Joachim Gauck soll am 18. März neuer Bundespräsident werden. Als »Präsident aller Bürger« bezeichnen ihn Medien. Dass der 73-Jährige jedoch vielmehr ein Präsident der Wirtschaft sein wird, zeigen zahlreiche seiner öffentlichen Äußerungen in den vergangenen Jahren. Von Christian Baron
»Joachim Gauck ist der Präsident aller Parteien«, verkündete Bild, und alle so genannten Massenmedien stimmten dem blitzschnell zu. Nicht nur, dass damit die Ablehnung Gaucks durch die im Bundestag und den meisten Landesparlamenten vertretene Partei DIE LINKE verschwiegen wird. Ein solcher Satz unterstellt auch, der ehemalige Pastor sei ein Kandidat, den die Bevölkerung im Land mit offenen Armen empfange. Doch es gibt Gegenwehr. Bei Facebook, Twitter und auf vielen politischen Blogs analysieren und dokumentieren zahlreiche User, wer da eigentlich am 18. März ins Schloss Bellevue einziehen soll.
Seine Außenwirkung hat Gauck neben der Medienkampagne vor allem zwei Aspekten zu verdanken: Einerseits profilierte er sich als »DDR-Bürgerrechtler« bei der Aufarbeitung der Stasi-Verbrechen. Andererseits gehört er formal keiner Partei an und wirkt so unabhängig. Dass Gauck aber sehr wohl ein wesentlicher Teil jenes Polit-Establishments ist, das so viele Bürger zu Recht ablehnen, bleibt nach wie vor im Dunkeln. Was geradezu grotesk erscheint, wenn man sich Gaucks Positionen zu brennenden Fragen der Zeit anschaut.
Tatsächlich geschichtsvergessen
Bereits 2004 bezeichnete er in der Berliner Zeitung all jene, die sich gegen die Agenda 2010 zur Wehr setzten, als »töricht und geschichtsvergessen« – allein deshalb, weil sie den Begriff »Montagsdemonstrationen« verwendeten. Purer Hohn für jeden Widerstand gegen Hartz IV, der bekanntlich ganz wesentlich von Bürgern der ehemaligen DDR ausging – jenen Menschen, denen sich Gauck doch angeblich so verbunden fühlt.
Wer hier tatsächlich geschichtsvergessen ist, offenbarte der Kandidat 1998 in seinem Nachwort zum Schwarzbuch des Kommunismus, in dem er schrieb: »Einheimischen wie Vertriebenen galt der Verlust der Heimat als grobes Unrecht, das die Kommunisten noch zementierten, als sie 1950 die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten«. Erika Steinbach oder Horst Mahler dürften beim Lesen solch eines Satzes vor Vergnügen gequiekt haben. Ähnliches galt, als er 2010 Thilo Sarrazin attestierte, er sei »mutig und er ist natürlich auch einer, der mit der Öffentlichkeit sein Spiel macht, aber das gehört dazu«.
Ablehnung des Sozialstaats
Die vielleicht größte Gemeinsamkeit Gaucks mit dem SPD-Politiker Sarrazin ist die Ablehnung des Sozialstaates – mit neoliberaler Begründung. Im Juni 2010 erklärte er der Welt: »Als Gerhard Schröder einst die Frage aufwarf, wie viel Fürsorge sich das Land noch leisten kann, da ist er ein Risiko eingegangen. Solche Versuche mit Mut brauchen wir heute wieder (…). Wir stellen uns nicht gerne die Frage, ob Solidarität und Fürsorglichkeit nicht auch dazu beitragen, uns erschlaffen zu lassen«.
In diesem Licht betrachtet, offenbart es einen gewaltigen Zynismus, dass es SPD und Grüne sind, die Gauck bereits 2010 zum Staatsoberhaupt küren wollten. Wer einen Befürworter des Sozialabbaus ins höchste Amt im Staate hebt, gibt unverhohlen zu, wo der rot-grüne Weg nach einem eventuellen Sieg bei der Bundestagswahl 2013 wieder hingehen würde.
