Hunderte Stadtwerke sind in Deutschland verkauft worden. Doch der Privatisierungswahn hat langsam ein Ende. Immer mehr Gemeinden wollen Strom, Gas und Wasser zurück in die öffentliche Hand holen. Von Janine Wissler
Zum Text: Der Artikel ist eine Veröffentlichung aus marx21, Heft 19, Februar/März 2011. Hier die aktuelle Ausgabe als Einzelheft bestellen (3,50 plus Porto) oder marx21 abonnieren bzw. das Jahresabo-Angebot nutzen. Wer marx21 bisher noch nie bestellt hat, kann ein kostenloses-Probeheft ordern (im Abo-Formular in der Drop-Down-Liste »Art des Abonnements wählen« die Option »Ich will eine Ausgabe von marx21 kostenlos testen« auswählen)
{multithumb default} Mal geht es um die Straßenreinigung, mal um die Abfallwirtschaft oder um die Stadtwerke. Während in einigen Kommunen munter weiter auf »Privatisierung« gesetzt wird, holen sich andere Städte und Gemeinden längst zurück, was sie einst teilweise lautstark ausgegliedert haben. Besonders stark ist dieser Trend zur Rekommunalisierung im Bereich der Energieversorgung.
Es gibt zahlreiche Beispiele von Kommunen, die ihre Energieversorgung mittlerweile wieder selbst organisieren. Hamburg hatte sein Stadtwerk im Jahr 2002 an Vattenfall verkauft, jetzt steigt die Hansestadt mit der neu gegründeten »Hamburg Energie« wieder in die Energieversorgung ein. In Baden-Württemberg gründeten sieben Gemeinden den Stromversorger Bodensee Regionalwerk. In Leipzig verhinderten Bürger die Privatisierung des Stadtwerks durch eine Volksabstimmung. Dortmund und Bochum haben bereits 2003 ihren Versorger von Eon gekauft und rekommunalisiert. Vielerorts laufen die Konzessionsverträge gegenwärtig aus oder sind bereits ausgelaufen. Dementsprechend bietet sich für weitere Kommunen die Möglichkeit, ihre Energieversorgung wieder in die eigene Hand zu nehmen.
Auslöser für diese Entwicklung sind oftmals bittere Erfahrungen mit privaten Betreibern. Nach der Liberalisierung des Energiemarkts im Jahr 1998 wurden hunderte Stadtwerke in Deutschland privatisiert. Meist wurden sie an einen der »großen vier« (RWE, Eon, EnBW und Vattenfall) oder an eine ihrer Tochtergesellschaften verkauft.
Privat ist besser, billiger und effizienter – dieses Credo setzte sich in den neunziger Jahren überall durch. Das ging nicht nur auf die neoliberale Ideologie zurück, wonach der Staat kein Unternehmen führen sollte, sondern hatte auch finanzielle Gründe. In Zeiten klammer öffentlicher Kassen hofften viele Kommunen, durch den Verkauf des Tafelsilbers an Geld zu kommen. Und das, obwohl Strom, Gas und Wasser zu den gewinnbringenden Bereichen der kommunalen Wirtschaft gehörten. Mit den Gewinnen waren klassische Verlustgeschäfte wie öffentlicher Nahverkehr oder Schwimmbäder subventioniert worden. Auch die EU hatte am Trend zur Privatisierung maßgeblichen Anteil.
Inzwischen haben viele Gemeinden die Erfahrung gemacht, dass sie sich mit dem Verkauf oder der Verpachtung ihrer Infrastruktur keinen Gefallen getan haben, und sie versuchen, ihren verloren gegangenen Einfluss auf die Energieversorgung zurückzugewinnen. Denn die privaten Anbieter haben vielerorts Preise erhöht, Arbeitsplätze abgebaut, Investitionen – vor allem in die Infrastruktur – vernachlässigt und den Service verschlechtert.
