Das VW-Werk Chattanooga im US-Staat Tennessee bleibt ohne Betriebsrat. Bill Crane analysiert die Wurzeln der Niederlage
Letzten Monat endete der hoffnungsvollste gewerkschaftliche Organizing-Kampagne der letzten Jahre in den USA mit einer schweren Niederlage. Die Gewerkschaft der Automobilarbeiter (United Auto Workers – UAW) verlor im Februar die Urabstimmung über der gewerkschaftliche Vertretung im Volkswagen-Werk Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee. Von 1300 Beschäftigten stimmten nur 47 Prozent mit Ja, 53 Prozent mit Nein bei nahezu hundertprozentiger Wahlbeteiligung.
Ein Sieg in Chattanooga wurde angesichts des lang anhaltenden Abwärtstrends der UAW als besonders wichtig erachtet. Hatte die Gewerkschaft Ende der 1970er Jahre noch 1,5 Millionen Mitglieder, sind es derzeit nur noch 390.000, wobei viele in Dienstleistungen und im akademischen Bereich arbeiten. Angesichts des Niedergangs der heimischen Automobilindustrie hängt die Zukunft der UAW von ihrer Fähigkeit ab, bislang nicht gewerkschaftlich organisierte Werke von Volkswagen und anderen ausländischen Produzenten zu organisieren. Die Niederlage bei Chattanooga stellt diese Perspektive in Frage.
Organizing-Kampagne
Gewerkschaftliche Organisierung in den Südstaaten, dem Heimatland des Rassismus, des evangelikalen Christentums und des strammen rechten Republikanismus war schon immer ein enorm schwieriges Unterfangen. Die Organizing-Kampagne stieß auf massive gewerkschaftsfeindliche Aktivitäten – innerbetrieblich seitens mittlerer Angestellten, die nicht in die UAW aufgenommen werden dürfen, in der Community, wo rechte DJs die Verbindung der Gewerkschaft mit Obama, dem Recht von Frauen auf Familienplanung und der Forderung nach Waffengesetzen geißelten, und in den Regierungsetagen, wo republikanische Politiker Volkswagen unverhohlen mit dem Verlust von Staatssubventionen für den Fall einer Abstimmung zugunsten der UAW drohten.
Der Präsident der UAW, Bob King, erklärte genau damit die Niederlage: »Es ist ein einmaliger Vorgang in diesem Land, wenn ein US-Senator, ein Gouverneur und der Vertreter der Legislative einem Konzern mit Geldentzug und Arbeitern mit Arbeitsplatzverlust droht«, meinte er zu Reportern. Gewerkschaftsfunktionäre haben verschiedentlich geäußert, dass die Einmischung des republikanischen Senators Bob Corker in die Abstimmung gute Argumente liefert, um die für gewerkschaftliche Wahlen zuständige Bundesbehörde National Labor Relations Board dazu zu bewegen, die Abstimmung zu annullieren und erneut durchzuführen. Aber die Niederlage ist so haushoch, dass eine solche Entscheidung unwahrscheinlich ist, auch wenn die Behinderungsversuche sehr offensichtlich waren.
Volkswagen
Für die US-Rechte war die Niederlage erwartungsgemäß ein Beispiel dafür, dass es Gewerkschaften niemals gelingen wird, rechte, christliche und patriotische amerikanische Arbeiter für das linke Bestreben der Arbeiterorganisierung zu gewinnen. Es stimmt zwar, dass ein Großteil der weißen Arbeiterklasse in Tennessee reaktionäre Ansichten vertreten. Aber es gibt genügend Hinweise, dass die Niederlage nicht bloß Ausdruck eines Kulturkampfs ist.
Erstens schien ein Sieg der UAW in dieser Abstimmung trotz aller Hindernisse gesichert. Die Gewerkschaft hatte zwei Jahre und Millionen Dollar in die Kampagne gesteckt. Und bereits im Vorfeld der Abstimmung war eine Mehrheit der Belegschaft der Gewerkschaft beigetreten.
Hinzu kommt, dass die Abstimmung von Volkswagen selbst nicht angefochten wurde. Ein Schwerpunkt der UAW-Kampagne war es, die deutsche Gewerkschaft IG Metall zu umwerben. Die UAW-Führung hatte gehofft, dass die Konzernzentrale sie in ähnlicher Weise wie in Deutschland an der Leitung des Werks in Chattanooga auf Betriebsratsebene und im Aufsichtsrat beteiligen würde. Volkswagen unterschrieb ein 22-seitiges Dokument, in dem es versprach, sich nicht in die Kampagne einzumischen, was der UAW zumindest in der Theorie den Weg hätte ebnen müssen, da die US-Gesetzgebung den Unternehmen sonst sehr viele Möglichkeiten bietet, für typische gewerkschaftsfeindliche Aktionen.
