In vielen Städten Deutschlands demonstrierten am 17. November Studierende, Schüler und Azubis, um gegen die Missstände an Unis und Schulen zu protestieren. Max Bunge berichtet
Die Stille in der Bibliothek der Berliner Humboldt Universität (HU) wurde am frühen Donnerstag Abend durch einen lauten Ruf durchbrochen: »Mic Check«! Etwa 200 Studierende waren im Anschluss an die »Bildungsstreik-Demonstration für Solidarität und freie Bildung« in die Unibibliothek weitergezogen um im Stil der »Occupy-Versammlungen« über die nächsten Schritte zu beraten.
Am 17.11. waren in mehreren deutschen Städten Studierende, Schüler und Azubis auf die Straße gegangen und hatten gegen die Missstände an Unis und Schulen demonstriert. Während in Berlin etwa 3000 Menschen demonstrierten, waren es 1500 in München und 1000 in Köln. In Freiburg wurde die Bildung von etwa 600 Demonstranten symbolisch zu Grabe getragen.
Hörsaal besetzt
Im Anschluss an die Demonstrationen kam es in einigen Städten zu Besetzungsversuchen von Universitäts-Räumen. In München wurde für kurze Zeit ein Hörsaal besetzt, an der HU ist einer der größten Hörsäle noch immer in der Hand der protestierenden Studierenden.
Schon im Vorfeld der Demonstration gab es an der Freien Universität in Berlin nach einer Vollversammlung, an der fast 1000 Studierende teilnahmen, den Versuch ein Seminargebäude zu besetzen. Dieser Versuch wurde jedoch schnell durch einen Polizeieinsatz beendet. »Die Stimmung bei der Vollversammlung war kämpferisch« berichtet Markus Lohmann, Mitglied bei DieLinke.SDS. »Man merkt, dass viele Studierende mit der Situation an der Uni unzufrieden sind.«
Occupy-Aktionsgruppen
Neben dem Bildungsstreik-Bündnis hatten sich seit Anfang des Semesters an einigen Universitäten, insbesondere in Berlin, »Occupy University« Aktionsgruppen gegründet. Auf diese Weise soll die Occupy Bewegung, nach dem Vorbild der »Occupy Colleges« Bewegung in den USA, auch an die Hochschulen gebracht werden.
Die Forderungen der Protestierenden sind vielfältig. Während die Schüler gegen das dreigliedrige Schulsystem und zu große Klassen demonstrieren, protestieren die Studierenden vor allem gegen die Unterfinanzierung der Universitäten und den politisch gewollten Mangel an Master-Studienplätzen. Durch die doppelten Abiturjahrgänge und die Aussetzung der Wehrpflicht strömten dieses Semester übermäßig viele Abiturienten an die Hochschulen.
Hörsäle überfüllt
»Die Hörsäle sind überfüllt und es wird immer schwieriger, Plätze in den Seminaren zu bekommen«, bemängelt Rhonda Koch, Philosophie-Studentin und aktiv bei Occupy-University. »Die Probleme sind offensichtlich, aber es wird nichts dagegen unternommen. Deswegen gehen wir jetzt auf die Straße und protestieren.«
Trotz der immer prekärer werdenden Situation an den Universitäten sind die Demonstrationen dieses Jahr deutlich kleiner geblieben als zum Beispiel 2009, als etwa 250.000 Menschen beim Bildungsstreik auf die Demos gingen. Woran das liegt ist schwer zu sagen. Sicherlich spielt die inzwischen an allen Universitäten vollzogene Umstellung auf Bachelor und Master eine Rolle. Durch den hohen Leistungsdruck und einen engen Stundenplan ist es schwieriger zu streiken und zu protestieren.
Unzufriedenheit verbreitet
Auch die Hörsaal-Besetzungen werden nur von sehr wenigen Studierenden getragen und sind kein Ausdruck einer großen Protestwelle. Nur wenn die Uni-Aktivisten ihre Mitstudierenden vom Protest überzeugen, können sie verhindern, sich in kleinen Besetzungen zu isolieren.
Christian Grauvogel vom Occupy-University Bündnis an der HU ist aber optimistisch: »Viele meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen sind unzufrieden mit der Situation an der Uni. Die Demonstrationen sind erst der Anfang. Durch kritische Veranstaltungen und Protestaktionen an der Uni wollen wir in den nächsten Wochen den Diskurs fördern und mehr Studierende davon überzeugen, dass es Zeit wird sich mit den bestehenden Verhältnissen auseinanderzusetzen.
Ob es noch dieses Semester zu weiteren Protesten kommt ist unklar. Sicher ist hingegen, dass sich die Probleme an den Hochschulen in den nächsten Jahren zuspitzen werden. 2012 verlassen in Baden-Württemberg, Brandenburg, Berlin und Bremen die doppelten Abiturjahrgänge die Schulen. 2013 folgen Nordrhein-Westfalen und Hessen. Sollte die Politik auf die Unterfinanzierung keine Antwort finden, kommt es auf die Studierenden an das Bildungssystem in Bewegung zu bringen.
Treffen:
- Occupy University an der HU: immer Donnerstags um 18 Uhr im Foyer des Hegelbaus (Dorotheenstr. 24)
Mehr im Internet:
Mehr auf marx21.de:
- Lernfabriken unerwünscht: Am 17. November werden in rund 40 Städten erneut tausende Studierende auf die Straße gehen, um gegen die Folgen der Bologna-Reform und für ein besseres Bildungssystem zu demonstrieren. Es könnte der Beginn von neuen Besetzungen an den Hochschulen sein, meint Leon Wagner