Zudem fehlen den Kommunen Einnahmen, weil profitable Bereiche verkauft wurden, während die anderen in der öffentlichen Hand blieben. Den Gemeinden ging durch die Privatisierungen aber nicht nur bares Geld flöten, sondern sie verloren auch politische Gestaltungsmöglichkeiten. Private Anbieter fühlen sich ihnen oft nur soweit verpflichtet, wie es vertraglich vorgegeben war. Durch die Privatisierung wurden wichtige Bereiche staatlichen Handelns und Wirtschaftens der demokratischen Kontrolle entzogen und privatwirtschaftlichen Interessen unterworfen. Das beschneidet den Spielraum für politische Gestaltung, denn der Vorstandsvorsitzende eines Energiekonzerns wird nicht von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt. Er ist seinen Aktionären verpflichtet, nicht dem Gemeinwohl. Warum sollen die Menschen noch ein Stadtparlament wählen, wenn dort über das kommunale Krankenhaus, die Müllabfuhr und das Stadtwerk gar nicht mehr entschieden werden kann? Die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge stellt dementsprechend auch einen Abbau von Demokratie dar.
Umfragen zeigen, dass Verbraucher eine grundsätzlich positive Haltung gegenüber den kommunalen Unternehmen haben. Der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) stellt eine »Rückbesinnung auf die Kraft und Notwendigkeit der Kommunalwirtschaft« fest. Der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young zufolge plante im Jahr 2007 jede zehnte Gemeinde, privatisierte Betriebe wieder einzugliedern. Klar ist: Stadtwerke in kommunaler Hand bergen eine Reihe von Vorteilen für die jeweilige Kommune.
Ein Stadtwerk sichert Arbeits- und Ausbildungsplätze und sorgt dafür, dass die Wertschöpfung in der Region bleibt. Durch Querverbünde können defizitäre Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wie das Schwimmbad oder der öffentliche Personennahverkehr finanziert werden. Stadtwerke müssen im Unterschied zu Privatunternehmen keine hohen Gewinne erwirtschaften, um ihre Aktionäre zu bedienen. Die Gebühren müssen lediglich die Kosten decken, darum können sie günstiger sein. Auch die Preisgestaltung könnte sich durch eine Rekommunalisierung verbessern. Heute zahlen Großkunden deutlich weniger für die Kilowattstunde als Privathaushalte – je geringer der Verbrauch, desto höher der Preis pro Einheit, das ist eine verdeckte Subventionierung der großen Verbraucher durch kleine Haushalte. Eine sinnvolle Preisgestaltung wäre hingegen die Entlastung von Privathaushalten und die Einführung von Sozialtarifen. Mit einem kommunalen Stadtwerk sind Entscheidungen in der Hand demokratisch gewählter Gemeindevertreter und nicht in fernen Konzernzentralen, die aus ihren Engagements nur möglichst viel Geld ziehen wollen. Die Gemeinde Gründau in Hessen hat beispielsweise ihre Entscheidung für einen kommunalen Betreiber genau damit begründet, dass so »das Vermögen des Landkreises und das der Bürger gesichert« und kommunaler Einfluss auf die Elektrizitätsversorgung gewahrt werde.
Bei dem dringend notwendigen Umstieg auf erneuerbare Energien kann den Stadtwerken eine Schlüsselrolle zukommen. Zum einen kann die lokale Politik Einfluss auf die Energieversorgung und die Art der Energieträger nehmen und darauf achten, dass umweltfreundlicher Strom erzeugt wird. Für die Energieerzeugung eines Stadtwerks sind dezentrale und erneuerbare Energiequellen optimal – in ländlichen Gebieten etwa durch Kraftwärmekopplung und Biomasseverwertung.
Die großen Energiekonzerne halten an fossilen Energieträgern und Großkraftwerken fest, weil sie in der dezentralen Energiegewinnung ihre Machtstellung gefährdet sehen. Wind und Sonne sind nicht privatisierbar und daher für jeden zugänglich. Mit einer eigenständigen dezentralen Energieerzeugung aus Erneuerbaren machen sich die Städte und Gemeinden unabhängiger von den »großen vier« und schwächen damit auch deren Stellung auf dem Energiemarkt.
