Die weltweite Finanzkrise findet ihren Niederschlag auch in Kunst und Unterhaltung. So läuft in den Kinos derzeit David Cronenbergs Film »Cosmopolis«, der einen kritischen Blick auf die neue Finanzwelt werfen möchte. Der Film hält sich eng an einen Roman, den der US-Schriftsteller Don DeLillo 2003 veröffentlichte. Das Buch ist vier Jahre vor Beginn der jüngsten Weltfinanzkrise geschrieben worden und gilt inzwischen als prophetisch. Thomas Walter stellt Film und Roman vor.
Um es gleich vorwegzunehmen, als ich den Film in London anschaute, hielten nicht alle Zuschauer durch. Einige gähnten laut, andere verließen vorzeitig das Kino. Ein Problem des Filmes sind die langen Zwiegespräche, die die Hauptperson, ein schwerreicher Finanzinvestor, mit verschiedenen Leuten hat. Dass viele dieser Gespräche in einer Stretchlimousine auch noch bei laufendem Geschlechtsverkehr geführt werden, scheint nicht alle im Publikum hinreichend gefesselt zu haben.
Der Finanzmilliardär Eric Packer wird als junger, intelligenter, gebildeter, genialer Finanzjongleur geschildert, der aber gerade in einer persönlichen Krise steckt. Es ist eigentlich ein altes Motiv, das schon in Märchen erscheint. Auf der einen Seite die Reichen, Schönen und Mächtigen, die sich furchtbar langweilen und im tiefsten Inneren todunglücklich sind; auf der anderen Seite das Volk, das bei allen Belastungen wenigstens etwas zu tun hat. Der Friseur schneidet Haare, der Taxifahrer fährt Taxi, der nach New York geflüchtete afrikanische Freiheitskämpfer kann wenigstens auf eine Vergangenheit als Freiheitskämpfer zurück blicken.
Aus seiner Sinnkrise heraus beschließt Packer, sich in seiner Stretchlimousine mit Fahrer und Sicherheitspersonal quer durch Manhatten kutschieren zu lassen, um sich von seinem Friseur, den er seit seiner Kindheit kennt, die Haare schneiden zu lassen. Doch am selben Tag besucht auch der US-Präsident die Stadt New York. Ein anarchistischer Aufstand legt deshalb die Stadt lahm. Es wird auch noch ein Rap-Star, dessen Fan auch Packer war, mit großem Trauerzug beerdigt. Die Stretchlimousine kann sich nur auf Umwegen und ständig im Stau im Schneckentempo bewegen. Packers Sicherheitsoffizier Torval rät vergebens zu einem anderen Friseur. Packer will unbedingt zu seinem Friseur und alles, was er braucht, ist sowieso Teil der Innenausstattung der Stretchlimousine. Dort verkehrt er auch mit seinen verschiedenen Geliebten. Seine frisch angetraute Ehefrau aus sehr reichem Hause besucht ihn auch. Sein Leibarzt tastet ihm die Prostata ab, während er von seiner Finanzberaterin, die gerade vorbeijoggt, die neuesten Finanzinformationen entgegen nimmt.
Am Schluss ist Packer endlich bei seinem Friseur, den er aber schon nach halbem Haarschnitt verlässt. Er trifft jetzt auf einen ehemaligen Mitarbeiter, der sich als Benno Levin vorstellt, aber eigentlich Richard Sheets heißt. Er war ursprünglich Lehrer, wollte dann aber als Währungsspezialist bei Packers Firma reich werden. Inzwischen fühlt er sich von Packer um sein Leben betrogen und lebt als Penner in einer Abrisszone. Er hat nur ein Ziel, Packer zu töten, es sei denn, dieser kann ihm noch irgendwie aus seiner Sinnkrise helfen. Packer, selbst in der Sinnkrise, kann das nicht. Also wird er von Benno Levin erschossen.
Einige bemerkenswerte Aspekte
Der Film und der Roman arbeiten heraus, wie die (Un-)Logik der Finanzmärkte das ganze Leben Packers prägt. Als Spekulant muss er Finanzbewegungen vorausahnen und dann rasch handeln. So auch im sonstigen Leben. Als Packer zunehmend das Gefühl bekommt, sein Sicherheitsoffizier Torval fängt an, selbstständig zu denken oder gar zu handeln und könnte weniger kontrollierbar werden, lässt er sich von diesem dessen österreichische (im Buch tschechische) Pistole geben, die nur Torval selbst mit eigener Stimme entsichern kann. Packer lässt sich von Torval die Pistole entsichern. Anschließend erschießt er den arglosen Mann, um so dessen möglichen Fehlentwicklungen zuvor zu kommen.
Packer scheint ein Problem mit Asymmetrien zu haben. Sein Leibarzt diagnostiziert bei seiner Prostata eine harmlose „Asymmetrie“, doch Packer ist dadurch sehr beunruhigt. Seinen Friseur verlässt er gegen Ende des Films mit halbem Haarschnitt, also sozusagen asymmetrisch. Dieses Asymmetriethema spielt auf das Versagen der mathematischen Modelle der Finanzmärkte an. Diese Modelle waren „symmetrisch“, sie gingen von mathematisch gleichen Chancen und Risiken aus. Tatsächlich waren aber die Finanzmärkte unsymmetrisch und somit für die Programme nicht berechenbar, was einige Ökonomen als eine Ursache für die Finanzkrisen ansehen.
