US-Präsident Barack Obama will dem mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu Grundlagen für eine neue Friedensrunde im Nahen Osten legen. Die palästinensische Autorin Ghada Karmi bereiste kürzlich die von Israel besetzten Gebiete und berichtet über die Hintergründe und Perspektiven der neuen Friedenspläne.
Der im August 2009 in Bethlehem abgehaltene Parteitag der Fatah hat das Interesse für die palästinensische Sache etwas wiederbelebt. Denn der israelisch-palästinensische Konflikt ist so alt und dermaßen lösungsresistent, dass beinahe nichts mehr Nachrichtenwert besitzt. Sogar die Tragödie von Gaza, die in den Medien im Dezember und Januar ausführlich dargestellt wurde, ist von den Titelseiten verschwunden oder findet gar überhaupt keine Erwähnung mehr. Ich vernehme in dieser Frage einen greifbaren Überdruss bei Palästinensern wie auch bei Kommentatoren außerhalb. Die Hoffnung anlässlich des Osloer Abkommens im Jahr 1993, eine Lösung sei gefunden worden, ist schon längst verflogen. Die 1948 durch die Gründung des Staates Israel in Gang gesetzte Fragmentierung Palästinas geht ungebremst weiter. Und wenn sie nicht gestoppt wird, droht sie das palästinensische Nationalziel endgültig zu begraben. Das ist eine deprimierende Sichtweise, aber wenn man die augenblickliche Lage betrachtet, bleibt kein Raum für eine andere Schlussfolgerung. Daran wird auch der Fatah-Parteitag nichts ändern.
Fast von Anbeginn an dominierte die von Yasser Arafat angeführte Fatah die Palästinensische Befreiungsbewegung (PLO). Sie war militärisch und diplomatisch die bedeutendste palästinensische Fraktion. Aber nach dem Tod Arafats und dem Machtantritt seines Nachfolgers Mahmud Abbas ist die Fatah, die durch ihre Transformation in eine politische Partei ohnehin stark an Glaubwürdigkeit verloren hatte, als Widerstandsbewegung noch bedeutungsloser geworden. Im Jahr 2006 wurde sie dann von der neuen Hamas-Regierung aus dem Amt gedrängt, und der daraus resultierende Zustand der Verwirrung in den eigenen Reihen wurde noch durch den seitdem nicht aufhören wollenden Bruderzwist mit der Hamas weiter verschlimmert. Viele hatten gehofft, der Parteitag würde die Geschicke der Fatah zum Besseren wenden. Es war ein offenes Geheimnis, dass neben dem Konflik mit der Hamas ein ebenso schwerwiegender innerparteilicher Konflikt schwelgte. Neben der alten Führung von Abbas, Ahmad Qurei (Abu Ala), Nabil Shaath und anderen ist eine jüngere Generation von Fatah-Aktivisten innerhalb und außerhalb der besetzten Gebiete entstanden. Der Bekannteste unter ihnen ist Marwan Bargouti, der in einem israelischen Gefängnis mehrere lebenslange Haftstrafen wegen angeblicher Verbrechen gegen Israelis verbüßt. Es keimte die Hoffnung auf, dass der Parteitag die alte, seit Jahrzehnten eingefahrene Führung aufmischen und für jüngere Elemente den Weg in leitende Positionen ebnen würde.
Glaubwürdigkeitslücke
Trotz des Interesses, das der Parteitag international weckte, fehlte ihm in den Augen der Mehrheit der Palästinenser wirkliche Glaubwürdigkeit. Abbas hatte darauf bestanden, dass er innerhalb der besetzten Gebiete abgehalten wird – ein einmaliger Präzedenzfall für eine Befreiungsbewegung. Ferner wurde Abbas vorgeworfen, die Mehrheit seiner innerparteilichen Kontrahenten ausgeschlossen zu haben. Die Vertreter aus dem wichtigen Bezirk Gaza fehlten ganz, nachdem die Hamas ihnen eine Ausreiseerlaubnis verweigert hatte, solange 900 ihrer Leute in Gefängnissen der Westbank schmachteten. Abbas holte sich die formlose Zustimmung des Parteitags zu seiner Präsidentschaft. Nur in einem wichtigen Punkt musste Abbas, der friedliche Mittel und den gewaltfreien Widerstand vorzieht, sich mit einer Resolution abfinden, die das Recht der Palästinenser auf bewaffneten Widerstand bekräftigt.
Insgesamt wird eingeschätzt, dass Abbas seine Stellung stark ausbauen und sein bisheriges Image der Schwäche abstreifen konnte. Der Parteitag stattete ihn mit noch größerer Autorität aus und zu den beiden Führungsräten wurden mehrheitlich seine Anhänger gewählt. Das Zentralkomitee mit 14, zumeist unter den jüngeren Kadern der Fatah rekrutierten neuen Gesichtern, sorgte für eine kleine Überraschung. Zusammen mit den vier alten Hasen ist diese Zusammenstellung allerdings ganz im Sinne Abbas, denn die meisten treten für eine friedliche Linie Israel gegenüber. Insgesamt bedeutete der Parteitag eine überwältigende Bestätigung für Abbas' Diplomatie und Organisation.