Aber es ist nicht ohne Weiteres möglich, sich bei der Gas- und Stromversorgung von den Monopolen unabhängig zu machen. Die Gründung von Stadtwerken erfordert meist große Einstiegsinvestitionen. Angesichts der Finanznot der kommunalen Haushalte stellt das für viele Städte und Gemeinden ein großes Problem dar. Zudem ist durch die Privatisierung ein enormer Wissensverlust entstanden, die Strukturen auf dem Energiemarkt haben sich grundlegend gewandelt, und so benötigen viele Gemeinden private Expertise bei der Gründung eines kommunalen Energieversorgers.
Dennoch sind zahlreiche Gemeinden in die Auseinandersetzung mit den großen Versorgern gegangen. Sie haben viel Positives über den Erfolg der Rekommunalisierung ihrer Versorgung zu berichten. Die Eigentumsverhältnisse zu ändern, kann aber nur ein erster Schritt sein, auch die Geschäftspolitik muss sich ändern. Ob sich die Stadtwerke für regenerative Energien und die umweltfreundliche Erzeugung in der Region einsetzen, ob sie Möglichkeiten für eine soziale Preisgestaltung ergreifen und gute Arbeit schaffen, ist in der Regel vom Management abhängig. Hier gibt es vorbildliche Stadtwerke, und andere, die auf Atom- und Kohlestrom setzen. In den letzten Jahren hat in der kommunalen Wirtschaft eine zunehmende Ökonomisierung und Ausrichtung auf rein betriebswirtschaftlichen Ziele stattgefunden. Viele kommunale Unternehmen agieren wie private. Hans-Joachim Reck, Hauptgeschäftsführer des VKU, weist auf die veränderten Bedingungen für Stadtwerke hin und darauf, dass diese heute viel mehr im Wettbewerb stehen. In einem feindlichen Marktumfeld, in dem die großen Energiekonzerne die Regeln setzen, sind auch die Möglichkeiten von rekommunalisierten Unternehmen begrenzt.
Dennoch sind die Kommunen die einzigen ernsthaften Konkurrenten und Alternativen zu den Monopolisten, die weiter auf Atom und fossile Brennstoffe setzen. Deshalb entzieht jedes einzelne kommunale Stadtwerk den »großen vier« ein kleines Stück ihrer Marktmacht.
Damit ist jede Rekommunalisierung ein richtiger Schritt in Richtung einer öffentlichen Daseinsvorsorge, die die Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Zur Autorin:
Janine Wissler ist Fraktionsvorsitzende und energiepolitische Sprecherin der LINKEN im hessischen Landtag.
Ein Kommentar von Janine Wissler
Die LINKE muss mehr fordern als ein einfaches Zurück zu den kommunalen Betrieben. Hätten die kommunalen Betriebe in der Vergangenheit ausschließlich im Interesse der Menschen gewirtschaftet und wären sie als »öffentlicher« Besitz wahrgenommen worden, wäre es sehr viel schwieriger gewesen, sie zu verkaufen. Doch nicht überall hat die Bevölkerung Privatisierungsmaßnahmen abgelehnt.
Die Privatisierungswelle war auch deshalb möglich, weil öffentliche Unternehmen häufig als Versorgungsunternehmen für politisches Personal wahrgenommen wurden. Vetternwirtschaft, Korruption und Filz gehörten leider vielerorts zur kommunalen Wirtschaft. Zudem gab es keinerlei demokratische Beteiligungsmöglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger. In manchen Fällen ist es auch eine Strategie zum Verkauf öffentlichen Eigentums gewesen, das Angebot öffentlicher Güter so weit zu verschlechtern, dass deren Privatisierung als Verbesserung empfunden wird, selbst wenn sie mit Preissteigerungen einhergeht.
Eine Sozialisierung oder Kommunalisierung von privatem oder privatisiertem Eigentum kann ein Zugewinn an Demokratie sein, wenn Eigentumsformen gefunden werden, die Partizipationsmöglichkeiten für Beschäftigte, Verbraucher und Einwohner bieten. Es ist letztendlich eine politische Entscheidung, ob Strom und Gas reine Waren oder Gemeingüter sind.