Vom 26.-28. November hat die Palästina-Solidaritätskonferenz »Getrennte Vergengenheit – Gemeinsame Zukunft: Hindernisse und Perspektiven für eine gerechte Lösung« in Stuttgart stattgefunden. Dort haben unter anderem Ilan Pappe, Haidar Eid, Evelyn Hecht-Galinski, Norman Paech, Annette Groth, Ali Abunimah und 200 Interessierte teilgenommen. marx21 sprach mit Verena Rajab, einer der Organisatorinnen der Konferenz
marx21: Wie schätzt du die Konferenz ein? Hat sie ihre Ziele erreicht?
Verena Rajab: Wir vom Palästinakomitee wollten deutlich machen, dass die bisherigen offiziellen Lösungsmodelle allesamt zu kurz greifen und damit keinerlei Chance für einen gerechten Frieden bieten. Der so genannte Nahostkonflikt ist kein Problem zweier Völker, von denen das eine noch keinen Staat hat. Es handelt sich um die Auseinandersetzung mit der Apartheid Israels, die wir nicht nur in den 1967 besetzten Gebieten, sondern auch innerhalb der grünen Linie finden.
Auch die PalästinenserInnen mit israelischem Pass werden systematisch durch Gesetze diskriminiert, die einschneidend in die Gesellschaft eingreifen. Diese Apartheid muss mit einem Systemwechsel überwunden werden, um die Menschenrechte zu verwirklichen. Dafür eignet sich das Modell Südafrika. Es war wichtig, dies laut und deutlich in die Öffentlichkeit zu bringen. Die starke positive Reaktion auf die Konferenz zeigt uns, dass dies gelungen ist und ein solcher Tabubruch in der Bundesrepublik fast überfällig war.
Warum eine Konferenz über Palästina? Und warum jetzt?
Während die zionistisch geprägten Parteien Israels für Apartheid stehen, haben die säkularen palästinensischen Bewegungen und Gruppen immer die gleichen Rechte für alle im Land vertreten, egal, zu welcher Religion jemand gehört. Sie stehen für ein Land, nämlich Palästina, in dem ein Zusammenleben auf gleichberechtigter Grundlage möglich ist.
Wenn wir einen gerechten Frieden wollen, drängt jedoch die Zeit. Wir erleben im Staat Israel einen gefährlichen Rechtsruck. In der Regierung sitzt Avigdor Liebermann von der Partei Jisra'el Beitenu, die den Transfer der Palästinenser mit israelischem Pass in die Westbank fordert. Diese Vorstellung ist inzwischen verbreitet, auch Zipi Livni von der Kadima-Partei strebt den Transfer der Palästinenser aus dem Gebiet innerhalb der grünen Linie an, sobald es einen palästinensischen Staat gibt.
Der Druck auf die Palästinenser sowohl in Israel als auch in der Westbank hat sich in den vergangenen Jahren nochmals massiv verstärkt und in Gaza sterben täglich viele Menschen an der Wirkung der menschenrechtswidrigen Blockade. Dies ist möglich, da Israel trotz aller seiner Menschenrechtsverletzungen unbedingten Rückhalt in den USA und bei den EU-Staaten hat.
Eine Hauptrolle spielt dabei die Bundesrepublik Deutschland. Wir als Deutsche können also ein gutes Stück dazu beitragen, die Verhältnisse in Palästina/Israel zu ändern.
In der Konferenz wurde die Solidarität mit den Palästinensern betont. Wie kann diese in Deutschland aussehen?
Der Staat Israel kann seine aggressive Politik nur mit Duldung und Unterstützung von Ländern wie der Bundesrepublik fortsetzen. Wir müssen deutlich benennen, in welcher Weise von der Bundesrepublik aus Menschenrechtsverletzungen möglich gemacht werden und die Beendigung der Zusammenarbeit durchsetzen. Damit unterstützen wir den zivilen Widerstand der palästinensischen Gewerkschaften und anderer Bürgerrechtsgruppen, die im Global BDS Movement (Boycott, Divestment and Sanctions) zusammengeschlossen sind.
