Trotz des rot-grünen Wahlsiegs in Niedersachsen ist das Atommülllager in Gorleben noch nicht gestoppt. Die Entwürfe des Bundes für das so genannte Standortsuchgesetz offenbaren Tricks und Winkelzüge, meint Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg
Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) schiebt in bewährter Manier das Thema Endlagersuche und Gorleben vor sich her. Ein Baustopp, also ein Offenhaltungsbetrieb soll bis zu den Bundestagswahlen 2013 alles offen halten. Das bekräftigte Altmaier am Montag nach den Niedersachsenwahlen bei seinem Antrittsbesuch im Wendland.
Seitdem wird in den Parteien noch mehr gestritten, vor allem nach dem hauchdünnen Wahlsieg von Rot-Grün in Hannover machen die Grünen- und SPD-Spitze Druck auf die Niedersachsen, die zwar eine Endlagersuche ohne Gorleben nicht kategorisch ausschließen, aber keinen Zweifel daran lassen, dass sie jetzt ernsthaft mitreden wollen.
Gorleben auf Umwegen durchsetzen
Die Grünen haben auf ihrem Parteitag diese Linie bisher unterstützt. Demnach soll eine Endlagersuche mit Gorleben stattfinden, aber die Sicherheitskriterien bei der Standortsuche sollen so gestaltet werden, dass Gorleben im Vergleich rausfällt. Der Fraktionsvorsitzende und Chef-Unterhändler der SPD, Sigmar Gabriel, sieht das ganz genau so.
Das klingt doch eigentlich logisch, oder? Warum sagen wir dann, so geht das nicht? Weil wir die bisherigen Entwürfe des Umweltministeriums für ein Standortsuchgesetz aus dem Juni bzw. Oktober 2012 unter die Lupe genommen haben. Mal steht dort offen, mal zwischen den Zeilen, worauf das Gesetz zielt: Gorleben soll auf Umwegen durchgesetzt werden und die Kontroll- bzw. Klagerechte der Öffentlichkeit auch an möglichen anderen Standorten werden auf eine Mitsprache zusammengestutzt.
Strahlenschutz weniger wichtig
Zentraler neuer Baustein bei der Endlagersuche ist ein »Bundesamt für kerntechnische Sicherheit«. Aus den Gesetzentwürfen wird klar, woher das Personal und das Fachwissen der neuen Behörde kommen soll: Vor allem aus der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR).
Das Auswahlverfahren falle unter die »Zuständigkeit der [Bundesbehörde/Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe]…« hieß es im Juni-Entwurf, im Oktober wurde dann der offene Hinweis auf die BGR getilgt. Die Rolle des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), das bisher im Auftrag des Bundes mit der Erkundung bzw. Errichtung von Atommülldeponien befasst war, geht gegen null.
Flagrantes Demokratiedefizit
Stattdessen soll in der neuen Bundesbehörde ein »Institut für die Standortauswahl« errichtet werden. Der entsprechende Passus lautet: »Das Institut für die Standortauswahl (Institut) ist zuständig für die wissenschaftliche Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen, die Festlegung der standortbezogenen Erkundungsprogramme und Prüfkriterien, die übrige Vorbereitung der Standortentscheidung und sorgt für die Unterrichtung und Beteiligung der Öffentlichkeit.«
Diese soll über eine Begleitgruppe, Bürgerdialoge und Konferenzen eingebunden werden. Ein Veto- oder Klagerecht ist nicht vorgesehen, man darf mitreden, das ist alles. Ein flagrantes Demokratiedefizit wird offenbar.
Behörde untersteht Wirtschaftsministerium
So übernimmt die BGR die Regie. Eine Behörde, die bisher weisungsgebunden dem Wirtschaftsministerium untersteht, die für die Salzlinie streitet und die nicht müde wurde zu behaupten, der Salzstock Gorleben sei geeignet.
Die BGR arbeitet derzeit im Rahmen der »vorläufigen Sicherheitsanalyse Gorleben« (VSG) auch an einer entsprechenden »Sicherheitsprognose« für Gorleben mit, wie sie im Gesetzentwurf als letzter Schritt vor einer Standortentscheidung gefordert wird. Ein »Sicherheitsnachweis«, so sollte es ursprünglich im Gesetz heißen, wurde hingegen fallen gelassen. Das ist kein Zufall.
Merkel für Gorleben
Die VSG hatte noch Norbert Röttgen als Bundesumweltminister eingefädelt. 9 Millionen Euro hat er dafür in die Hand genommen. Altmaier hat zwar einen Baustopp in Gorleben verfügt, um gut Wetter zu machen, aber die VSG wurde nicht gestoppt, die Ergebnisse sollen bis Ende März vorgelegt werden.
Die Fraktionsspitzen von Grünen und SPD müssen gewarnt sein. Hatte nicht Bundeskanzlerin Angela Merkel noch vor kurzem vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss darauf bestanden, dass Gorleben »zu Ende erkundet«, sprich ausgebaut werden soll? Hatte sie nicht oft genug beklagt, dass 1,6 Milliarden Euro in Gorleben verbaut wurden?
Lug und Trug in Gorleben
Ein Standort jedoch, bei dem von Anfang an auf Lug und Trug gebaut wurde, ein Standort, der nur im Spiel blieb, weil die Sicherheitskriterien fortlaufend an die miesen geologischen Befunde angepasst wurden, kann nicht fortgeschleppt werden. Was sollen Menschen an anderen potentiellen Standorten denken, wenn mit Gorleben 35 Jahre Lug und Trug als Findungskriterium eingebaut wird?
Wie soll Vertrauen entstehen, dass es hinfort ernst sein soll mit Transparenz, Beteiligung der Öffentlichkeit und Sachlichkeit, wenn das Misstrauen fortgeschrieben wird und die Öffentlichkeit auf Bürgerforen und auf Internetportalen hingehalten wird?
Gorleben aufgeben
Nein, die Frage, wohin mit dem Atommüll, muss viel grundsätzlicher angegangen werden. Die Nutzung der Atomkraft ist unbeherrschbar und die Endlagerung auch. Denn die Probleme werden kein Ende haben, wenn Müll in tiefen geologischen Formationen versenkt wird, auf irgendwelchen Wasserpfaden kommen Radionuklide wieder in der Biosphäre an!
Das Ziel muss deshalb sein, diese Jahrtausendfrage nicht im Takt von Legislaturperioden, sondern unabhängig von Parteieninteressen zu diskutieren. Ein Parteien unabhängiger »Zukunftsrat« könnte den Anfang machen. Hier gälte es, ohne Zeitdruck die Anforderungen an ein Auswahlverfahren bei der Endlagersuche zu beschreiben. Die gesellschaftlichen – und nicht nur geologischen – Anforderungen an ein Auswahlverfahren müssen skizziert werden.
Dazu gehört auch, dass die Fehler der Vergangenheit eingestanden werden und Gorleben aufgegeben wird. Denn ohne Vertrauen geht gar nichts. Die Anti-Atom-Initiativen und Umweltverbände begannen die Debatte auf ihrer Konferenz am 2. Februar in Kassel. Die Initiativen werden sich weiter einmischen: argumentativ und durch anhaltenden Protest.
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- Bericht aus Japan – Stimmung gegen Atomkraft wächst: Die Anti-AKW-Bewegung in Japan ist klein, wächst aber. Das zunehmende Misstrauen der japanischen Bevölkerung gegenüber Regierung und Kraftwerksbetreibern hat zum zeitweiligen Abschalten aller Kernkraftwerke im Land geführt. Das ist ein großer Erfolg, der auch dem unermüdlichen Engagement von Anti-Atom-Aktivisten zu verdanken ist. Doch die Bewegung steht nun vor neuen Herausforderungen. Jörg Raupach berichtet aus Japan