Die Ausgangslage war somit wesentlich günstiger als in vielen anderen US-Betrieben, vor allem im Süden. Wie erklärt sich dann die Niederlage der UAW?
Strategie der Gewerkschaft
Sie ist zumindest teilweise der Unfähigkeit der Gewerkschaft geschuldet, die Arbeiter zu organisieren. Wie Mike Elk in In These Times schrieb, scheuten sich die UAW-Funktionäre, Bürgerinitiativen vor Ort zu beteiligen, und begrenzten ihre Anstrengungen auf die Betriebsebene. Auch gab es kaum eine Kooperation mit anderen Gewerkschaften in Chattanooga, die ihrerseits ein Interesse am Erfolg der UAW hatten. »Im Süden kannst du nur siegen, wenn alle, die auf deiner Seite stehen, tatsächlich mit dir in den Kampf ziehen«, zitiert er einen Basis-Aktivisten, »denn der Süden ist eine gigantische Anti-Gewerkschafts-Kampagne.«
Die Nicht-Einmischungsvereinbarung mit Volkswagen untersagte Gewerkschaftsorganisatoren unaufgeforderte Hausbesuche bei Arbeitern und jede offene Kritik am Konzern. Die UAW-Verantwortlichen bestreiten zwar, dass dies ein entscheidender Grund für die Niederlage sei, aber ihr Desinteresse an der sozialen Umgebung der Arbeiter, die sie zu organisieren versuchten, ist sogar für die blutarme US-amerikanische Arbeiterbewegung verblüffend.
Aber die Unfähigkeit der UAW und die Bedingungen der Übereinkunft mit Volkswagen sind genauso wie die politische Kultur im Süden nur ein Teil der Erklärung. Die eigentliche Antwort ist in der gesamten Strategie der UAW zu suchen. Die UAW selbst behauptete von sich, sowohl des Managements bester Freund zu sein, dem sie helfen würde, die Produktivität hochzuschrauben, als auch der Arbeiter, denen sie bei der Durchsetzung marginaler Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen zur Seite stehen würde. Um zu verstehen, warum die UAW diesen Weg für Chattanooga wählte, müssen wir etwas zurückblicken.
Das lange Dämmern der UAW
Die UAW wurde inmitten des bislang mächtigsten Aufschwungs der Arbeiterbewegung der USA gegründet. Henry Fords Automobilfabrik war speziell dafür konzipiert, die Gewerkschaften rauszuhalten. Aber die Gewerkschaftsaktivisten der UAW, die Speerspitze der neu gegründeten Dachorganisation CIO, warf sich 1934 und danach mit großer Begeisterung in Betriebsaufstände, Sitzstreiks und Mobilisierungen der ortsansässigen Bevölkerung, die den Widerstand der drei Giganten der US-Automobilindustrie, General Motors, Ford und Chrysler, schließlich brachen. Die Gewerkschaft, getragen von der Bewegung von unten, erreichte den Gipfel ihrer Macht.
Der Kompromiss, den die Gewerkschaft mit der Demokratischen Partei Roosevelts schloss, die Wiedervereinigung mit der alten Facharbeitergewerkschaft American Federation of Labor (AFL), der Rausschmiss der Kommunisten und anderer Radikaler aus den Gewerkschaften in den 1950er Jahren, all diese Maßnahmen schwächten die UAW wie auch andere, ehemals fortschrittliche Gewerkschaften. Für schwarze Revolutionäre, die in den Werken Detroits und anderswo in den frühen 1970er Jahren schufteten und sich gegen die rassistische Jobvergabe und Lohndiskriminierung der Konzerne im Zusammenspiel mit der Gewerkschaft auflehnten, bedeuteten die Buchstaben UAW »U Ain’t White« (du bist nicht weiß). Marvin Surkin und Dan Georgeakas beschreiben ganz hautnah die Situation in ihrem Klassiker »Detroit: I Do Mind Dying« (Sterben in Detroit: Dagegen hab ich was).
Niederlagen
Die gegenwärtige Politik der UAW hat ihre Wurzeln in den 1980er und 1990er Jahren, als die organisierte Gewerkschaftsbewegung von den Arbeitgeber mit Unterstützung von republikanischen wie auch demokratischen Regierungen entschieden geschlagen wurden. Die Lehre, die die Gewerkschaftsbürokraten aus ihren Niederlagen zogen, war nicht, ihre Mitglieder zusammenzutrommeln, sondern stattdessen, sich als freundliche »Partner« des Managements zu geben, um ihre komfortablen Sessel zu behalten. Das war im Grunde die Haltung eines Großteils der US-Arbeiterbürokratie, aber die Führung der UAW zeichnete sich durch ihren Kleinmut ganz besonders aus.
