Weihnachtsgeschenke, Weihnachtsmarkt, Weihnachtsgans, Weihnachtsplätzchen, Weihnachtsdekoration – bloß nicht übertreiben! Doch warum eigentlich nicht? Eine Polemik von Carla Assmann
Spätestens wenn die Läden vor Weihnachtsdekoration überquellen, gruselig lebensgroße Weihnachtsmänner sich vom Karstadt abseilen und überall Buden für die Weihnachtsmärkte aufgebaut werden, wird es wieder einsetzen, das alljährliche Wehklagen: der Konsumterror, und dann noch vor dem Totensonntag, überhaupt, was soll das eigentlich sein, »Weihnachtsmann«, diese amerikanische Erfindung, Pervertierung des Nikolaus, zumal hier ja eigentlich das Christkind die Geschenke bringt…
Anlass für Überdruss und Klage bietet das Weihnachtsfest wahrlich genug, von den stumpfsinnigen Betriebsweihnachtsfeiern, wo auf Glühweinbasis plötzlich Gemeinschaftsgefühle erzwungen werden sollen bis zum verlogenen Familienspiel an den Feiertagen. Ob an drei Tagen sechs Verwandtschaftszweige quer durchs Land abgehakt werden, erwachsene Menschen unterm Baum ein Gedicht aufsagen müssen oder die Familienpropaganda die stille Einzimmerwohnung mit Depression erfüllt – die Statistik gibt es vor, Mord, Suizid, wer hätte noch nie daran gedacht. Und dann noch die Geschenke!
Kritik am Weihnachtsterror
Doch so wohltuend jede Kritik am Weihnachtsterror erst mal klingt, so halbseiden ist bei genauerem Betrachten die bildungsbürgerliche Litanei über den »Konsumterror«. Schon auf den ersten Blick mufft sie nach dem altbekannten »Untergang des Abendlandes«, beschworen wird eine Vergangenheit, in der das »Fest der Liebe« noch authentisch und mit Sinn erfüllt war. Schlüsselworte dieser Erzählung sind neben Familie, Weihnachtsgottesdienst und Besserwisserei (»eigentlich trägt der Nikolaus ja Mitra statt Zipfelmütze, denn er war ja Bischof im oströmischen Reich…«) interessanterweise auch immer schon die Objekte, die diese Einstellung symbolisieren: echte Kerzen statt blinkender Lichterketten, der Weihnachtsbaumschmuck, die Art der Geschenke, Plätzchen nach Großmutters Rezept, und davon nicht zu viel.
Mit kapitalismuskritischer Bewertung der vorweihnachtlichen Konsumangebote hat das freilich wenig zu tun. Selbstverständlich kann man die kirmesartigen Weihnachtsmärkte verabscheuen, auf denen es laut zugeht, Karussell gefahren, gesoffen und gefressen wird. Doch wer vorgibt, gegen den Kaufimperativ anzugehen, sollte sich lieber nicht auf traditionell gemachten Weihnachtsmärkten mit Biogebäck und Herrnhuter Sternen blicken lassen.
Auch mit dem ökologischen Bewusstsein kann es nicht so weit her sein – zumindest nicht bei denjenigen, die über Geschenkpapierberge, Weihnachtskitsch und kurzlebiges Plastikspielzeug wehklagen und dann mit dem SUV aufs Land heizen, um eigenhändig den authentischen Weihnachtsbaum abzusägen.
Ausfluss der Abstiegsängste
Doch was steckt denn dann hinter dem ganzen Theater? Vielleicht einfach nur die Lust, sich von der Unterschicht abzugrenzen? Dass Geschmack ein wichtiges soziales Abgrenzungsmittel ist, hat ja schon der gute alte Pierre Bourdieu festgestellt. Doch es kommt noch etwas hinzu, dass sich anlässlich des Weihnachtsfestes gut beobachten lässt: Je gefährdeter die materielle Grundlage der Klassenzugehörigkeit, desto hysterischer die kulturelle Abgrenzung. Der Bildungsbürger pflegt aggressiv bourgeoise Verhaltensweisen und Konsumrituale und besinnt sich auf familiäre Traditionen, notfalls erfindet er welche. Der Ansturm junger Familien aus dem urbanen Kreativmilieu auf die Kindergottesdienste sind vor allem eins: Ausfluss ihrer Abstiegsängste.