Antikommunismus à la Strauß
Vonseiten der Union und der Zweiprozentpartei FDP ist es ebenso nur konsequent, sich auf den Pastor geeinigt zu haben. Teilt er doch in bester marktideologischer Manier ihr eindimensionales Freiheitsverständnis, das man in Abwandlung eines berühmten Zitats von Rosa Luxemburg auf den Punkt bringen kann: Freiheit ist immer die Freiheit des Kapitals.
Das beginnt schon bei seinem Antikommunismus, wie ihn Deutschland seit Franz-Josef Strauß nicht mehr erlebt haben dürfte. Im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung verlautbarte er etwa 2010: »Es gibt auch einen intellektuellen, wohlbegründeten Antikommunismus. Der, über den ich spreche, ist einer, der im Kommunismus wächst. Er erwächst aus Leiden, aus der Ferne zu Recht und Freiheit. Er ist eine Gestalt des humanen Denkens«.
Daraus ergibt sich für Gauck, dass Freiheitsrechte für Linke grundsätzlich außer Kraft gesetzt werden dürfen, wie er einem Journalisten der Rheinischen Post im Juni 2010 ins Notizbuch diktierte: »Unser Verfassungsschutz (…) ist nicht eine Vereinigung von Leuten, die neben unserem Rechtsstaat existiert und Linke verfolgt. Wenn der Verfassungsschutz bestimmte Personen oder Gruppen innerhalb dieser Partei observiert, wird es dafür Gründe geben«. Zur Atomkraft vertritt Gauck eine antidemokratische Position, die sogar hinter die Haltung der Opportunistin Angela Merkel zurückfällt. So könne man den Atomausstieg »nicht von der Gefühlslage einer Nation abhängig machen«.
Wirtschaftskriege gehören dazu
Wirtschaftskriege gehören selbstredend zu diesem Verständnis von Freiheitsdiktatur, denn den Krieg gegen die afghanische Bevölkerung findet er »erträglich und gerechtfertigt« (Interview im Juni 2010 in der Saarbrücker Zeitung). Wer sich gegen die Machenschaften der Banker und Spekulanten in der Occupy-Bewegung engagiert, ist für Gauck nichts anderes als »unsäglich albern«. Und auch für die Gegner von Stuttgart 21 hat er nur Spott übrig, denn die seien »abscheulich« und Ausdruck einer Protestkultur, »die aufflammt, wenn es um den eigenen Vorgarten geht« (Süddeutsche Zeitung).
Deutschland wird hier als Paradies gezeichnet, in dem es keine Armut gibt und jeder ein biederer Kleinbürger mit Reihenhäuschen ist – was Gauck zufolge allein das Verdienst der Marktwirtschaft sei. Wirtschaftsdemokratie ist in den Augen des baldigen Bundespräsidenten daher ein Ausdruck von Unfreiheit, wie er im Handelsblatt zitiert wird: »Wer ausgerechnet der Wirtschaft die Freiheit nehmen will, wird mehr verlieren als gewinnen«.
Chance für DIE LINKE
Auch wenn – wie etwa im ZDF-Morgenmagazin geschehen – nun von mancher Seite behauptet wird, die Netzgemeinde verkürze Gauck-Zitate und reiße sie aus dem Zusammenhang, so zeigen die kursierenden Ausschnitte mehr als deutlich, wes Geistes Kind dieser Mann ist: Ein Lobbyist des Kapitalismus, der sich sein Leben lang im sicheren Kirchen- und Staatsdienst befand und eben kein »Mann aus dem Volk und Präsident aller Bürger«.
Für DIE LINKE kann dies allerdings eine große Chance bergen. Wenn sie das Aufstellen eines eigenen Kandidaten oder einer eigenen Kandidatin aus dem kapitalismuskritischen Lager mit einer Kampfansage an das System verbindet und damit zum Artikulationsorgan und Aktivitätsfeld für die stetig wachsende Zahl derer wird, die sich ihm entgegenstellen.
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