Beschäftigte und Schüler wehren sich mit Massenstreiks und Demonstrationen gegen »Rentenreform«. Dieser Aufstand kann den Sparangriff der Sarkozy-Regierung verhindern. Charlie Kimber berichtet für marx21 aus Paris
In Frankreich führen die Beschäftigten einen großartigen Abwehrkampf gegen die Angriffe auf ihre Renten. Sie kämpfen gegen den Versuch von Präsident Nicolas Sarkozy, ihre Rentenbeiträge zu erhöhen und die volle Rente erst ab 67 Jahren zu zahlen. Diese Maßnahmen stehen als Hauptsymbol dafür, dass die Reichen die Arbeiter für die Krise zahlen lassen wollen. Beschäftigte und Schüler wehren sich mit Massenstreiks und Demonstrationen. Überall im Land ist es zu Treibstoffmangel gekommen, weil die Arbeiterinnen und Arbeiter aller zwölf Ölraffinerien sich einem Streik angeschlossen haben. Rund 2.700 der 12.600 Tankstellen Frankreichs haben kein Benzin mehr.
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In Caen, Reichstett, Dunkerque und Saint-Pierre-des-Corps werden die Öllager blockiert. Lastwagenfahrer haben sich den Protesten angeschlossen und mit der »Operation Schnecke« begonnen, das heißt, sie fahren im Schneckentempo über die Fernverkehrsstraßen und behindern so den Verkehr. Fast 1.000 der 4.300 höheren Schulen sind in den Streik getreten, 600 werden blockiert. In verschiedenen Gegenden haben Schüler Straßen blockiert und sich gegen Polizeiangriffe zur Wehr gesetzt. Dieser Arbeiter- und Schüleraufstand kann den Sparangriff der Regierung verhindern, wenn er sein ganzes Potenzial entfalten kann. Die Proteste vom Dienstag und Mittwoch bildeten den vorläufigen Höhepunkt der vorangegangenen stürmischen Protesttage. Eine Woche zuvor beteiligten sich dreieinhalb Millionen Menschen an Demonstrationen und Streiks. Am Mittwoch vergangener Woche begann ein Vollstreik bei der Bahn, in den Ölraffinerien und in einigen anderen Bereichen. Am nächsten Tag schlossen sich tausende Schüler und einige Universitätsstudenten dem Kampf an.
Unter dem Druck der Streiks und Proteste hat Sarkozy seine Polizei losgelassen. Er schickte Aufstandsbekämpfungstruppen, um die Straßen vor den Raffinerien zu räumen. Die Polizei setzte Gummigeschosse ein, die »weniger tödlich« sein sollen als echte Munition, wobei sie Schüler in Paris, Bordeaux und Lyon ernsthaft verletzte.
Das hat den Aufstand nicht stoppen können. Streikende Arbeiter stapelten Autoreifen vor der Raffinerie von Grandpuits im Osten von Paris auf, nachdem die Behörden diese per Verfügung wieder öffnen lassen wollten.
Andere Arbeiterinnen und Einwohner bildeten eine Menschenkette, um Raffineriearbeiter vor der Polizei zu schützen. Unterdessen setzen die Schüler ihren Kampf fort. Am Samstag demonstrierten Hunderttausende in Paris. Isabelle, eine Schülerin, erklärt warum sie auf der Straße ist: »Sarkozys Angriffe auf die Renten betreffen auch uns. Irgendwann bekommen wir vielleicht Rente, wenn wir nicht vorher gestorben sind! Aber wir sind auch hier, weil wir es hassen, was er mit den Angriffen auf die Roma angerichtet und weil er sagt, dass die Jugendlichen alle kriminell sind. Sieh dir uns an, wir sind vereint, wir hassen keine Menschen nur weil sie aus einem anderen Land kommen oder eine andere Religion haben. Die Zeitungen und einige Politiker behaupten, wir ließen uns benutzen, aber wir können selbst denken und sehen, was hier passiert. Ich fände es gut, wenn alle Schulen bestreikt würden und auch alle Arbeiter streikten.«
Yves, ein Bahnarbeiter, meint: »Ich streike ebenso wie viele meiner Kollegen. Aber das ist nicht einfach, wenn du keine breitere Unterstützung bekommst. Viele Arbeiter haben Angst, dass sie entlassen werden, wenn sie sich anschließen. Ich bin stolz auf meine Gewerkschaft, dass sie uns unterstützt. Aber wir brauchen überall eindeutige Aufrufe für Solidaritätsaktionen. Ich kämpfe nicht nur für mich, sondern auch für meine Tochter.« Jean, ein Lastwagenfahrer, erklärt: »Ich bin jetzt im Streik, weil wir die Regierung daran hindern wollen, Öl hier rauszuholen, um den Streik der Raffinerien zu brechen. Wir brauchen einen unbefristeten Generalstreik aller Arbeiter, damit wir gewinnen.« Sarkozy hat auch auf Drängen aller europäischen Bosse gesagt, er wolle standhaft bleiben. Um ihn zu schlagen, muss der Protest noch ausgeweitet werden.
