabhängige Einzelpersonen kommen auch zusammen.
Im Rahmen der Feiern der Revolution werden diese Bündnisse, vielleicht gemeinsam mit anderen, Ende April eine Konferenz organisieren, die in der Tradition der Kairo-Konferenzen des letzten Jahrzehnts steht – aber hoffentlich viel größer wird. Internationale Gäste sind herzlich willkommen. Die Konferenz ist noch in der ersten Vorbereitungsphase, aber sobald mehr Informationen zur Verfügung stehen, werden wir sie auf www.marx21.de und anderswo bekannt machen.
Ich verlasse Nivin mit der Verabredung, sie bei der Freitagsdemo auf dem Tahrir-Platz wieder zu treffen. Dort werde ich erfahren, wie genau die existierenden linken Kräfte sich auf die neue Bewegung beziehen. Dazu demnächst mehr.
Zur Person:
Philip Bethge wird ab dem 27. Februar wieder in Deutschland sein und steht für Berichte und Veranstaltungen zur Verfügung. Wer ihn auch einladen möchte, kann per E-Mail an redaktion@marx21.de mit ihm in Kontakt treten
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