Die SPD hat auf ihrem Parteitag beschlossen, eine Koalition mit der LINKEN nicht mehr grundsätzlich auszuschließen. Leere Worte oder Neuausrichtung, fragt Arno Klönne in seinem Klassenbuch
Seine Kavalleriepferde werde er auch in Zukunft für sozialdemokratische Zwecke bereit halten, versicherte Peer Steinbrück und verabschiedete sich damit aus dem aktiven politischen Dienst. Ein doppelbödiger Scherz, der den SPD-Parteitag in Leipzig nicht in bessere Stimmung versetzte.
Es herrschte dort Frust. Ob auch Nachdenklichkeit, wie sie die Kommentatoren an der Rede des Parteivorsitzenden zu entdecken meinten, ist nicht feststellbar, denn eine Debatte über Weg und Ziel der SPD fand nicht statt, nicht wirklich.
So bleibt unerschlossen, was in den Köpfen der Delegierten vorging. Immer noch enttäuscht waren sie über das magere Ergebnis der Partei bei den Bundestagswahlen. Aber hatten sie ernsthaft damit gerechnet, der sozialdemokratische Kanzlerkandidat werde mit Hilfe der Grünen Angela Merkel ablösen können?
Zur Regieren entschlossen
Die Führungsgruppe der Partei ist fest entschlossen, ein Regierungsbündnis mit der CDU/CSU zu schließen. Dabei geht es nicht nur um Ministerposten, das Mitregieren würde handfeste Vorteile bringen für viele, die von der Politik leben, in diesem Fall von der sozialdemokratischen.
Außerdem raten einflussreiche Gewerkschaftsvorstände dazu, sich auf eine Große Koalition einzulassen. Und die Wählerinnen und Wähler der SPD sehen, wenn wir den Demoskopen glauben wollen, in ihrer Mehrheit eine solche Lösung als passend an.
Bei den politischen Inhalten der Regierungspolitik sind die Differenzen zwischen der Sozialdemokratie, so wie sie heute dasteht, und den Unionsparteien nicht dramatisch. In den Grundlinien der Außen-, Europa- und Militärpolitik besteht längst eine informelle Große Koalition.
Große Koalition ohne große Differenzen
Wirtschaftspolitisch sind CDU/CSU und SPD gleichermaßen auf unternehmerische Interessen des »Standorts Deutschland« verpflichtet, denen sich auch die Arbeitsmarktpolitik fügen soll. Dass die SPD in Sachen »Wirtschaftskompetenz« lernbereit sei, hat Sigmar Gabriel in Leipzig ausdrücklich hervorgehoben; von einer großen »Umverteilung«, nun von oben nach unten, ist ja auch sozialdemokratisch keine Rede mehr.
Sozialpolitisch wird man sich, die Kanzlerin hat es schon angedeutet, auf einige Reparaturen an den Folgen der Agendapolitik sowie der Renten-»Reform« einigen können. Beide entstammen sozialdemokratischem Regieren oder Mitregieren. Als SPD-Erfolg bei den jetzigen Koalitionsverhandlungen kann ein gesetzlicher Mindestlohn präsentiert werden. Dass damit der Sektor »arm trotz Arbeit« aus dem Arbeitsmarkt verschwindet, ist Illusion.
Viele Arbeiter wählen CDU
Übrigens hat die SPD-Führung im Bewusstsein einer unangenehmen Tatsache zu agieren: Die CDU/CSU bekam bei der Bundestagswahl massenhaft Stimmen aus der Arbeiterbevölkerung, bei wählenden Gewerkschaftsmitgliedern liegt sie nur noch knapp hinter der SPD. Sigmar Gabriel sprach in Leipzig von einer »kulturellen Kluft« zwischen seiner Partei und den »kleinen Leuten«. Aber mit dieser oder jener Kultur hat solcherart Entfremdung wenig zu tun.
Noch liegt auf dem Weg der SPD in die Große Koalition eine Barriere. Womöglich war die Idee des Parteivorstandes, sich per Mitgliederentscheid eine bessere Legitimation für das Bündnis mit der Union zu verschaffen, etwas leichtfertig. Mit allen Kräften arbeitet das SPD-Management nun an der Risikominderung, und besonderen Eifer zeigt dabei die NRW-Chefin Hannelore Kraft, die zeitweilig als Anführerin der innerparteilichen Opposition gegen die große Koalition galt.
Frust ablassen, aber kein Aufstand
Beim Parteitag in Leipzig konnte erst mal Frust abgelassen werden, durch etwas Liebesentzug gegenüber den meisten Vorsitz- und Vorstandskandidaten. Ein »Aufstand« jedoch war das nicht. In den nächsten Wochen kommt vieles darauf an, wie in den kommerziellen Medien über die Koalitionsverhandlungen berichtet wird. Ob der SPD-Führung »harte Gangart« und Effektivität zugeschrieben werden, nach der Methode: »Wir BILDen dir deine Meinung.«
Zum Parteitag hatten sich die SPD-Oberen einen Megatrost für frustrierte Mitglieder einfallen lassen: Die dürre Phase einer Juniorpartnerschaft in der unionsgeführten Bundesregierung werde nur vier Jahre dauern, 2017 sei eine Mehrheit für die SPD erreichbar, und zu Bündniszwecken sei man dann auch gesprächsbereit zur Partei DIE LINKE. Selbstverständlich unter der Bedingung, dass diese sich läutere.
Womit gemeint ist: Schluss mit dem »Nein« zur NATO-Politik und auch mehr sogenannte »Wirtschaftskompetenz«. Wer mitregieren will, muss schließlich wissen, was er dem »Markt« schuldig ist.
SPD will LINKE zähmen
Ob die SPD-Führung tatsächlich glaubt, sie könne bei der nächsten Bundestagswahl als Sieger dastehen, weiß man nicht. Aber gewiss kalkuliert sie damit, durch ihre Abkehr von der »Ausschließeritis« die Linkspartei auf Sicht handzahm zu machen. Dann hätte eine großkoalitionär mitregierende Sozialdemokratie auch weniger Ärger mit der parlamentarischen Opposition.
Um einen »Ruck nach links« handelt es sich bei der nun erklärten Gesprächsbereitschaft der SPD gegenüber der LINKEN keineswegs. Vielmehr findet ein taktisches Manöver statt. Die SPD-Führung denkt nicht daran, jetzt den Versuch eines regierenden Bündnisses mit Linkspartei und Grünen zu machen. Und in der Perspektive auf 2017 lässt sie keinen Zweifel: Als koalitionsfähig auf Bundesebene würde die Linkspartei dann nur gelten, wenn sie ihre kritischen Positionen in der Europa- und in der Militärpolitik aufgeben würde.
Selbstzerstörerisch wäre es, wollte die Linkspartei sich auf ein solches Ansinnen einlassen.
Und wenn doch nichts wird aus der sozialdemokratischen regierenden Hilfe für die Kanzlerin? Dann sind die Grünen dran, ihre Tür steht für Verhandler der CDU/CSU offen. Diese Chance wird der grünen Partei sicherlich mehr wert sein als die Spekulation mit einem »linken« Regierungsbündnis 2017.
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