Besonders perfide wird es allerdings, wenn den Strategien des Statuserhaltes das Mäntelchen von Aufklärung und Widerstand übergehängt wird. Die Ablehnung des »Konsumterrors« und die Mäßigung bis hin zur Askese werden zu attraktiven Distinktionsmerkmalen, wenn man sich freiwillig dafür entscheiden kann. Der Ekel vor den Tonnen von Weihnachtsmännern aus Billigschokolade kommt von allein, wenn man in der Lebkuchen-Manufaktur auswählen kann. Dasselbe gilt für Unterhaltungselektronik minderer Qualität, oder was auch immer gerade zur Symbolisierung haltlosen Konsums auserkoren wird. Das einfache, aber selbstverständlich bessere Leben, das hier gegen die Manipulationen der Konsumindustrie in Stellung gebracht wird, strotzt vor Zynismus. Denn seine Apostel ignorieren einfach die materiellen Voraussetzungen, die dazu nötig sind, ein solches Leben zu führen. Und mal ganz ehrlich: Das Flechten von Strohsternen ist auch keine emanzipatorische Praxis.
Neue Mittelschichten
Hinter dem aufklärerischen Gestus steckt eher das Gegenteil. Die grün-bildungsbürgerliche Konsumkritik ist letztendlich nichts anderes als ein Teil der Legitimierungsstrategie der herrschenden Klassen. Neu ist das nicht, bekennende Konservative machen es schon immer so. Nur haben die sich nie darum bemüht, progressiv zu klingen.
Bei den neuen Mittelschichten funktioniert die Verschleierungstaktik an Weihnachten besonders gut. Angesichts der Holzhammermethode, mit der der ganze Weihnachtskitsch ohne erkennbaren Nutzen die Sinnlosigkeit kapitalistischer Produktion im Alltag greifbar macht, kann das elitäre Genörgel leicht andocken an ernsthafter Kritik der gesellschaftlichen Zustände. Erschöpft von der Festivitätstretmühle ist so mancher bereit, jeglicher Kritik an dem Elend unbesehen zuzustimmen.
Kitsch und Glühwein
Entlarvend jedoch ist die Empörung darüber, dass es schon vier Monate vor dem Fest Weihnachtssüßigkeiten zu kaufen gibt. Es kann den Bewahrern weihnachtlicher Tradition wohl kaum darum gehen, dass sie selber im September keine Dominosteine essen wollen. Denn sonst gelingt es ihnen es ja auch, unerwünschte Dinge im Supermarkt einfach liegenzulassen.
Vielmehr zeigt sich hier die paternalistische und sozialchauvinistische Haltung, die oft auch in der Kritik an Werbung zum Ausdruck kommt. Denn die Kritiker fürchten ja durchaus nicht, selbst Opfer dieser Manipulationen der Industrie zu werden. Wer hingegen hereinfällt auf die falschen Versprechungen, das zeigt sich ja wohl an Weihnachten besonders deutlich: der Plebs, das Proletariat, das sich mit Glühwein besäuft und verschuldet, um Kitsch und Plasmafernseher nach Hause zu schleppen!
Omas Geldgeschenke
Hier findet sich die eindeutige Bestätigung, dass die einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten gar nicht erkennen wollen und können, was eigentlich auch gut und richtig für sie wäre. Stattdessen, das ist ja offensichtlich, wählen sie aus eigenem Antrieb die ungesunde und schlechte Lebensweise und bringen sich eigenständig immer wieder in elende Verhältnisse. Solchen Leuten, das muss doch einleuchten, kann auf keinen Fall gestattet werden, selbst über ihr Leben zu bestimmen, schon zu ihrem eigenem Wohl.
Auf dieser Grundlage kann die Austeritätsideologie im Alltagsleben auch das »Fest der Liebe« ungehindert kolonisieren – etwa wenn das Sozialgericht entscheidet, wie viel von Omas Geldgeschenk behalten werden darf, wenn man auf Hartz IV angewiesen ist (ein Problem, das sich selbstverständlich gar nicht stellen würde, wenn Oma Socken gestrickt hätte anstatt einen lieblosen Umschlag zu überreichen).
Private Haushaltsdisziplin
Auf Dauer wird sich der Neoliberalismus nicht halten können, wenn er den Wünschen und Bedürfnissen einer steigenden Zahl von Menschen derart zuwiderläuft, kulturelle Kompensationen für die Zumutungen im Alltag zunehmend unmöglich macht. Er bedarf einer gesellschaftlichen und kulturellen Legitimation, an der das abstiegsbedrohte Bildungsbürgertum nur zu willig mitspinnt in der Hoffnung, sich so auf die Seite der Herrschenden zu retten.
Lichterketten und Lebkuchenexzesse machen keinen Widerstand, aber Vorsicht ist geboten, wenn »Besinnlichkeit« private Haushaltsdisziplin bedeuten soll.
Zur Autorin:
Carla Assmann ist Redakteurin von marx21 und würde sich freuen, wenn sie nicht immer zwischen September bis Dezember so viel Lebkuchen bunkern müsste, dass er für das ganze Jahr reicht.
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