Am vergangenen Samstag Morgen wachte die Bevölkerung Zyperns auf und erfuhr, dass die neugewählte konservative Regierung von Nikos Anastasiades mit der Troika eine Einigung über die „Rettung“ der Banken getroffen hatte. Von Leandros Fischer
Während die Bevölkerungen Südeuropas – in Griechenland, Spanien oder Italien – für die kapitalistische Krise in Form von Lohn- und Rentenkürzungen, Privatisierungen oder dem Verlust ihrer Arbeit zahlen müssen, sollte hier ein anderer Weg probiert werden: Eine Zwangsabgabe von den Mitteln der Kleinanleger: 6,75% für Anlagen unter 100.000 , 10% für Anlagen über 100.000 Euro. Über Nacht sollten die Ersparnisse für das Studium der Kinder, die eigene Wohnung oder Rente verschwinden.
Die Troika, vor allem die deutsche Bundesregierung, behaupten, damit russische Geldkonten zu treffen, die rund die Hälfte der Anlagen in zypriotischen Banken ausmachen. So soll die Stellung Zyperns als Steueroase zunichte gemacht werden. Doch die Mehrheit der ca. 800.000 Einwohner Zyperns sind keine russischen Oligarchen, sondern normale Arbeitnehmer, Rentner und Familien wie in Deutschland oder Griechenland auch. Was wären wohl hier zulande die Reaktionen wenn die Bundesregierung eine Zwangsabgabe beschließen und direkt danach die Geldautomaten blockieren würde?
Konservative ohne Legitimation
Es ist eine Sache, wenn die Bevölkerung über Monate oder Jahre hinweg mit einer Reihe von Sparpaketen in die Armut gestürzt wird, doch es fühlt sich ganz anders an, wenn über Nacht alles verloren geht. Die Reaktion der Zyprioten war dementsprechend wütend.
Nikos Anastasiades wurde diesen Februar (Hier eine Analyse der Wahlen lesen) mit der Unterstützung des europäischen Großkapitals gewählt. Er behauptete im Wahlkampf, durch seine Verbindungen und seine Freundschaft mit Angela Merkel würde Zypern unter seiner Präsidentschaft von der Troika verschont bleiben. Dass es nun wenige Wochen nach seiner Wahl ganz anders aussieht, lässt ihn »Erpressung« und alternativ eine drohende Pleite Zyperns wittern. Man habe letztendlich für die »Rettung der Nation« gehandelt, wie in Griechenland, wie in Portugal, wie in Italien auch. Ob das allerdings eine unerwartete Erpressung war ist fragwürdig. Es kursieren Berichte von Kapitaltransfers im Umfeld von Anastasiades im Vorfeld der Eurogroup-Entscheidung vom letzten Samstag. Alleine in der Woche vor der Entscheidung zur Zwangsabgabe sollen laut dem Chef der zypriotischen Zentralbank 4,5 Milliarden Euro ins Ausland gebracht worden sein, mutmaßlich vor allem von vor allem Regierungsmitglieder und Personen aus dem Umfeld der Regierung.
Linker Widerstand
Die kommunistische AKEL und die sozialdemokratische EDEK hatten bereits am Samstag erklärt, gegen das Abkommen zu stimmen. Die Führung der AKEL steht unter großem Druck seitens ihrer Parteibasis in den Gewerkschaften, die ein Drittel der Bevölkerung repräsentieren. Nach fünf Jahren der Zurückhaltung an der Regierung mobilisierte die AKEL ihre Mitglieder für eine Demonstration vor dem Parlament am Tag der Abstimmung. Ohne diese Unterstützung hätten die Proteste sicher kein vergleichbares Ausmaß erreicht.
Parteimitglieder riefen am Morgen der Demonstration den AKEL-Radiosender »Astra FM« an und forderten von der Führung »einen Tahrirplatz auf Zypern« und den »Euro-Austritt«. Ähnlich wie in Portugal, vermischte sich die Wut gegen die Troika unter großen Teilen der Bevölkerung mit Erinnerungen an den demokratischen Widerstand gegen die griechische Militärjunta, die 1974 gegen die Regierung putschte und somit den Weg für den türkischen Einmarsch und die bis heute andauernde Spaltung der Insel öffnete.