Es sollte relativ leicht sein, gegen die Engagements deutscher Unternehmen in der Westbank vorzugehen. Immerhin gibt es eindeutige Gerichtsentscheidungen, die den Völkerrechtsverstoß benennen. Jüngstes Beispiel für einen solchen Völkerrechtsverstoß ist die Beteiligung der Deutschen Bahn International an einer Schnellbahnstrecke von Tel Aviv nach Jerusalem, die durch das Land palästinensischer Bauern führen soll und die die Palästinenser gar nicht benutzen können.
Ein zentraler Ansatzpunkt ist natürlich auch die Rüstungs- und militärische Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit Israel. Der Rüstungskonzern Rheinmetall produziert mit Israel Aerospace Industries (IAI) die Drohne Heron 1, die vor kurzem für Afghanistan tauglich gemacht wurde. Rheinmetall ist nur ein Beispiel von vielen. Sowohl in Deutschland als auch in Israel boomt die Rüstungsindustrie unberührt von jeglicher Krise und ist ein profitables tödliches Geschäft, dem wir Einhalt gebieten müssen.
Wir müssen aber auch in der Bundesrepublik endlich damit beginnen, zentrale Apartheidorganisationen wie den Jewish National Fund anzugreifen. Der Jewish National Fund sorgt innerhalb Israels dafür, dass über 90 Prozent des Bodens nur für jüdische Staatsbürger zugänglich ist. Im Zuge von Siedlungsprojekten im Negev beteiligt sich der Jewish National Fund derzeit an der Verdrängung von Palästinensern mit israelischer Staatsbürgerschaft aus ihren Dörfern.
Hier in Bundesrepublik gilt der Jewish National Fund als gemeinnützig. Spenden, die er für seine israelischen Forstprojekte in Deutschland sammelt, können von der Steuer abgesetzt werden. Doch gerade diese Wälder stellen in Israel ein Instrument der Vertreibung gegen die PalästinenserInnen dar. Wir müssen dafür eintreten, dass die Gemeinnützigkeit in der Bundesrepublik aberkannt wird.
Mehrere Redner bei der Konferenz haben die Wichtigkeit eines gemeinsamen säkularen Staats für Israelis und Palästinenser betont. In Berlin hat vor kurzem Norman Finkelstein die Ein-Staaten-Lösung als illusorisch abgetan. Ist diese Debatte wichtig, oder ist sie eine Ablenkung von der Solidaritätsarbeit?
Der entscheidende Punkt ist, dass die Apartheid überwunden wird. Dann wird der Weg frei für gerechte und demokratische Lösungen. Ohne Überwindung der Apartheid führt jede Zwei-Staaten-Lösung zur Vollendung der ethnischen Säuberung und Mini-Bantustans bei gleichzeitigem Verzicht der Palästinenser auf ihre Rechte.
Wenn die Apartheid überwunden ist, wird die Ein-Staaten-Lösung leichter zu verwirklichen sein, als ein Zwei-Staaten-Modell. Auch für so zentrale Fragen wie den Umgang mit dem Wasser ist die Ein-Staaten-Lösung sinnvoller. Israel bezieht heute fast die Hälfte seines Wassers aus der Westbank, der Grundwasservorrat unter dem Gazastreifen ist dagegen wegen der extremen Überbevölkerung so stark belastet, dass Salzwasser aus dem Meer eindringt und das Grundwasser in manchen Gebieten nicht einmal mehr zum Duschen benutzt werden kann.
Diejenigen, die derzeit die Zwei-Staaten-Lösung als einzige Alternative vertreten, obwohl die israelische Siedlungspolitik ihre Umsetzung endgültig unmöglich gemacht hat, greifen mit ihrer Analyse entweder zu kurz oder sie versuchen, wie manche Vertreter der Israel-Lobby, den immer stärker werdenden zivilen Widerstand gegen Apartheid und Rassismus auszubremsen.
