Marc-Uwe Kling wohnt mit einem Känguru zusammen. Das ist Kommunist und Nirvana-Fan. Das zweite Hörbuch über den Alltag der beiden ist nun erschienen. Von Marcel Bois
»Ein Känguru geht um in Europa.« Es sind die ersten Worte des »Känguru-Manifests«, die keinerlei Zweifel daran aufkommen lassen, woher der Titel des Hörbuchs stammt: Marx und Engels. Kommunistisches Manifest. Woher sonst? Schließlich ist das Känguru ja auch Kommunist.
Wie im Vorgängerbuch, den »Känguru-Chroniken«, geht es um eine ungleiche Wohngemeinschaft in einem gentrifizierten Viertel in Berlin. Auf der einen Seite der Liedermacher, Kabarettist und Autor Marc-Uwe Kling, auf der anderen Seite das Beuteltier: ehemaliger Vietcong, Schnapspralinen-Liebhaber und Nirvana-Fan.
Pinguin mit geregeltem Beruf
Das Känguru macht die meiste Zeit das, was es am besten kann: in der Hängematte liegen, Not-to-do-Listen schreiben und Ich-Erzähler Marc-Uwe die Miete zahlen lassen. Als seinen ultimativen Gegenpart hat es den neuen Nachbarn ausgemacht, den Pinguin. Der steht für all das, was das Känguru hasst: Er hört Scooter, fährt Sportwagen und geht einem geregelten Beruf nach.
Überhaupt geht es im »Känguru-Manifest« zum großen Teil um eine Kritik an der Leistungsgesellschaft. In Klings Geschichten gibt es ein Ministerium für Produktivität, das die Menschen in »produktiv« und »unproduktiv« einteilt. In den Straßen und Bahnhöfen hängen Plakate mit Slogans wie »Ich arbeite gern – für meinen Konzern« oder »Ich schwimme bis nach Birma – für meine Firma«.
Sarrazin im Visier
Gegen solche Zustände lehnen sich die beiden Protagonisten auf. Sie gründen ein geheimes Netzwerk, das Anti-Terror-Anschläge verübt. Mit dabei: ihre türkischen Freunde Friedrich-Wilhelm und Otto Von. Marc-Uwe stutzt, als er deren Vornamen zum ersten Mal hört. »Unsere Eltern haben es ein bisschen übertrieben mit dem Integrationswillen«, erklärt Friedrich-Wilhelm.
Nicht nur hier gelingt es Kling auf charmante Art, gesellschaftlichen Rassismus à la Sarrazin durch den Kakao zu ziehen. So erzählt er von dem Banker Jörn Dwigs. Der hat eine neue rechtspopulistische Partei mit dem Namen »Sicherheit und Verantwortung« gegründet und hetzt gegen Ausländer. Als Dwigs eine öffentliche Kundgebung veranstaltet, führt das Känguru die Gegendemonstration an. Mit dem Megafon in der Hand korrigiert es sprachliche Fehler der Rechtspopulisten und skandiert: »Haider heißt jetzt Dwigs, sonst ändert sich nix!«
Wortwitz und Szenekenntnis
Die Geschichten des ungleichen Duos leben von Wortwitz, Situationskomik und subtilem Humor. Zudem merkt man, dass sich Kling in der linken Szene auskennt. So gibt es den einen oder anderen Seitenhieb auf die Ansichten mancher Dogmatiker. Zugleich wirft Kling aber auch einen sehr selbstironischen Blick auf sein eigenes Künstlerdasein – etwa wenn er von den Verhandlungen mit seinem Agenten über das nächste Buchprojekt berichtet oder wenn er das Känguru immer wieder betonen lässt, dass er, Marc-Uwe, doch nur ein »Kleinkünstler« sei.
Die Figuren in Klings Geschichten sind zwar fiktiv, keineswegs aber die Verhältnisse, in denen sie leben. »Politikername plus Schimpfwort – so, denke ich immer, funktioniert Kabarett«, sagte Kling einmal gegenüber Spiegel Online. »Aber das trifft die Probleme ja nicht. Die Probleme sind nicht einzelne Personen, sondern vielmehr die Strukturen, in denen diese wirken.« Bei wem seine Sympathien liegen, benennt der Autor klar: »Um es ganz grob zu definieren: Meine Pointen sollen die treffen, die Herrschaft ausüben, und nicht auf Kosten derer gehen, die unterdrückt werden«.
Große Vorlesekunst
Allein schon wegen dieses politischen Anspruchs, der Kling von großen Teilen der Kabarett- und Comedyszene unterscheidet, lohnt es sich, das »Känguru-Manifest« anzuhören. Vor allem aber ist es unglaublich unterhaltsam und witzig. In nicht geringem Maße tragen hierzu die Vorlesekünste des zweifachen deutschen Poetry-Slam-Meisters bei. Die Live-Atmosphäre dazu tut ein Übriges – bei den vier CDs handelt es sich um Mitschnitte verschiedener Lesungen im Berliner Mehringhoftheater.
»Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen das Känguru verbündet«, heißt es im eingangs zitierten Vorwort des Hörbuchs weiter, »der Papst und der Pinguin, Jörg und Jörn Dwigs, die Ausländerbehörde, das Ministerium für Produktivität und deutsche Polizisten. (…) Das Känguru wird bereits von allen europäischen Mächten als eine Macht anerkannt. Es ist hohe Zeit, dass das Känguru seine Anschauungsweise, seine Zwecke, seine Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegt und dem Märchen vom Asozialismus ein Manifest des Kängurus entgegenstellt.«
Das hat es mit vorliegender CD getan. Niemand sollte es sich entgehen lassen.
Angaben zur CD:
- Marc-Uwe Kling: Das Känguru-Manifest, Hörbuch Hamburg 2011
Live:
- 21.-25. August: Das Känguru-Manifest 3D, Mehringhof-Theater, Berlin, 20 Uhr