Die Vereinbarung zwischen UAW und Volkswagen mit dem Ziel, in Chattanooga Betriebsräte nach deutschem Modell zu etablieren, wirft ein besonders grelles Licht auf die Herangehensweise der UAW. In Deutschland ist es den Betriebsräten gelungen, die Gewerkschaften in die Betriebsstrukturen einzubinden, durch Zugeständnisse an die Arbeiterbürokratie im Gegenzug für die Selbstverpflichtung, die Gewerkschaftsmitglieder zu disziplinieren. Dass die UAW ein solches Ideal anpeilt, zeigt, wie weit sie sich von ihren radikalen Wurzeln entfernt hat.
Zugeständnisse
Die Früchte dieser Herangehensweise zeigten sich schon lange vor Chattanooga. Obamas Rettung von General Motors im Jahr 2009 war das Signal für eine massive Welle von Zugeständnissen seitens der UAW an die Autobauer. Die UAW verpflichtete sich, auf Streiks zu verzichten, stimmte der Vernichtung tausender von Gewerkschaftern besetzten Jobs sowie tiefen Einschnitten in Zulagen und Rentenfonds zu und nickte die Vernichtung eines großen Arbeitslosenfonds ab. Gregg Shotwell, Autor des betrieblichen UAW-Newsletters schreibt:
Die von der UAW abgeschlossenen Tarifverträge haben alles ausradiert, was potenzielle Gewerkschaftsmitglieder sich wünschen, von Rentenzahlungen über Lohnerhöhungen bis hin zu einem Mitspracherecht bei der Aufstellung von Schichtplänen. Die Ratten der UAW-Zentrale geben dem Missbrauch von Zeitarbeitern ihr Ja-Wort. Wir haben auch das »Busenfreund-System«, wobei UAW-Mitglieder beauftragt werden, den Bossen zur Seite zu stehen, um das Arbeitstempo zu beschleunigen, während sich die Funktionäre der UAW ihre Löhne und Auslagen von den Konzernen bezahlen lassen.
Ab Ende der 1990er Jahre begleitete die UAW die Einführung von Lohndifferenzen in den Werken der Drei Großen. Das bedeutete nicht nur wesentlich niedrigere Löhne für Neueingestellte, sondern auch, dass kein Arbeiter im Lauf seiner Lebensarbeitszeit jemals in den Genuss der hohen Löhne kommen würde, die einst das Merkmal des hohen Lebensstandards eines Großteils der amerikanischen Arbeiterklasse von den 1950er bis in die 1970er Jahre hinein waren. Gegenwärtig verdienen Neueingestellte in den Werken der Großen Drei 16 Dollar die Stunde. Wenn man die Lebenshaltungskosten mitberücksichtigt, sind die 14,50 Dollar für neue Mitarbeiter im Volkswagen-Werk in Chattanooga real gesehen sogar etwas mehr.
Widersprüche
Es mag stimmen, dass manche Arbeiter aus Chattanooga deshalb mit Nein stimmten, weil sie befürchteten, die UAW würde Obama helfen, ihnen ihre Gewehre abzunehmen. Aber zu glauben, dass das die Denkweise der Mehrheit war, heißt, amerikanische Arbeiter abzuwerten. Sogar inmitten großer Niederlagen behalten sie jenes widersprüchliche Bewusstsein bei, das Antonio Gramsci beschreibt, und schwanken zwischen dem Bewusstsein für ihre grundlegenden materiellen Interessen einschließlich der Bereitschaft, dafür zu kämpfen, und den unzähligen miteinander verflochtenen Ideenfragmenten der herrschenden Klasse, die zu ihnen, wie Arbeitern überall auf der Welt, vermittelst der Institutionen der kapitalistischen Gesellschaft herunterrieseln. Wahrscheinlicher ist die Erklärung, dass die meisten Nein-Stimmen kein Ausdruck von Dummheit waren, sondern der Erkenntnis, dass die UAW ihnen nicht viel zu bieten hatte, was sie nicht schon hatten – außer der Aussicht auf weitere Zugeständnisse in der Zukunft.