Du bist Mitglied der Partei DIE LINKE. Was ist die Rolle der LINKEN in der Palästina-Debatte? Was sind Schwerpunkte eurer weiteren Arbeit?
Die Erklärungen der Bundestagsfraktion vom April und Mai dieses Jahres sind problematisch, da in ihnen eine besondere Verantwortung gegenüber Israel als Staat formuliert und Apartheid kritiklos hingenommen wird. Die Bundestagsfraktion verstößt damit gegen die Grundsätze der Partei, die sich an den Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit orientieren.
Die Solidarität sollte vielmehr direkt den Juden gelten, die vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten geflohen sind und den Palästinensern, die bei der Gründung des Siedlerstaats ihre Existenzgrundlage verloren haben und durch israelische Politik weiterhin verlieren. Sie alle haben ein Interesse an einem gerechten Frieden.
Die Stärke der Partei DIE LINKE ist jedoch die enge Verbindung mit den sozialen und Bürgerrechtsbewegungen. Dieser Verbindung verdanken wir es, dass Bundestagsabgeordnete der LINKEN in der Gaza-Flottille mitgefahren sind und mit ihrer Aktion dazu beigetragen haben, dass die Gaza-Blockade nicht weiter totgeschwiegen werden konnte.
Als Mitglieder der LINKEN müssen wir auf allen Ebenen die Forderungen der Palästinenser und der Solidaritätsbewegung in Israel sowie im internationalen Bereich aufgreifen und in die Politik der Partei einbringen. Vor allem ist es wichtig, dass sich die Partei DIE LINKE der Aushöhlung der Menschenrechte durch die Nahostpolitik der Regierungsparteien entgegen stellt und sich für praktische Schritte zum Stopp der aggressiven Politik Israels stark macht.
Der Untertitel der Veranstaltung war »Hindernisse und Perspektiven für eine gerechte Lösung.« Was siehst du als unsere größte Hindernisse? Und was sind die Perspektiven?
Größtes Hindernis sind die massiven Interessen, die am Staat Israel als militärischem Verbündeten für USA, Nato und damit auch für die Bundesrepublik bestehen.
Wir haben in Palästina eine Bewegung des zivilen Widerstandes, die eine lange Tradition hat, wie unser Referent Mazin Qumsiyeh in seinem Anfang November erschienenen Buch »Popular Resistance in Palestine« beschreibt. Auch innerhalb Israels gibt es immer mehr Gruppen, die sich gegen Besatzung und Diskriminierung der Palästinenser wenden. Hier können internationale Bürgerrechtsbewegungen anknüpfen und damit den notwendigen Veränderungsprozess unterstützen, der durch die massive Unterstützung Israels seitens der USA und Europa ausgebremst wird.
Die palästinensischen und israelischen Bürgerrechtsgruppen setzen dabei besonders große Hoffnung auf die Menschenrechtsgruppen in der Bundesrepublik, denn von hier bekommen die israelischen Regierungen mit die stärkste Unterstützung. Wir müssen in der Bundesrepublik endlich die notwendigen menschenrechtlichen Konsequenzen aus der deutschen Vergangenheit ziehen und uns gegen Rassismus und Apartheid stellen. Gerade wir in Deutschland haben eine besondere Verantwortung für einen gerechten Frieden in der Region.
Wie geht es weiter? Und wo ist mehr über die Ergebnisse der Konferenz zu erfahren?
Public Solidarity hat die Beiträge der Referenten inzwischen veröffentlicht und die Konferenz ist auch auf YouTube fast vollständig dokumentiert. Auch die Abschlussresolution zur Konferenz ist veröffentlicht.
Im Frühjahr planen wir vom Palästinakomitee Stuttgart aus einen Workshop, in dem wir eine Vernetzung zu den Themen BDS und One State besprechen wollen. Auch eine Initiative, die zum Ziel hat, den Jewish National Fund die Gemeinnützigkeit in der Bundesrepublik zu entziehen, soll Thema sein.
(Die Fragen stellte Phil Butland.)
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