Aber wo bleiben der „Friedensprozess" und die Chancen für eine Lösung? Unbeeindruckt von der ganzen Aufregung in Bethlehem schlossen mehrere palästinensische Analysten, dass der Parteitag ganz unabhängig von den Einzelmeinungen der daran Beteiligten in erster Linie ein Ziel verfolgte, nämlich der Abbas-Führung Legitimität zu verleihen und ihre Position im Vorfeld der nächsten Verhandlungen mit Israel zu stärken. Seine Bestätigung als Kopf der Fatah sollte Abbas zum anerkannten Sprecher des palästinensischen Volkes machen und ihn ermächtigen, in ihrem Namen Entscheidungen zu fällen. Hätten ordentliche Präsidentschaftswahlen und Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat (PLC) stattgefunden, wie es die Statuten als Konsequenz der faktisch erfolgten Amtsenthebung von Abbas und der PLC vorsehen, hätte Hamas womöglich den Sieg davongetragen. Denn auch wenn die Hamas in der Westbank in der Wählergunst an Boden verloren hat, ist sie für die Fatah und ihre Führung nach wie vor eine ernstzunehmende Rivalin.
Die gegenwärtige Führung um Abbas wird von Israel, den USA und Europa bevorzugt, es musste daher ein solcher Ausgang um jeden Preis vermieden werden. Das erklärt das Abhalten des Fatah-Parteitags unter israelischer Beobachtung, auch die ungewöhnliche Großzügigkeit, mit der Fatah-Aktivisten Einreisevisa erteilt wurden. Die israelische Tageszeitung Maariv beschwerte sich am 9. August sogar, dass Israel beschämenderweise die „größte terroristische Konferenz der Welt" in einem unter israelischer Kontrolle befindlichen Gebiet überhaupt zugelassen habe.
Obamas Plan
Diese Interpretation legt nahe, dass in den kommenden, von der Obama-Regierung orchestrierten Friedensverhandlungen von Abbas erwartet wird, dass er sich mit der ihm zugewiesenen Rolle begnügt. In den letzten sechs Monaten ist es klar geworden, dass die USA einen Plan zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts entwickelt haben, den sie bald verkünden werden. Obwohl sie ihn bisher ziemlich geheim halten, können wir die Konturen des wahrscheinlichen Deals bereits jetzt erkennen. Eine gefügige palästinensische Führung ist eine wesentliche Bedingung für dessen Erfolg. Der Kontext des vorgeschlagenen Abkommens ist eine Zweistaatenlösung, in der Israel mit einem palästinensischen Staat koexistieren würde.
Der Eifer, mit dem diese Idee aufgegriffen wird, ist schon bemerkenswert, da sie erst nach 1993 entwickelt und von Israel zu keinem Zeitpunkt wirklich akzeptiert wurde. Der derzeitige israelische Premierminister hat nur unter starkem amerikanischem Druck einer Formel zugestimmt, die die Idee eines palästinsischen Staats unterstützt. Er hat allerdings alles in seiner Macht Stehende unternommen, ihre Verwirklichung zu vereiteln. Obamas Plan sieht einen palästinensischen Staat auf den derzeit von Palästinensern bewohnten Gebieten vor, wobei die Israelis noch Land dazugeben müssten. Gaza sollte mit der Westbank durch einen Tunnel oder eine Brücke verbunden werden, und weitere Tunnelverbindungen sollten die durch israelische Siedlungen voneinander getrennten palästinensischen Gebiete ebenfalls miteinander verbinden. Eine gesonderte Lösung für Jerusalem sähe eine formale palästinensische Präsenz in dieser Stadt vor. Die genauen Grenzverläufe und wie viel Land den Palästinenser letztlich zugeschlagen werden soll, ist allerdings nicht bekannt. Es wird sogar gemunkelt, dass die Westbank auf die eine oder andere Art mit Jordanien eine Föderation bilden müsste, damit eine solche Lösung überhaupt praktikabel wird, während für ein autonomes Gaza Ägypten diese Rolle übernehmen würde. Das Rückkehrrecht der Palästinenser fiele einer solchen Lösung fast vollkommen zum Opfer.
Die Grundlage eines solchen Deals wäre quasi ein Ausgleich für Israel und für die Palästinenser: letztere bekämen ihren eigenen Staat, wenn auch nicht wie erhofft auf der gesamten Fläche der 1967 besetzten Gebiete, und Israel bekäme das Angebot einer vollkommenen Normalisierung seiner Beziehungen mit der arabischen Welt. Der US-Vorschlag, dass manche arabische Staaten „vertrauensbildenden Maßnahmen" wie Überflugrechte für israelische Flugzeuge oder die Normalisierung des kulturellen Austauschs sogar im Vorfeld eines Friedensabkommens zustimmen könnten, ist ein deutlicher Hinweis. Das US-Kalkül lautet, dass sich Israel als Gegenleistung für seine Einwilligung mit nichts weniger zufrieden geben würde. Mit anderen Worten ist die Belohnung für die Palästinenser ein eigener Staat, mag dieser noch so klein sein, und für Israel die ganze arabische Welt. Für diesen Plan wurde Abbas, so schätzen es manche, penibelst ausgerichtet.