Elk zitiert einen Arbeiter, der mit Nein gestimmt hatte, und ich glaube, dass seine Äußerungen der Wahrheit viel näher kommen, als die rechten Neandertaler sich vorstellen können:
»Was die UAW zu bieten hat, das können wir auch ohne sie«, sagt Mike Burton, der auf Stundenbasis jobbt und die Internetseite für die Kampagne No 2 UAW (Nein zu UAW) entwarf. »Uns wurde lediglich eine [Gewerkschafts]option angeboten. Wenn du nur eine Wahl hast, gibt’s nur die Löschtaste. Es wäre schön, wenn wir eine Gewerkschaft hätten, die zu uns käme und offen heraus sagen würde: ›Das haben wir zu bieten.‹«
»Ich bin nicht anti-Gewerkschaft, ich bin anti-UAW«, fährt Burton fort. »Es gibt großartige Gewerkschaften da draußen, aber sie wurden uns nicht zur Auswahl angeboten.«
Wir stehen also vor der bizarren Situation, in der eine von Arbeitern getragene Kampagne gegen die Gewerkschaft sogar behaupten kann, dass die Gewerkschaft hinter ihrem Rücken mit dem Management verhandelt und möglicherweise sogar vorhat, ihre Löhne zu senken. Offensichtlich braucht es andere Methoden der Organisierung, als das was die UAW zu bieten hat.
Neoliberalismus
Es wäre selbstverständlich falsch, in dieser Situation die Gewerkschaft einfach abzuschreiben, auch eine korrupte wie die UAW. Ihre Niederlage ist auch unsere, denn sogar die ausgedünntesten Formen gewerkschaftlicher Organisierung im Kapitalismus bieten Arbeitern einen Rahmen für Solidarität untereinander und für die grundsätzliche Tätigkeit, ihre Klasseninteressen wahrzunehmen und sie zu verteidigen. Dass viele Arbeiter in Chattanooga das auch so sehen, zeigt die Tatsache, dass trotz der Versäumnisse der UAW und der Einschüchterungen durch die Rechte fast die Hälfte für die Gewerkschaft stimmte.
Die Co-Management-Methoden der UAW sind nur nachvollziehbar, wenn man sie im Kontext der vernichtenden Niederlagen der Arbeiterklasse unter dem Neoliberalismus sieht. Wie ich aber oben erwähnte, hat die UAW trotz aller Fehler beinahe gewonnen. Sie wurde von vielen unterstützt. Und viele Arbeiter, die mit Nein stimmten, waren für eine gewerkschaftliche Organisierung offen.
Revolutionäre in den USA sollten verstehen, dass die Niederlage der UAW einer Führung zuzuschreiben ist, die schon längst ihre Fähigkeit zu kämpfen verloren hat, sogar wenn es um die eigene Existenz geht. Ein neuer Aufschwung der Arbeiterkämpfe in der Automobilindustrie ist nötig. Indem er die alte, verknöcherte Bürokratie herausfordert, die nicht imstande ist, die Interessen ihrer Mitglieder zu verteidigen, würde er das Wiederbeleben der Traditionen des klassenkämpferischen Gewerkschaftertums bedeuten, auf denen die UAW in den 1930er Jahren gegründet wurde. Wie Schotwell schreibt:
»Wenn sich die neuen Autofabriken gewerkschaftlich organisieren, wird das von innen geschehen und von Arbeitern bewerkstelligt, die von der UAW unabhängig sind und sich nicht auf die Regierung verlassen. Ähnlich wird die UAW von Arbeitern an der Basis in Opposition zur Bürokratie und durch direkte Aktion, nicht durch Appelle an die Hierarchie, reformiert beziehungsweise neu formiert werden kann. In dem Maße, wie die „Zweite Kategorie« der schlechter entlohnten Arbeiter zur Mehrheit in der UAW wird, in dem Maße auch werden die Kröten des Flower Fund (Blumenfonds – Mitglieder werden angehalten, monatlich in einen Fonds für Blumen einzuzahlen, die von Gewerkschaftsbürokraten kontrolliert werden) ihren Einfluss verlieren. Die Arbeiter der Zweiten Kategorie tragen keine goldenen Handschellen (Sondervergünstigungen, um bestimmte Angestellte in der Firma zu behalten). Ohne die Aussicht auf eine Rente und Krankenkassenleistung im Alter können sie wieder von vorne anfangen. Die einzige Barrikade, die sie niederwerfen müssen, ist das Muster angelernter Hilflosigkeit, das durch die Tradition der Wahl des Ersatzhenkers gefördert wird.«
Sobald sie realisieren, dass Wahlen am korrupten System nichts ändern, werden sie den Galgen niederreißen.
(Zuerst veröffentlicht auf: http://rs21.org.uk/2014/02/21/the-uaws-defeat-in-tennessee/. Aus dem Englischen von David Paenson)
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