Die moderne Spekulation versucht aus scheinbar belanglosen und unzusammenhängenden Daten mit statistischen Methoden verborgene Zusammenhänge zu erkennen, die dann für profitable Geschäfte genutzt werden. Es kommt weniger auf das Verständnis der Zusammenhänge an, es geht nur darum, im Datenchaos Muster zu erkennen. Ähnlich der „Complex“, das Aufklärungssystem von Packers Firma. Anhand belangloser Daten kann es herausfinden, ob eine Gefahr vorliegt, etwa durch einen Terroristen. Es geht nicht um Ursachenforschung, keine klassische Detektivarbeit, die klären will, wer was wieso plant. Sondern es wird aus Daten über Verkehr, Hotelbuchungen, Wetter usw. heraus kristallisiert, ob z.B. in einer bestimmten Region die Gefahr eines terroristischen Einzeltäters vorliegt, die dann weiträumig umfahren werden kann.
An diesem, seinem letzten Tag ruiniert sich Packer selbst, weil er sich mit der chinesischen Währung Yuan (im Buch der japanische Yen) verspekuliert. Bemerkenswerterweise nicht, weil seine Computerprogramme oder Fachleute versagen, diese warnen ihn durchaus, sondern weil er selbst psychologisch nicht mehr aussteigen kann. Während aber früher ein solcher Verrückter einsam in der Spielbank sein Vermögen verloren hätte, haben einzelne Personen heute auf den Finanzmärkten eine solche Macht, dass sie, einmal verrückt geworden, ganze Volkswirtschaften gefährden – so eine kapitalismuskritische Botschaft von „Cosmopolis“.
Schließlich deutet der Film zumindest an, dass der Kapitalismus nicht nur aus Märkten und Kapitalisten besteht, sondern dass es den Staat auch noch gibt. Am US-Präsidenten kommt auch die Finanzgröße Eric Packer nicht einfach vorbei. Auch der Chef des Internationalen Währungsfonds, der im Film ermordet wird, erinnert daran, dass Wirtschaft und Staat miteinander verquickt sind.
Schwächen des Films
Zunächst könnte man kritisch die Nähe zur Wirklichkeit hinterfragen. Das Vorbild für Eric Packer scheinen junge Leute wie die Superspekulanten Nick Leeson oder Jérôme Kerviel zu sein. Diese waren aber Angestellte im jungen oder mittleren Alter, die ihre Banken betrogen haben. Die superreichen Eigentümer sind Leute wie George Soros oder Warren Buffet, oder auch der Betrüger Bernard Madoff. Das sind aber ältere Herrschaften und keine jüngeren Finanzyuppies.
Schwerwiegender ist vielleicht die postmoderne Weltanschauung, der Don DeLillo und David Cronenberg zugehören. Diese Anschauung bestreitet absolute Wahrheiten und lehnt sie als Ideologien ab. Sie kritisiert auch herrschende „Wahrheiten“, die den Kapitalismus rechtfertigen wollen, als Ideologien. Sie schüttet aber das Kind mit dem Bade aus, wenn sie jeden Versuch zur Wahrheit von vorne herein als ideologisch abtut. Sie kritisiert den Marxismus mit seinem Wahrheitsanspruch als eine weitere Ideologie der Moderne. Sie bestreitet, dass Theorien – „Ideologien“ – helfen können, die Welt zu verändern. Damit besteht aber die Gefahr, dass die Welt so gelassen wird, wie sie ist. Die Postmoderne unterscheidet sich in der Wirkung dann nicht mehr von konservativen Ideologien. Ausdrücklich behaupten denn auch einige Postmoderne, dass Chaos oder Sinnlosigkeit normaler Teil der Welt sind, einer Welt, die nicht verändert werden kann.
Manche Parallelen finden sich zu Auseinandersetzungen, die schon Marx führte. So hat ein Max Stirner jeden gesellschaftlichen Zusammenhang, ob Staat, ob Markt, als Zwangsverhältnis abgelehnt. Auch er schüttete das Kind mit dem Bade aus, indem er gewerkschaftliche oder politische Organisationen als Zwangsverhältnisse, die den einzelnen unterjochen, ablehnte. Damit gibt es aber keine Möglichkeit mehr, die bestehenden Zwangsverhältnisse zu überwinden. Marx hat Stirners „radikale Kritik“ als in der Wirkung konservativ kritisiert.
Dies ist auch eine Schwäche von Film und Buch Cosmopolis. Es werden zwar kapitalistische Zustände beschrieben, aber es gibt kaum Hinweise darauf, wie der Kapitalismus überwunden werden könnte. Vielmehr wird ein bürgerliches Unbehagen über die Unheimlichkeit der Finanzmärkte vorgebracht. (Ähnliches gilt auch für das Buch des postmodernen Philosophen Joseph Vogl »Das Gespenst des Kapitals«. Vogl nimmt auf Cosmopolis Bezug.) Die kapitalistische Welt ist von unheimlichen, ungreifbaren Terroristen bedroht, die anarchistische Randale in New York erinnert an vormoderne Hexensabbate. Einige Marxzitate, die im Buch (weniger im Film) auftauchen, scheinen nur Beiwerk einer bunten Glitzerwelt der Finanzindustrie zu sein. Eric Packer und sein Mörder Richard Sheets sind symmetrisch, beide gehen an der Sinnlosigkeit der Welt zugrunde. So kann Cosmopolis zwar einen Eindruck von der Entfremdung im Kapitalismus vermitteln, aber es entbehrt einer marxistischen Analyse, wonach die arbeitende Klasse sich organisieren und eine bessere Welt nach dem Kapitalismus erkämpfen kann.
Bücher:
- Don DeLillo: »Cosmopolis«, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 208 Seiten (Paperback), 8,99 Euro.
- Joseph Vogl: »Das Gespenst des Kapitals« , Diaphanes Verlag, 224 Seiten, 14,90 Euro
Zum Autor:
Thomas Walter lebt in Berlin und ist Mitglied der LINKEN.