In ganz Europa laufen die größten Kürzungsprogramme seit Generationen an. Sozialer Abstieg und Angst vor sozialen Abstieg greifen in breiten Bevölkerungsschichten um sich. In dieser Situation gehen mehr Kräfte dazu über, diese Ängste gegen Minderheiten zu mobilisieren: Hauptsächlich gegen Muslime, aber nicht nur. Ein Kommentar von Volkhard Mosler
In Frankreich hat der konservative Ministerpräsident einen marginalen Zwischenfall zum Anlass genommen, um Ausweisung von Roma aus Frankreich zu starten. Zuvor waren seine Umfragewerte wegen der unbeliebten Rentenreform in den Keller gerutscht. Seine rassistische Kampagne hat jedoch bisher nur zur Stärkung der faschistischen Partei »Front National« geführt.
Auch in Schweden konnte eine rechte rassistische Partei von der allgemeinen antimuslimischen Medienkampagne profitieren. Bei den Reichstagwahlen erzielten die »Schwedendemokraten« mit 5,7 Prozent erstmals den Einzug in das schwedische Parlament. Ihr Wahlkampf richtete sich primär gegen Überfremdung durch Muslime. Der Islam sei »unschwedisch« und stelle »die größte ausländische Bedrohung für das Land seit dem zweiten Weltkrieg« dar. Den linken Parteien in Schweden ist es nicht gelungen, der Kampagne der »Schwedendemokraten« substanzielles entgegenzusetzen.
Tatsache ist: Auch in Deutschland bereitet die bürgerliche Mitte den Boden für offen rassistische und faschistische Parteien, indem sie gegen Muslime und auch gegen Roma ein Klima der Verdächtigung und Beschuldigung schafft, indem sie den Islam als besonders rückständige, undemokratische, frauenfeindliche Religion darstellen und immer wieder auch Roma in Verbindung mit Kriminalität nennen.
So konnte sich Sarkozy darauf berufen, dass nicht nur er die Roma vertreibe sondern die Regierung Merkel, die im April ein Abkommen mit der Republik Kosovo getroffen hat, in dem die »Rückführung« von 8500 Roma vereinbart wurde. Die Landesregierungen in NRW und Berlin sowie der Zentralrat der Roma und Sint wiesen darauf hin, dass es im Kosovo nach wie vor Gewalt und Verfolgung gegen ethnische Minderheiten gebe – von der katastrophalen sozialen Situation mit hoher Arbeitslosigkeit ganz zu schweigen. Der Grünenpolitiker Cohen Bendit meint zu Recht, dass die legalistische Argumentation der Bundesregierung geheuchelt sei. Merkel argumentiert, dass die Ausweisung der Roma in den Kosovo nach europäischem Recht legal sei, im Unterschied zur Abschiebepraxis Sarkozys, der EU-Bürger/innen mit Aufenthaltsrecht in Frankreich abschiebe.
Aber nicht nur die Konservativen bedienen sich der rassistischen Stimmungsmache oder geben ihr nach. Alice Schwarzer wird diese Woche mit dem Buch »Die große Verschleierung« auf den Markt gehen. Es richtet sich laut Autorin »gegen die schleichende Islamisierung der Gesellschaft«.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat nach der Ankündigung des Parteiausschlussverfahrens gegen Sarrazin einen Teil dessen Kampagne übernommen. Zwar verurteilt Gabriel die sozialdarwinistischen Thesen Sarrazins von der genetischen Bestimmung höherer oder niedrigerer Intelligenz von Ethnien oder Religionen. Aber er stimmt in den Chor der Medien und Meinungsmacher ein, die Sarrazin zugestehen, dass dieser »trotz alledem« eine wichtige Diskussion angeschoben habe: dass Muslime angeblich tendenziell integrationsunwillig seien. »Wer Integrationsangebote dauerhaft ablehne, habe in Deutschland nichts verloren«, droht Gabriel jetzt. Welt-online schreibt dazu: »Gabriel hat bei seinem Parteigenossen Sarrazin gelernt. Nun fordert auch er ein konsequentes Vorgehen gegen integrationsunwillige Migranten.« Gabriel setzt noch eins drauf. Er spricht von »Sicherheitsgefühl der Deutschen«. »vor dem man Respekt haben muss«.
Gabriel stellt wie Sarrazin die Tatsachen auf den Kopf. Die wachsende Ablehnung und Zurückweisung der Muslime, das diskriminierende Bildungssystem und die Verdächtigungskampagne gegen Muslime als Terroristen waren die wichtigsten Hindernisse für Integration. Hier die Opfer zu Täter zu machen ist die Masche Sarrazins und jetzt leider auch Gabriels.