The Specials gelten als Erfinder des 2-Tone Sound – sie mixten jamaikanischen Ska und Rocksteady mit der Energie und der Attitüde des Punk. Mit dem Song »Ghost Town« vertonte die Band im Jahr 1981 den wirtschaftlichen Niedergang Großbritanniens und kreierte damit den Soundtrack zur Revolte gegen die Thatcher-Regierung. Yaak Pabst über die Geschichte hinter dem Song
Am 4. Mai 1979 übernimmt mit Margaret Thatcher zum ersten Mal in der Geschichte Großbritanniens eine Frau das Amt des Premierministers. Sie steht für einen harten konservativen und wirtschaftsfreundlichen Kurs: Sie will keinen Sozialstaat, hasst die Gewerkschaften und attackiert Migranten. Vor den Parlamentswahlen behauptete sie: »Es ist keine Frage von links oder rechts, sondern eine sachliche Feststellung, dass wir nicht zu wenige sondern eher zu viele Ausländer haben.«
Kaum an der Regierung verordnet die »Eiserne Lady« dem Sozialsystem ein rigides Kürzungsprogramm und verschlechtert die Aufenthaltsrechte für Migranten. Im Verlauf ihrer Regierungszeit privatisiert sie so gut wie alle Staatsbetriebe – von den Schiffswerften und Stahlwerken über die Kohlegruben und Flughäfen bis zur lokalen Trinkwasserversorgung und dem öffentlichen Nahverkehr.
Nach nicht einmal zwei Jahren im Amt ist die Thatcher-Regierung eine der Unbeliebtesten in der britischen Geschichte. Kein Wunder: In Thatchers Großbritannien feiern die Reichen, die Armen werden ärmer. Im Jahr 1981 sind mehr als doppelt so viele Menschen ohne Job wie bei Thatchers Amtsantritt: Insgesamt gibt es 2,7 Millionen Arbeitslose. Die Wirtschaftskrise trifft die britischen Großstädte ins Herz. Die ehemals florierenden Handelsstädte London, Glasgow, Liverpool und Manchester schrumpfen: Leer stehende Lagerhäuser, verwahrloste Docks, verkommenen Eisenbahngelände, vernagelte Läden und unbewohnte Häuser.
Jerry Dammers, Gründer und Keyboarder von The Specials und Komponist von »Ghost Town«, erzählt: »Wir tourten durchs ganze Land und wir konnten sehen, was los war. Ich erinnere mich wie wir nach Liverpool fuhren und ich sah, dass viele Geschäfte mit Brettern vernagelt waren. Als wir in Glasgow ankamen sah ich dort Menschen, die aus Verzweiflung ihre Wohnungseinrichtung auf der Straße verkauften. So etwas hatte ich nie zuvor gesehen.«
Video:
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In »Ghost Town« verarbeiten The Specials diese Eindrücke musikalisch. Das Lied startet mit heulenden Sirenen, klirrendem Windpfeifen und einem schummrigen Orgelsound: Willkommen in der Geisterstadt. Die Querflöte haucht das Songthema durch die Boxen. Spätestens jetzt denkt jeder an verlassene Straßen, eingestürzte Häuser und klappernde Fensterläden. Doch dann unterbrechen aufgeladene Bläser krachend die Szene, als wollten die Specials sagen: »Wach auf! Das hier ist kein Traum. Du befindest dich nicht in irgendeiner verlassenen Wild-West-Touristen-Geisterstadt. Das hier ist die Realität.«
Die Band spielt einen klassischen Reggaedub: Die helle Gitarre kontert den dunklen Bass. Durch die Betonung des zweiten und vierten Taktteils entsteht der unverkennbare Grundrhythmus des Reggae. Das Schlagzeug, die Bläser und die Orgel kommen hinzu, doch der Sound bleibt minimalistisch. Die Specials arbeiten mit Kontrasten. Über den »Gute-Laune-Riddim« propagieren die Sänger ihre ernste Botschaft: »In diesem Land gibt es keine Jobs« und »Die Regierung lässt die Jugendlichen im Stich« ruft eine Stimme. »Die Leute werden wütend«, dröhnt eine andere.
Vierzehn Zeilen reichen den »Specials«, um eines der besten sozialkritischen Kommentare der Popgeschichte zu verfassen. Auch wenn der Text Thatcher mit keinem Wort erwähnt, wird das Lied zum Protestsong gegen die »Eiserne Lady«. Es entwickelt politische Sprengkraft, nicht weil der Text besonders radikal ist, sondern weil er treffend die Lebensrealität von Millionen Jugendlichen dokumentiert. Drei Wochen nach Veröffentlichung des Songs beginnt das, was als »Summer of Discontent« in die englischen Geschichtsbücher eingeht: Zwischen dem 3. und 11. Juli 1981 entladen sich Wut und Frustration über Armut, Arbeitslosigkeit und Polizeiwillkür. Zehntausende schwarze und weiße Jugendliche liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei. Die Riots breiten sich über den Londoner Stadtteil Brixton nach Liverpool und Birmingham, Manchester, Derby, Blackburn, Bradford, Leeds und Leicester aus.
Während das offizielle Großbritannien die Hochzeit von Diana Spencer und Prinz Charles im Sommer 1981 als die wichtigste Nachricht feiert, bahnt sich der Protest der Jugend seinen Weg von der Straße in die Charts. Einen Tag nach dem Abflauen der Kämpfe klettert »Ghost Town« auf Platz eins der englischen Singlecharts. Eine Million Tonträger werden die Specials von »Ghost Town« verkaufen.
Zu dieser Zeit sind die Mitglieder der Specials bereits Stars in England. Im Jahr 1977 unter dem Namen »The Coventry Automatics« gegründet, haben sie in den darauffolgenden Jahren mit ihrem neuen Sound die Tanzbeine und musikalischen Herzen einer ganzen Generation erobert. Von Beginn an sind The Specials eine politische Band. 1978 touren sie als Support der Punkband The Clash und spielen mit ihnen beim ersten »Rock against Racism«-Festival. The Specials wenden sich gegen rassistische Vorurteile, nicht nur in ihren Texten sondern auch durch die Tatsache, dass die Band selbst schwarze und weiße Musiker vereint. Anstatt ihre Musik von einem Majorlabel produzieren zu lassen, gründet der Specials-Keyboarder Jerry Dammers das Indielabel »2-Tone«. Markenzeichen ist das schwarz-weiße Schachbrettmuster, das die anti-rassistische Haltung unter Vertrag stehender Bands symbolisiert. Das Logo des Labels: Ein junger Mann namens Walt Jabsco, der in typisch jamaikanischen Rude-Boy-Stil gekleidet ist: schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte, Pork-Pie-Hut, weiße Socken und schwarze Schuhe.
Als die Specials 1979 ihre erste Single in Eigenfinanzierung veröffentlichen, ist mit ihnen eine neue Jugendkultur entstanden. Zehntausende kleiden sich schwarz-weiß und tanzen zu ihrem Ska-Beat oder dem anderer Bands des »2-Tone«-Labels wie The Beat, die Bad Manners oder Madness.
Unter dem »2-Tone«-Banner versammeln sich die Kids der englischen Arbeiterklasse. Der Eintritt zu den Konzerten ist für jeden erschwinglich, die Liveauftritte voller Energie und Rebellion. Bei jedem Konzert der Specials stürmen nach ein paar Liedern die Fans auf die Bühne, um gemeinsam mit der Band den »Moonstomp« zu tanzen. Dass die Band mit ihrem Sound Thatchers No Future-Jugend begeistert, liegt vor allem daran, dass die Texte offen aussprechen, was ist. Fünf Top-10-Singles und zwei Nummer-1-Platzierungen zwischen 1979 und 1981 sprechen für sich.
»Ghost Town« ist die letzte Single der Specials – die Band bricht unter dem Druck des Erfolges Ende 1981 auseinander. Trotz der kurzen Wirkungsphase ist ihr Einfluss enorm. Die sieben jungen Männer ebneten den Weg für die multiethnische Musik in Großbritannien. Das Erbe der Specials setzen heute Bands wie Asian Dub Foundationen oder The Streets fort. An Aktualität haben die Songs der Specials nichts eingebüßt. Auf die Frage, worum es in dem Song »Ghost Town« vor allem geht, antwortete Schlagzeuger John Bradbury im Jahr 1981: »Ihre Wirtschaft macht alles kaputt«.
Zum Autor:
Yaak Pabst ist Redakteur des marx21-Magazins. Er schreibt regelmäßig über die Hintergründe berühmter Songs.
Mehr im Internet:
- Konzert: Am Sonntag, 25. September geben The Specials in der Hamburger »Grosse Freiheit 36« das letzte Konzert ihrer Deutschlandtour.