Die Ablehnung im Parlament
Der Druck durch die Bevölkerung wurde schließlich auch für die anderen Parteien zu groß . Nachdem die Abstimmung über das Abkommen zweimal vertagt wurde, sollte am Dienstag Abend über die „Rettung“ und damit einhergehenden Auflagen entschieden werden: Die mitregierende DIKO stimmte dagegen; die DISY von Anastasiades enthielt sich ihrer Stimmen.
Dieses Ergebnis ist auf die Proteste der Bevölkerung zurück zu führen, ohne deren vehemente Ablehnung die Regierungsparteien sicher anders abgestimmt hätten.Während der Abstimmung im Parlament, beteiligten sich vor dem Parlament Tausende an einer Kundgebung. Neben AKEL nahmen alle anderen Oppositionsparteien, Organisationen der radikalen Linken und die linken Ultras vom Fußballklub Omonoia Nikosia teil.
Linke Demonstranten riefen Parolen, wie: »In Griechenland, in Zypern und in der Türkei, der Feind sitzt in den Banken und in den Ministerien«. So konnte verhindert werden, dass die rechtsextremen, chauvinistischen Organisationen, die sich unter die Demonstranten gemischt hatten, offensiver auftreten können. Die Ankündigung der Ablehnung wurde schließlich mit Jubel begleitet. Das Arbeitnehmer Zyperns haben einen wichtigen Sieg gegen die Troika errungen, der anderen Ländern als Motivation dienen kann.
Widersprüchlicher Widerstand
Die Mehrheit der Abgeordneten die am Dienstag Abend gegen die Troika stimmten haben dies nicht aus ihrer eigenen Überzeugung für das Wohl der Bevölkerung getan. Wichtiger ist ihnen, dass die Unternehmen Zyperns von den Maßnahmen gegen die Anlagen betroffen wären. Ihr Wohlstand basierte jahrelang darauf, dass Zypern seit Jahrzehnten als Steueroase gilt. Die Ablehnung der Parlamentarier ist vor allem eine Geste an Russland. Mit Moskau soll ein günstigerer Deal ausgehandelt werden, der die Anlagen russischer Kunden verschont. Doch auch mit Russland als „Retter“ werden es wieder die zypriotischen Arbeitnehmer sein, die mittels Lohn- und Rentenkürzungen zahlen müssen. Zudem wird Russland Zypern nur „retten“, wenn es sich damit lukrative Verträge auf die neu entdeckten Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer, aber vielleicht auch militärische Stützpunkte angesichts der prekären Lage im benachbarten Syrien sichern kann.
Perspektiven des Widerstands
Die AKEL hatte Forderungen wie die Vergesellschaftung der Banken jahrelang als politisch schädlich und unrealistisch abgelehnt. Jetzt gibt es keinen anderen Weg, wenn in Zypern eine griechische Zukunft vermeiden will. Über einen Euro und sogar einen EU-Austritt sollte ernsthaft diskutiert werden. Laut Umfragen befürworten diesen bereits jetzt 67% der Zyprioten. Schienen solche Forderungen vor paar Jahren utopisch, sind sie jetzt greifbar und durchaus realistisch. Die AKEL ergriff schon letzte Woche die Initiative für die Bildung einer »Bewegung gegen Privatisierungen«, an der sich auch Teile der radikalen Linken beteiligen. Die Möglichkeiten für eine Radikalisierung des Widerstandes sind da. Die Massenkundgebung vom letzten Dienstag könnte die Geburtsstunde einer neuen kämpferischen Linken auf Zypern gewesen sein. Wie sich das entwickeln wird, ist noch unklar. Fest steht aber, dass Zypern gezeigt hat, dass sich das Kämpfen lohnt und Merkels-Spardiktat nicht unbesiegbar ist.
Zum Autor:
Leandros Fischer ist im Studierendenverband DieLinke.SDS aktiv, sowie in linken Zusammenhängen in Zypern.
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