Als im Mai die Proteste gegen die »Rentenreform« in Frankreich begannen, erwartete niemand, dass sie sich zu einem ernsthaften Aufstand ausweiten würden. Die meisten Gewerkschaftsführer wussten, dass sie auf einen solchen Großangriff reagieren mussten. Aber, so Patrice, ein Beschäftigter im Gesundheitswesen: »Ich hatte den Eindruck, dass sie das nur sehr halbherzig taten. Sie erwarteten, mit ein paar Showprotesten durchzukommen und das wäre es dann. Die Begeisterung und Entschlossenheit der Streikenden hat dann jeden überrascht. Und deshalb mussten sie zu ernsthafteren Aktionen aufrufen, um mitzuhalten.«
Virginia, eine Lehrerin ergänzt: »Die Proteste im Juni und am 7. September kamen völlig überraschend für uns. Plötzlich waren alle auf der Straße! Und das nur wenige Tage nach großen Protesten gegen Sarkozys Angriffe auf die Roma.« Aktivisten nutzten die Chance, die die Unterstützung der Gewerkschaftsführer für Aktionen bot, um den Kampf auf eine höhere Ebene zu heben. »Sie gaben uns die Gelegenheit und wir ergriffen sie«, sagt Patrice.
Die Gewerkschaftsführer wussten, dass sie den Widerstand verschärfen mussten, da das Rentengesetz die letzten parlamentarischen Instanzen durchlief. Deshalb billigten sie fortgesetzte Streiks in einigen Kernbereichen der Industrie. Damit es dazu kam und das Beispiel Schule machte, war jedoch vor allem die Initiative der Basisaktivisten erforderlich. Gael, Mitglied der Ölgewerkschaft im Dachverband CGT erzählt: »Wir waren bei dem Streik an vorderster Front und sind stolz, dabei zu sein. Wir wissen, dass alle auf uns gucken. Aber Öl- und Bahnstreikende und all die anderen müssen sehen können, dass sich die Bewegung ausweitet. Das ist es, was wir von den Gewerkschaftsführern erwarten, und sie waren sehr langsam. Ich hoffe, sie rufen diese Woche jeden in den Streik.«
Eine der beliebtesten Parolen auf der Demonstration am Samstag war der Ruf nach einem Generalstreik, der über einen Tag hinausgeht. Um das zu bekommen, wird großer Druck erforderlich sein. Bernard Thibault, der Generalsekretär der CGT, sagte zu der Forderung: »Das ist für mich eine ziemlich abstrakte Parole. Sie passt nicht zu der Praxis, wie wir unsere Kräfte stärken.«
Viele Arbeiterinnen und Arbeiter halten das für falsch. Sie müssen sich organisieren. Um Sarkozy zu schlagen, müssen die französischen Arbeiterinnen und Arbeiter ihren Streik unbefristet fortsetzen und ausweiten, auf einen alle Bereiche umfassenden Generalstreik drängen und Schüler, Studenten und Arbeiter vereinen.
Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning