Ein Dresdener Gericht hat einen Berliner Antifaschisten zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Solidarität war das Geheimnis des Erfolgs von Dresden Nazifrei 2011 und ist auch jetzt gefragt, meint Azad Tarhan
Im Februar 2011 gelang es tausenden Antifaschistinnen und Antifaschisten zum zweiten Mal hintereinander, den damals größten Naziaufmarsch in Europa zu blockieren. Das transparente Blockadekonzept des Bündnisses Dresden Nazifrei sorgte erstmals für eine Massenbeteiligung an den Protesten, von der radikalen Linken bis weit hinein in bürgerliche Kreise. Tausende begingen damals einen kalkulierten Regelübertritt, um die Nazis nicht mehr über die Straßen Dresdens marschieren zu lassen.
Die Folgen für die Nazi-Szene waren verheerend: Nachdem die antifaschistische Bewegung ihnen den öffentlichen Raum für ihre Schreckensinszenierung erfolgreich streitig gemacht hatte, adaptierte sie das Blockade-Konzept in vielen weiteren Städten. Immer mehr Menschen akzeptierten zivilen Ungehorsam als legitimen Protest gegen Nazis. Ergebnis waren dutzende Frustrationserlebnisse für Alt- und Jungnazis, die nun ihre Fackelmärsche und Demonstrationen kaum noch nutzen können, um selbstbewusst auf der Straße aufzutreten und Nachwuchs zu rekrutieren.
Ein politisches Urteil
Es war dieser politische Erfolg gegen Nazis und gegen die Kriminalisierung des Bündnisses Dresden Nazifrei, der nun zu einer politischen Verurteilung eines Antifaschisten führte. Am 16. Januar verurteilte ein Dresdener Richter einen Berliner Antifaschisten zu einem Jahr und 10 Monaten Gefängnis ohne Bewährung. Er soll am 19. Februar 2011 durch ein Megafon die Protestierenden aufgewiegelt und mit den Worten »nach vorne« zum Durchbrechen einer Polizeisperre aufgefordert haben. In Folge des Durchbruchs sollen Polizeibeamte verletzt worden sein.
Ganz abgesehen davon, dass die Beweisführung in dem Verfahren eine einzige Farce war, ist das politische Kalkül der sächsischen Justiz und Behörden mehr als durchsichtig: Kurz vor dem Jahrestag der Dresdner Blockade und den auch in diesem Februar anstehenden Anti-Nazi-Protesten soll ein deutliches Zeichen der Repression gesetzt werden. Möglichst viele Protestierende sollen verängstigt und von Aktionen des zivilen Ungehorsams abgehalten werden.
Unterdrückung von Antifaschismus
Das völlig überzogene Urteil des Dresdner Amtsgerichts reiht sich ein in eine Kette von repressiven und politisch motivierten Verurteilungen und brutalen Polizeiaktionen gegen antifaschistisches Engagement. Beispiele hierfür finden sich – wen wundert es noch – natürlich auch im sächsischen Freistaat: Am Tag der Blockade wurden sämtliche Mobiltelefone von Menschen in Dresden unrechtmäßig und pauschal überwacht, alle Datenschutzrichtlinien wurden über Bord geworfen.
Auch bei den Anti-Nazi-Protesten in Magdeburg am vergangenen Wochenende ging die Polizei überaus brutal gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten vor. Ähnlich agierte der Staat auch bei Anti-Nazi-Protesten in Nordrhein-Westfalen, den Aktionen zivilen Ungehorsams bei Blockupy Frankfurt, den Protesten gegen Atommülltransporte und dem Widerstand gegen Stuttgart21. Als befänden sie sich in einem rechtsfreien Raum verursachen Polizisten bei Protestaktionen, die das legitime Recht des zivilen Ungehorsams für sich in Anspruch nehmen, blaue Augen, brechen Schädel und Knochen oder schießen mit dem Wasserwerfer Augen aus.
All dies geschieht mit voller Rückendeckung der Justiz. Die Verurteilungen von Polizisten tendieren in Deutschland gen Null, wie ein Bericht von Amnesty International belegt. Und das in Zeiten, in denen eine kleine Nazi-Gruppe mit tatkräftiger Unterstützung und aktivem Wegschauen des Verfassungsschutzes jahrelang mordend durch Deutschland ziehen konnte.
DIE LINKE für zivilen Ungehorsam
Die Notwendigkeit, zivilen Ungehorsam gegen ein System zu üben, das die Menschen weiterhin klein halten will, sie in unwürdig bezahlte Arbeitsmaßnahmen steckt, Hungerlöhne zahlt, Bildungsmöglichkeiten nur für Eliten ausbaut, Antifaschismus kriminalisiert und lieber Banken als soziale Sicherungssysteme rettet, wird in Zukunft eher steigen als sinken. Dieses Jahr stehen am letzten Maiwochenende wieder Proteste des Blockupy-Frankfurt-Bündnisses an. Tausende werden hier abermals mit Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen die ungerecht verteilten Eigentumsverhältnisse protestieren. DIE LINKE mobilisiert mit zu diesen Protesten, die bereits im letzten Jahr ein großer Erfolg für die antikapitalistische Bewegung waren.
Wie bei allen solchen Aktionen wird es wichtig sein, sich nicht an der Gewaltfrage spalten zu lassen. Die vom Amtsgericht Dresden ausgesprochene Strafe hat zum Ziel, einen Keil zwischen angeblich gute und böse Protestierende zu treiben: Auf der einen stehen Politiker in Lichterketten, auf der anderen blockieren radikale Antifaschistinnen und Antifaschisten. Der Zusammenhalt dieser Gruppen war bisher jedoch immer die stärkste Waffe gegen Repression. Es ist an der Zeit, dass sich bekannte Gewerkschaftsfunktionäre, Prominente aus Politik, Kunst und Kultur abermals eindeutig und lautstark gegen die Kriminalisierung von zivilem Ungehorsam stellen. Egal ob bei Anti-Nazi-, Anti-Atom- oder Banken-Protesten.
Der Künstler und Liedermacher Konstantin Wecker hatte sich bereits mit den vergangenen Mobilisierungen nach Dresden aktiv solidarisiert und ist auch nun wieder Vorreiter. Auf seiner Webseite ist nachzulesen: »Dieses Urteil ist eine unfaßbare Sauerei […] Ich war da und habe laut und deutlich gerufen: »nicht abdrängen lassen«, »Kommt nach vorne«. Ich zeige mich hiermit selbst an.«
Gemeinsam kämpfen
Als Bewegung müssen wir in eine bundesweite Debatte einsteigen und Antworten auf die Frage finden, wie wir uns besser vor dem Zugriff politischer Polizei und Justiz schützen können, ohne in der Öffentlichkeit gesichtslos zu sein. Denn Gesicht zu zeigen, ist unsere Stärke: Wir haben das Recht, Nazis zu blockieren und zivilen Ungehorsam dort anzuwenden, wo Politik und Wirtschaft Hand in Hand soziale Sicherungssysteme abbauen und damit die Gesellschaft spalten. Massenproteste brauchen immer auch einzelne Gesichter, Menschen, die offen anklagen und damit Anschlussmöglichkeiten für andere bieten.
Und wir müssen offensiv für eine stärkere Vernetzung der teilweise vereinzelt kämpfenden Gruppen eintreten. Der Kampf gegen horrende Mietsteigerungen in gentrifizierten Stadtvierteln oder gar die Vertreibung von Mietern aus ihren Häusern für den Profit eines Immobilienhais stehen in Verbindung mit dem Kampf von Beschäftigten, die für einen besseren Lohn streiken. Der zivile Ungehorsam gegen die Macht der Banken ergänzt die Forderung einer stärkeren Besteuerung von Superreichen. Unser Ziel muss es sein, diese Kämpfe zusammenzuführen, statt sich gegeneinander ausspielen zu lassen.
Dieses auf dem Feld der Proteste gegen Nazis geschafft zu haben, war die Grundlage für den Erfolg für Dresden Nazifrei und infolgedessen auch für das Urteil. Insofern: Wenn der repressive Staat glaubt, das Megafon und nicht die Solidarität sei unsere stärkste Waffe, die es zu bekämpfen gilt, bin ich sehr zufrieden und gucke voller Tatendrang auf das Protestjahr 2013.
Mehr im Internet:
- Solidaritätskampagne auf Facebook: http://www.facebook.com/WirBlockierenWeiter
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