Der Film »Die Unschuld der Muslime« hat zu einer Protestwelle in Ländern mit muslimischer Bevölkerung geführt. Westliche Medien stellen die Demonstranten als irrational, intolerant und religiös dar. Sie bedienen damit rassistische Klischees über Muslime und ignorieren, dass die Menschen in der Region allen Grund haben, wütend zu sein, meint Stefan Ziefle
Das Werk selbst ist ein rassistischer Propagandafilm. Der Islam, sein Begründer Mohammed und seine Entstehung, sowie die aktuellen Verhältnisse in Ägypten, werden bewusst falsch dargestellt, um die maximal mögliche Beleidigung für Muslime zu erzielen und gleichzeitig die dümmsten Vorurteile im Westen zu bedienen. Darin gibt es Übereinstimmung von Feuilleton bis Westerwelle.
Aber der Film ist lediglich der Anlass der Proteste. Genereller Hintergrund ist die Wut gegen den US-Imperialismus, nicht die Verletzung religiöser Gefühle. Es ist kein Zufall, dass die Proteste sich gegen staatliche, nicht gegen kulturelle Einrichtungen westlicher Länder richten.
Gründe für die Wut
Trotzdem gibt es eine Reihe spezifischer Umstände in den verschiedenen Ländern, die zu unterschiedlichen Ausprägungen der Proteste geführt haben. Den Angriff auf die US-Botschaft in Libyen scheint eine bewaffnete Gruppe bereits länger geplant zu haben. Er ist Teil eines Machtkampfes rivalisierender Gruppen und der Regierung.
In Tunesien hat die regierende Ennahda-Partei die Demonstranten verurteilt, die die US-Botschaft gestürmt haben. Ennahda war die größte islamische Oppositionsgruppe während der Diktatur Ben Alis und ist in der Folge der Revolution letztes Jahr ins Amt gewählt worden. Die salafistischen Gruppen, die zu der Aktion aufgerufen hatten, sind ihre Rivalen im Kampf um Stimmen und Unterstützung.
Aber die tunesische Regierung kann sich darüber freuen, dass die salafistischen Gruppen die Unzufriedenheit ihrer Anhänger auf die USA lenken, und nicht auf Fragen sozialer Gerechtigkeit und echter Demokratie – beides uneingelöste Wahlversprechen Ennahdas.
Weder soziale Gerechtigkeit noch Demokratie
Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi kritisierte die USA wegen der »Beleidigung des Islams«. Das ist für einen Präsidenten, der zwischen konterrevolutionärem Militärrat und den Hoffnungen der Massenbewegung auf soziale Gerechtigkeit und Demokratie zu lavieren versucht, einfacher, als zum Beispiel die Grenze zum Gazastreifen zu öffnen – und damit tatsächlich gegen die Interessen der US-Politik zu verstoßen.
Anstatt rassistische Stereotype über religiösen Fanatismus zu bedienen, hätten die Medien sich die Frage stellen können, warum sich gerade im Sudan die Wut auch gegen die deutsche Botschaft richtete. Viele Sudanesen sehen die deutsche Rolle in Darfur und bei der Teilung des Landes kritisch. Und auch im Sudan gab es in den vergangenen Monaten Proteste gegen die Regierung, die Präsident al-Bashir gerne auf das Ausland ablenken würde.
Kulturkampf angeheizt
Anstatt sich also mit den Ursachen zu auseinanderzusetzen, mystifizieren die Medien die Proteste zu religiös motivierten Erhebungen. Sie beschreiben die Beteiligten von oben herab als demokratie-ungeübt und unterstellen Irrationalität, als seien sie Halbwilde.
Ob bewusst oder nicht, damit spielen sie den Machern des Filmes in die Hände, deren einziges Ziel es war, den »Kampf der Kulturen« anzuheizen. Diese Absicht wurde offensichtlich, als die Macher des Videos eine Kurzversion mit arabischen Untertiteln gezielt in islamischen Ländern verbreiteten, nachdem der Film zuvor auf keine Resonanz gestoßen war.
Bild, Buschkowsky, Sarrazin
Rassismus gegen Muslime hat längst den Antisemitismus als wichtigste Sündenbockideologie abgelöst. Angesichts der Bankenkrise und der durch diese hervorgerufene Zuspitzung der sozialen Krise geben Leute wie Sarrazin und Buschkowsky, immer unterstützt durch die Bild-Zeitung, ihr Möglichstes, damit der Rassismus gesellschaftsfähig wird.
Auf dieser Welle der Islamophobie versuchen Nazis, in die »Mitte der Gesellschaft« auszugreifen. Wenn Liberale und gar Linke rassistische Filme und sogenannte »Karikaturen« im Namen der Meinungsfreiheit auch noch verteidigen, kapitulieren sie vor diesem Rassismus.
Rassismus gegen Muslime
Wo war der Aufschrei für die Meinungsfreiheit, als die Obama-Regierung kürzlich Youtube aufforderte, Videos zu entfernen, die als Aufruf zum Terror eingestuft wurden? Google, Eigentümer von Youtube, folgte ohne Proteste – und beharrt jetzt auf der »Meinungsfreiheit« für Rassisten.
Weil alle das Argument von der »Meinungsfreiheit« akzeptieren, kann sich Bild als ihr Vorreiter darstellen, wie in einem Kommentar am 16. September im Zusammenhang mit ihrer Buschkowsky-Serie: »Und nie darf es dazu kommen, dass die Straße diktiert, welche Wahrheiten wir aussprechen.«
Bild hetzt für die Reichen
Natürlich will Bild sich nicht von »der Straße«, also der Mehrheit der Bevölkerung, diktieren lassen, was sie schreibt. Schließlich stimmt immer noch, was Paul Sethe, Mitgründer der bürgerlich-konservativen Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 1965 meinte: »Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.«
Die Proteste gegen den Film sind Ausdruck der Unzufriedenheit der Menschen mit ihren Lebensbedingungen. Sie zu verurteilen, bedeutet, sich auf die Seite derer zu stellen, die in erster Linie für die Ursachen verantwortlich sind.
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