Fundamentale Sollbruchstelle
Man muss kein Genie sein um zu sehen, dass ein solcher oder ähnlicher Plan keinen Frieden bringen wird. Fürwahr, kein Plan, der eine Teilung des winzigen Gebiets von Mandatspalästina vorsieht, kann gelingen. Weder das Land noch die natürlichen Ressourcen sind teilbar, wenn deren Gebrauch auch nur halbwegs gerecht verteilt werden soll. Die Nichtanerkennung des Rückkehrrechts der Vertriebenen in ihr Heimatland ist ebenfalls ungerecht und wird von den Palästinensern letztlich nicht akzeptiert werden. Außerdem ist die Zustimmung Jordaniens und Ägyptens keineswegs ausgemacht.
Aber auch wenn diese Mutmaßungen über Obamas Vorhaben nicht zutreffen und das Angebot an die Palästinenser großzügiger ausfallen oder aber letztlich eine gänzlich andere Lösung anvisiert werden sollte, bleibt die fundamentale Sollbruchstelle bestehen, nämlich die Zweitstaatenlösung. Solange die Politiker an ihr als einzige Lösung festhalten, wird der Konflikt fortdauern. Die Wirklichkeit vor Ort hat nämlich eine Zweitstaatenlösung schon längst ad acta gelegt – sollte sie jemals überhaupt erstrebenswert gewesen sein. Die schieren Ausmaße der israelischen Kolonisierung der Westbank und Jerusalems schließen eine Rückkehr zu den Grenzen von 1967 aus. Bei den so genannten Siedlungen in der Westbank handelt es sich in Wirklichkeit um mittelgroße Städte. Es ist unvorstellbar, dass diese zerstört oder abmontiert werden – von der entschlossenen Abwehr ihrer jüdischen Bewohner gegen eine drohende Evakuierung ganz zu schweigen.
Sollten die Siedlungen bestehen bleiben, ließe die gesamte von ihnen beanspruchte Fläche mitsamt ihren Umgehungsstraßen und „Sperrzonen" den Palästinensern lediglich isolierte Inseln in der Westbank übrig. Diese wären ohne Verbindung mit Jordanien kaum überlebensfähig. Das wiederum ist ein Vorhaben, das auf breite Ablehnung stößt. Die politische Abtrennung Gazas ist ein weiteres Hindernis. Auch die Flüchtlingsfrage bliebe ungelöst, nachdem die verschiedenen Vorschläge des Westens, nämlich ihre Einbürgerung in den arabischen Staaten, in denen viele seit ihrer Flucht leben, Entschädigungszahlungen oder Auswanderung weder von den Flüchtlingen noch von ihren Gastländern akzeptiert werden.
Die einzige wirkliche Lösung bietet ein vereintes Land ohne physikalische Trennwände, in dem der Boden und die Ressourcen gemeinsam benutzt würden. Dieser Einheitsstaat wäre in der Lage, die palästinensischen Rückkehrer aufzunehmen und seine politischen Zerwürfnisse im Rahmen einer einheitlichen und demokratischen Regierung zu beseitigen, die all ihre Bürger ohne Bezug auf Rasse, Ethnie oder nationale Herkunft gleich behandeln würde. Aber wären die Menschen damit einverstanden? Während eines Besuchs in den besetzten Gebieten Ende Juni sprach ich mit einer Reihe Palästinenser, auch Prominenten, über die Einstaatenlösung. Es war keine formelle Umfrage, lediglich ein allgemeiner Eindruck. Es überrascht vielleicht nicht, wenn die allgemeine Haltung von Apathie und Zynismus geprägt war. Nur wenige glaubten, Abbas würde für sie irgend etwas Positives herausholen. Und in Anbetracht Israels enormer Macht sahen noch weniger in der Einstaatenlösung etwas anderes als einen Wunschtraum. Ich sah Menschen, die nach Jahrzehnten der Besatzung und der Unterdrückung einfach erschöpft waren. Es ist nicht ihre Aufgabe, sondern unsere, die in der Ferne den Luxus genießen, uns zurückzulehnen und die Lage in aller Ruhe zu betrachten, den Kampf für die Befreiung ganz Palästinas aufzunehmen.
Zum Text:
Veröffentlichung auf marx21.de mit freundlicher Genehmigung von Socialist Review . Dort ist er zuerst auf Englisch erschienen. Übersetzung von David Paenson. Orginalartikel: Dead-end solution in Palestine.